Er kam und versprach ihr das Blaue vom Himmel. Endlich würde sie genug Geld haben, um ihre Familie zu unterstützen. Er drängte sie, für ihn ein Auto zu leasen, Kredite aufzunehmen. Bis Esther Hodos* richtig hohe Schulden hatte. Die müsse sie zurückzahlen, sagte er, und wenn nicht, dann … Hodos will nicht ins Detail gehen über das, was damals in Ungarn geschah. Sie sagt nur: «Ich wusste: Wenn ich die Arbeit nicht mache, sterbe ich.»
2012 nahm sie der Mann mit nach Zürich, auf den Strich am Sihlquai. Sie weiss das Datum noch genau. Er überwachte sie Tag und Nacht, nahm ihr das verdiente Geld sofort weg. So konnte sie auch die Bussen nicht bezahlen, als sie mehrmals verhaftet wurde. Sie wolle eine Arbeitserlaubnis beantragen gehen, überredete sie ihn – und dann rannte sie. «Ich hatte einige Sekunden. Ich hatte Glück.»
Eine Sozialarbeiterin am Sihlquai hatte ihr von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) erzählt. Dorthin flüchtete sie ohne Pass und ohne Geld, mit nichts als den Kleidern, die sie trug. Die FIZ organisierte andere Kleider, zu essen, ein Zimmer. «Ein sehr kleines Zimmer – viel kleiner als das bei der Polizei!» Manchmal überspielt Esther Hodos den Schrecken mit Ironie.  

Föderalismus hilft nichtEin Anfang ist gemacht – doch das reicht noch nicht. So lässt sich der Bericht zusammenfassen, den "Greta", das Expertengremium des Europarats zu Menschenhandel, Mitte Oktober veröffentlicht hat. Greta bemängelt, dass sich die Kantone unterschiedlich gegen Menschenhandel engagieren; acht Kantone tun gar nichts. Zudem unternehme die Schweiz zu wenig, um auch Kinder, Männer und Asylsuchende, die Opfer von Menschenhandel sein könnten, zu erkennen und zu schützen. Und während es Präventionskampagnen in einigen Herkunftsländern gebe, werde die Schweizer Bevölkerung zu wenig über das Thema informiert.  

Dreissig Tage Zeit können Opfer von Menschenhandel in der Schweiz heute beantragen: Bedenk- und Erholungszeit, um zu entscheiden, ob sie gegen die TäterInnen aussagen wollen. Hodos wollte, darum durfte sie in der Schweiz bleiben, zumindest bis zum Ende des Prozesses. Eine Polizistin der Spezialeinheit Menschenhandel unterstützte sie. Über die Schweizer Polizei weiss die Ungarin nur Gutes zu berichten: "Sie hat eine Superarbeit geleistet. Die Beamten sind nett und ruhig, nicht wie bei uns. Wer in Ungarn aussagt, gilt schnell selbst als Täter."
Trotzdem schaffte sie es nicht, über ihre Demütigung zu sprechen. Also schrieb sie auf, was ihr passiert war. Am Ende war der Bericht fünfzig Seiten lang.
Dass die Zürcher Polizei richtig reagierte, dass Esther Hodos den Menschenhändler an- zeigen und in der Schweiz bleiben konnte, ist zu grossen Teilen der beharrlichen Arbeit der FIZ zu verdanken. Die Fachstelle wird dieses Jahr dreissig Jahre alt. "Es geht uns nicht um Hilfe – der Begriff ist zu schwach", sagt FIZ-Geschäftsführerin Susanne Seytter. "Es geht um Rechte."
Selbst gewählte Sexarbeit und Zwangsprostitution sind nicht dasselbe, das betonen die FIZ-Frauen immer wieder. Darum hat die FIZ heute drei Zweige: politische Arbeit, Makasi, die Interventionsstelle für Opfer von Frauenhandel, und die Beratungsstelle für Migrantinnen – die unter anderem auch eine wichtige Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen ist.  

