100 neue Liftanlagen für die Schweiz: kurzfristiger Profit contra Landschaftsschutz
An 32 Orten in der Schweiz sollen in den nächsten Jahren mehr als hundert neue Bahnen und Lifte in die Bergwelt gesetzt werden. Skigebiete sollen vergrössert, mit anderen verbunden oder ganz neu aus dem Boden gestampft werden. Zahlreiche Tourismusorte mit grossen Namen, die ein existentielles Interesse daran haben müssten ihre wichtigste Ressource, die intakte Natur, zu erhalten, sind auf der Liste mit den Projektideen zu finden. Scuol soll mit Samnaun verbunden werden, Arosa mit der Lenzerheide, eine alpine Metro soll die Skifahrer von Zermatt nach Saas Fee befördern. Masse statt Klasse ist die Devise. Das Resultat ist bereits heute in einigen supervernetzten Orten der französischen Alpen zu sehen. Man wähnt sich dort eher in einem
Industriebetrieb als in der freien Natur.
Zum Glück haben einige Organisationen und Tourismusvertreter die Gefahr erkannt und ihre Opposition angekündigt. Zum Beispiel bei den Projekten in der Aletschregion, welche demnächst für das Weltkulturerbe-Inventar der Unesco vorgeschlagen werden soll. Während sich Tourismusverantwortliche in anderen Regionen über die bedeutende und werbewirksame Auszeichnung durch die Unesco freuen würden, bekommen die Seilbahnbetreiber der Aletschregion rote Köpfe. Sie haben anderes vor mit der Region: Eine Seilbahn soll die Skigebiete der Belalp mit denjenigen der Riederalp verbinden, und ein Tunnel die Skifahrer nach der Abfahrt bis zum Gletscherrand auf das Plateau der Bettmeralp zurückbringen. Neue Liftanlagen sollen zudem das Märjelengebiet erschliessen. Für die Umsetzung der Ideen rechnet man mit Kosten von 100 Millionen Franken. Bereitwillig lassen sich die GemeindepräsidentInnen von Naters und Ried-Mörel vor den Karren der Bahnpromotoren spannen. Sie versprachen, sich beim Kanton für eine Verkleinerung des Unesco-Gebietes einzusetzen. Im Gegenzug liessen die Umweltorgansiationen WWF, Pro Natura und die Stiftung für Landschaftsschutz verlauten, eine Schnapsidee bleibe eine Schnapsidee und dass sie notfalls für die ungeschmälerte Erhaltung des Gebietes auf die Barrikaden gingen. Denn es gebe nur einen Aletschgletscher, und wer den verbaue, zerstöre das grösste touristische Kapital der Region. In die selbe Richtung stösst Aloys Eyholzer, der Verwal-tungsratspräsident der Verkehrsbetriebe Betten-Bettmeralp AG: "Unser wichtigstes und grösstes Kapital sind die landschaftlichen Schönheiten, der Qualitätstourismus, eine gesunde Gästestruktur, unser Wille zur Erhaltung von traditionellen Werten und Einrichtungen. Das wollen wir nicht für einen Massentourismus preisgeben." Auch Bernhard Ploetzer zuständiger Dienstchef beim Kanton Wallis kann sich unter den heutigen Voraussetzungen eine Bundeskonzession für die in Diskussion stehenden Liftanlagen nicht vorstellen. Und dies nicht wegen einer allfälligen Aufnahme ins Unesco-Inventar sondern weil das Gebiet Aletsch-Bietschhorn bereits heute im Bundesinventar der geschützten Landschaften und Naturdenkmäler eingetragen ist. Das Natur- und Heimatschutzgesetz verlangt, dass derartige Gebiete ungeschmälert erhalten werden müssen. Würde dennoch ein Gesuch eingereicht, rechnet er mit einem "grossen Tam-Tam" der Umweltorganisationen.
Auf der anderen Seite der Berner Hochalpen, in Grindelwald, machen der Schweizerische Alpen-Club (SAC) und die Naturfreunde gegen die Erschliessung des Rosenhorns durch ein Bahnprojekt mobil. Neben einer Gondelbahn auf das Rosenhorn, mit einem Panoramarestaurant auf dem Gipfel, sind auch eine Anzahl Skilifte auf dem oberen Grindelwaldgletscher geplant. Die Vorstände der beiden Verbände haben gemäss einem Communiqué vom 10. März beschlossen sich gegen das Projekt zu engagieren und nötigenfalls auch die entsprechenden rechtlichen Mittel auszuschöpfen. Sie sprechen von einem harten touristischen Vorstoss, der auch einer sorgfältigen Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Schutz von Natur und Landschaft nicht standhält. Interessant ist dabei, dass sich mit dem SAC der grösste touristische Anbieter in den Schweizer Hochalpen gegen dieses Tourismusprojekt stellt.
Es geht bei all den erwähnten Plänen nicht nur um die Frage des Naturschutzes, sondern auch darum, ob der schnelle Tourismus der Bahnen und Lifte, den langsamen Tourismus der Skitourenfahrer, der Wanderer und Bergsteiger immer weiter zurückdrängt. Zum Beispiel am Wildstrubel, dem beliebten Tourengipfel im Berner Oberland, der gleich von allen vier Seiten mit Bahnen bespickt werden soll, und auf diese Weise, dank seiner hohen Lage, eine willkommene Möglichkeit zur Saisonverlängerung darstellen würde.
Tages-Anzeiger 6.3.98; Rote Anneliese April 98; Communiqué der Naturfreunde und des SAC 10.3.98; eigene Recherchen/fm