Von Hells Angels verfolgt  

"Am Anfang hatten wir die ganze Welt gegen uns", sagt Regula Renschler. Die Journalistin, damals Fachsekretärin der kritischen NGO Erklärung von Bern (EvB), gab 1981 den Anstoss zur Gründung der FIZ. Als "Abspaltung" der EvB war 1977 schon der arbeitskreis tourismus und entwicklung entstanden, "weil uns bewusst wurde, dass der direkte Kontakt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern vor allem über den Tourismus stattfand". Und ein Teil der Touristen suchte nicht Strände oder Safaris, sondern Sex. Oder eine Ehefrau.
Dann zeigte das West
schweizer Fernsehen 1981 einen Dokumentarfilm über eine philippinische Tänzerin, die von einem 
Schweizer Barbesitzer übel ausgebeutet wurde. Aus diesem Anlass organisierte Renschler eine Diskussion über Frauenhandel mit Vertreterinnen von Hilfswerken, Frauenorganisationen und kirchlichen Stellen. Dort war die Gründung einer Fachstelle erstmals ein Thema. Ausserdem klagte die EvB, vertreten durch den späteren Bundesrat Moritz Leuenberger, gegen den Barbesitzer. Der Fall kam bis vor Bundesgericht und endete 1989 mit einem Vergleich.
Anfang der achtziger Jahre habe sich kaum jemand für Frauenhandel interessiert, sagt Regula Renschler. "Wir wurden in die feministische Schmuddelecke gestellt. Vor allem die Männer nahmen das Thema lange nicht ernst, die Banken schienen ihnen wichtiger… Und auch international war Frauenhandel kein Thema. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge wurden noch nicht wahrgenommen." Schliesslich war das Hilfswerk Swissaid bereit, eine Halbtagesstelle zu finanzieren. 1985 begann die FIZ mit ihrer Arbeit.
Im Gründungsjahr war Frauenhandel auch das Thema der EvB-Generalversammlung. "Im Publikum fielen uns seltsame Typen in Motorradkluft auf", erzählt Renschler. "Es waren Hells Angels! Nach der Versammlung fuhren sie uns demonstrativ mit den Töffs hinterher. Handelten sie im Auftrag von Barbesitzern, die ihr einträgliches Gewerbe bedroht sahen?"
In den Anfangsjahren hätten die FIZ-Frauen "Sexarbeit, Heiratsmigration und Cabaretarbeit allesamt als Frauenhandel begriffen, und die meisten Migrantinnen galten als Opfer". So steht es in der Broschüre, die die FIZ dieses Jahr zum Jubiläum veröffentlicht hat. "Nein, so einfach war das nicht", kommentiert Regula Renschler. "Es gab von Anfang an zwei verschiedene Einstellungen."
Die FIZ hatte gute Kontakte nach Asien, mit Vertreterinnen feministischer Organisationen in Thailand und mit katholischen Ordensfrauen auf den Philippinen. "Die Filipinas waren tatsächlich der Meinung, man sollte Prostitution wenn möglich verhindern. Aber die Thailänderinnen stellten das total infrage." Auf langen Recherchereisen in Thailand sah Renschler das ganze Spektrum: "Es gab Bordelle mit Neunjährigen. Zuerst mussten sie Tee kochen, mit zwölf oder dreizehn wurden sie dann ins Gewerbe eingeführt – grauenhaft. Aber wir trafen auch erwachsene Frauen, die mit Lohn und Vertrag arbeiteten. Sie sagten: ‹Lasst uns in Ruhe, uns geht es gut.› In der FIZ hatte jede ihre eigene Meinung, aber als Organisation verhielten wir uns neutral."
Susanne Seytter, die FIZ-Geschäftsführerin ärgert sich, wenn nicht zwischen Sexarbeit und Menschenhandel unterschieden wird: "Menschenhandel ist eine schwere Straftat. Sexarbeit ist legal." Die Sexarbeiterinnen selbst hätten der FIZ immer wieder deutlich gemacht, dass sie keine Opfer seien. "Klar hatten sie nicht unzählige Optionen. Aber unter den gegebenen Möglichkeiten wählten sie bewusst diese." Die FIZ sei sehr parteilich, zugleich aber pragmatisch: "Es wird immer käuflichen Sex geben, und Illegalität erhöht das Gewaltrisiko."

"Der Druck zur Migration bleibt"

Es ist paradox: Die Debatte über ein Prostitutionsverbot kocht immer wieder hoch, alle wollen den "armen Frauen" helfen, und gleichzeitig wird den Sexarbeiterinnen und Cabarettänzerinnen das Leben immer schwerer gemacht. In der Stadt Zürich ist es wegen der neuen Prostitutionsgewerbeverordnung und der Bau- und Zonenordnung enorm kompliziert geworden, einen eigenen kleinen Salon zu führen – dabei wäre das eine der sichersten und autonomsten Formen der Sexarbeit (siehe WOZ Nr. 38/13). Und auf Anfang 2016 schafft der Bundesrat das Cabaretstatut ab, das Frauen aus Nicht-EU-Ländern bis jetzt die legale Arbeit ermöglicht. "Der Druck zur Migration bleibt", sagt Seytter. "Die Frauen werden andere Wege suchen, um in die Schweiz zu kommen – und wenn sie illegal hier sind, ist es viel schwieriger, sie zu unterstützen." Sie fordert legale Arbeitsmöglichkeiten für Menschen aus Nicht-EU-Staaten – nicht nur für Tänzerinnen.

Ein Trauma braucht mehr Zeit

Esther Hodos› Aussagen überzeugten die Staatsanwaltschaft. Der Menschenhändler wurde verurteilt. Die FIZ stellte für Hodos ein Härtefallgesuch. Jetzt hat sie fünf Jahre Zeit, um wirtschaftlich selbstständig zu werden, sonst verliert sie ihre Aufenthaltsbewilligung wieder. Arbeit finden ist nicht einfach – mit schlechten Deutschkenntnissen, ohne in der Schweiz anerkannte Ausbildung und mit der Angst, die nie ganz verschwindet. "Ich war in der Sklaverei. Das bleibt mir mein ganzes Leben." Es gibt Strassen und Orte in der Stadt, die sie immer noch nicht erträgt. Aber manchmal geht sie bewusst am Limmatplatz einkaufen, obwohl der Sihlquai gleich dahinter liegt.
Weil Esther Hodos aus einem EU-Land stammt, ist die Regelung für sie vergleichsweise grosszügig: Viele Härtefallbewilligungen laufen schon nach einem Jahr aus. "Das erzeugt einen ungeheuren Druck", sagt Susanne Seytter. "Ein Trauma ist nicht in ein paar Wochen verarbeitet."
Irina Spirgi ist Hodos› Beraterin bei der FIZ-Abteilung Makasi. Die beiden duzen sich, so wie alle hier. Das sei wichtig, um Vertrauen aufzubauen, sagt Spirgi. Sie fragt nach, wenn Hodos stockt, muntert sie auf: "Der Täter ist verurteilt. Das haben wir gemeinsam geschafft." Spirgi wirkt entspannt und ansteckend herzlich. Es fällt auf, wie sorgfältig die FIZ-Frauen auch miteinander umgehen. Obwohl die Arbeit belastend und stressig ist und das Geld kaum reicht – die FIZ arbeitet teilweise direkt im Auftrag des Staats und der Kantone, wird dafür aber nicht kostendeckend bezahlt.
Wenn eine Frau die Schweiz verlassen muss oder will, meldet sich die FIZ bei einer befreundeten Organisation im Herkunftsland. Diese klärt ab, ob die Frau gefährdet ist, holt sie auf dem Flughafen ab und sucht ihr eine Unterkunft für die erste Zeit. Susanne Seytter erklärt: "Oft sind Frauen von Verwandten, Nachbarn oder Schulkameraden mit falschen Versprechen angeworben worden. Dann können sie nicht an ihren alten Wohnort zurück."
Die Arbeit der FIZ sei seit den Anfängen ähnlich geblieben, sagt die heute achtzigjährige Pionierin Regula Renschler. "Es geht immer noch um Beratung, politische Einmischung und Bewusstseinsbildung, auch wenn die Frauen heute aus anderen Ländern kommen. Damals galt Frauenhandel als Problem von Feministinnen – heute ist es Thema von Uno-Versammlungen!"
*Der Name und einige Details wurden zum Schutz der Zitierten geändert.  

Föderalismus hilft nichtEin Anfang ist gemacht – doch das reicht noch nicht. So lässt sich der Bericht zusammenfassen, den "Greta", das Expertengremium des Europarats zu Menschenhandel, Mitte Oktober veröffentlicht hat. Greta bemängelt, dass sich die Kantone unterschiedlich gegen Menschenhandel engagieren; acht Kantone tun gar nichts. Zudem unternehme die Schweiz zu wenig, um auch Kinder, Männer und Asylsuchende, die Opfer von Menschenhandel sein könnten, zu erkennen und zu schützen. Und während es Präventionskampagnen in einigen Herkunftsländern gebe, werde die Schweizer Bevölkerung zu wenig über das Thema informiert.  

Dreissig Tage Zeit können Opfer von Menschenhandel in der Schweiz heute beantragen: Bedenk- und Erholungszeit, um zu entscheiden, ob sie gegen die TäterInnen aussagen wollen. Hodos wollte, darum durfte sie in der Schweiz bleiben, zumindest bis zum Ende des Prozesses. Eine Polizistin der Spezialeinheit Menschenhandel unterstützte sie. Über die Schweizer Polizei weiss die Ungarin nur Gutes zu berichten: "Sie hat eine Superarbeit geleistet. Die Beamten sind nett und ruhig, nicht wie bei uns. Wer in Ungarn aussagt, gilt schnell selbst als Täter."
Trotzdem schaffte sie es nicht, über ihre Demütigung zu sprechen. Also schrieb sie auf, was ihr passiert war. Am Ende war der Bericht fünfzig Seiten lang.
Dass die Zürcher Polizei richtig reagierte, dass Esther Hodos den Menschenhändler an- zeigen und in der Schweiz bleiben konnte, ist zu grossen Teilen der beharrlichen Arbeit der FIZ zu verdanken. Die Fachstelle wird dieses Jahr dreissig Jahre alt. "Es geht uns nicht um Hilfe – der Begriff ist zu schwach", sagt FIZ-Geschäftsführerin Susanne Seytter. "Es geht um Rechte."
Selbst gewählte Sexarbeit und Zwangsprostitution sind nicht dasselbe, das betonen die FIZ-Frauen immer wieder. Darum hat die FIZ heute drei Zweige: politische Arbeit, Makasi, die Interventionsstelle für Opfer von Frauenhandel, und die Beratungsstelle für Migrantinnen – die unter anderem auch eine wichtige Anlaufstelle für Sexarbeiterinnen ist.  

Von Hells Angels verfolgt  

"Am Anfang hatten wir die ganze Welt gegen uns", sagt Regula Renschler. Die Journalistin, damals Fachsekretärin der kritischen NGO Erklärung von Bern (EvB), gab 1981 den Anstoss zur Gründung der FIZ. Als "Abspaltung" der EvB war 1977 schon der arbeitskreis tourismus und entwicklung entstanden, "weil uns bewusst wurde, dass der direkte Kontakt zwischen Industrie- und Entwicklungsländern vor allem über den Tourismus stattfand". Und ein Teil der Touristen suchte nicht Strände oder Safaris, sondern Sex. Oder eine Ehefrau.
Dann zeigte das West
schweizer Fernsehen 1981 einen Dokumentarfilm über eine philippinische Tänzerin, die von einem 
Schweizer Barbesitzer übel ausgebeutet wurde. Aus diesem Anlass organisierte Renschler eine Diskussion über Frauenhandel mit Vertreterinnen von Hilfswerken, Frauenorganisationen und kirchlichen Stellen. Dort war die Gründung einer Fachstelle erstmals ein Thema. Ausserdem klagte die EvB, vertreten durch den späteren Bundesrat Moritz Leuenberger, gegen den Barbesitzer. Der Fall kam bis vor Bundesgericht und endete 1989 mit einem Vergleich.
Anfang der achtziger Jahre habe sich kaum jemand für Frauenhandel interessiert, sagt Regula Renschler. "Wir wurden in die feministische Schmuddelecke gestellt. Vor allem die Männer nahmen das Thema lange nicht ernst, die Banken schienen ihnen wichtiger… Und auch international war Frauenhandel kein Thema. Die wirtschaftlichen Zusammenhänge wurden noch nicht wahrgenommen." Schliesslich war das Hilfswerk Swissaid bereit, eine Halbtagesstelle zu finanzieren. 1985 begann die FIZ mit ihrer Arbeit.
Im Gründungsjahr war Frauenhandel auch das Thema der EvB-Generalversammlung. "Im Publikum fielen uns seltsame Typen in Motorradkluft auf", erzählt Renschler. "Es waren Hells Angels! Nach der Versammlung fuhren sie uns demonstrativ mit den Töffs hinterher. Handelten sie im Auftrag von Barbesitzern, die ihr einträgliches Gewerbe bedroht sahen?"
In den Anfangsjahren hätten die FIZ-Frauen "Sexarbeit, Heiratsmigration und Cabaretarbeit allesamt als Frauenhandel begriffen, und die meisten Migrantinnen galten als Opfer". So steht es in der Broschüre, die die FIZ dieses Jahr zum Jubiläum veröffentlicht hat. "Nein, so einfach war das nicht", kommentiert Regula Renschler. "Es gab von Anfang an zwei verschiedene Einstellungen."
Die FIZ hatte gute Kontakte nach Asien, mit Vertreterinnen feministischer Organisationen in Thailand und mit katholischen Ordensfrauen auf den Philippinen. "Die Filipinas waren tatsächlich der Meinung, man sollte Prostitution wenn möglich verhindern. Aber die Thailänderinnen stellten das total infrage." Auf langen Recherchereisen in Thailand sah Renschler das ganze Spektrum: "Es gab Bordelle mit Neunjährigen. Zuerst mussten sie Tee kochen, mit zwölf oder dreizehn wurden sie dann ins Gewerbe eingeführt – grauenhaft. Aber wir trafen auch erwachsene Frauen, die mit Lohn und Vertrag arbeiteten. Sie sagten: ‹Lasst uns in Ruhe, uns geht es gut.› In der FIZ hatte jede ihre eigene Meinung, aber als Organisation verhielten wir uns neutral."
Susanne Seytter, die FIZ-Geschäftsführerin ärgert sich, wenn nicht zwischen Sexarbeit und Menschenhandel unterschieden wird: "Menschenhandel ist eine schwere Straftat. Sexarbeit ist legal." Die Sexarbeiterinnen selbst hätten der FIZ immer wieder deutlich gemacht, dass sie keine Opfer seien. "Klar hatten sie nicht unzählige Optionen. Aber unter den gegebenen Möglichkeiten wählten sie bewusst diese." Die FIZ sei sehr parteilich, zugleich aber pragmatisch: "Es wird immer käuflichen Sex geben, und Illegalität erhöht das Gewaltrisiko."

"Der Druck zur Migration bleibt"

Es ist paradox: Die Debatte über ein Prostitutionsverbot kocht immer wieder hoch, alle wollen den "armen Frauen" helfen, und gleichzeitig wird den Sexarbeiterinnen und Cabarettänzerinnen das Leben immer schwerer gemacht. In der Stadt Zürich ist es wegen der neuen Prostitutionsgewerbeverordnung und der Bau- und Zonenordnung enorm kompliziert geworden, einen eigenen kleinen Salon zu führen – dabei wäre das eine der sichersten und autonomsten Formen der Sexarbeit (siehe WOZ Nr. 38/13). Und auf Anfang 2016 schafft der Bundesrat das Cabaretstatut ab, das Frauen aus Nicht-EU-Ländern bis jetzt die legale Arbeit ermöglicht. "Der Druck zur Migration bleibt", sagt Seytter. "Die Frauen werden andere Wege suchen, um in die Schweiz zu kommen – und wenn sie illegal hier sind, ist es viel schwieriger, sie zu unterstützen." Sie fordert legale Arbeitsmöglichkeiten für Menschen aus Nicht-EU-Staaten – nicht nur für Tänzerinnen.

Ein Trauma braucht mehr Zeit

Esther Hodos› Aussagen überzeugten die Staatsanwaltschaft. Der Menschenhändler wurde verurteilt. Die FIZ stellte für Hodos ein Härtefallgesuch. Jetzt hat sie fünf Jahre Zeit, um wirtschaftlich selbstständig zu werden, sonst verliert sie ihre Aufenthaltsbewilligung wieder. Arbeit finden ist nicht einfach – mit schlechten Deutschkenntnissen, ohne in der Schweiz anerkannte Ausbildung und mit der Angst, die nie ganz verschwindet. "Ich war in der Sklaverei. Das bleibt mir mein ganzes Leben." Es gibt Strassen und Orte in der Stadt, die sie immer noch nicht erträgt. Aber manchmal geht sie bewusst am Limmatplatz einkaufen, obwohl der Sihlquai gleich dahinter liegt.
Weil Esther Hodos aus einem EU-Land stammt, ist die Regelung für sie vergleichsweise grosszügig: Viele Härtefallbewilligungen laufen schon nach einem Jahr aus. "Das erzeugt einen ungeheuren Druck", sagt Susanne Seytter. "Ein Trauma ist nicht in ein paar Wochen verarbeitet."
Irina Spirgi ist Hodos› Beraterin bei der FIZ-Abteilung Makasi. Die beiden duzen sich, so wie alle hier. Das sei wichtig, um Vertrauen aufzubauen, sagt Spirgi. Sie fragt nach, wenn Hodos stockt, muntert sie auf: "Der Täter ist verurteilt. Das haben wir gemeinsam geschafft." Spirgi wirkt entspannt und ansteckend herzlich. Es fällt auf, wie sorgfältig die FIZ-Frauen auch miteinander umgehen. Obwohl die Arbeit belastend und stressig ist und das Geld kaum reicht – die FIZ arbeitet teilweise direkt im Auftrag des Staats und der Kantone, wird dafür aber nicht kostendeckend bezahlt.
Wenn eine Frau die Schweiz verlassen muss oder will, meldet sich die FIZ bei einer befreundeten Organisation im Herkunftsland. Diese klärt ab, ob die Frau gefährdet ist, holt sie auf dem Flughafen ab und sucht ihr eine Unterkunft für die erste Zeit. Susanne Seytter erklärt: "Oft sind Frauen von Verwandten, Nachbarn oder Schulkameraden mit falschen Versprechen angeworben worden. Dann können sie nicht an ihren alten Wohnort zurück."
Die Arbeit der FIZ sei seit den Anfängen ähnlich geblieben, sagt die heute achtzigjährige Pionierin Regula Renschler. "Es geht immer noch um Beratung, politische Einmischung und Bewusstseinsbildung, auch wenn die Frauen heute aus anderen Ländern kommen. Damals galt Frauenhandel als Problem von Feministinnen – heute ist es Thema von Uno-Versammlungen!"
*Der Name und einige Details wurden zum Schutz der Zitierten geändert.