50 Jahre Schweizer Entwicklungszusammenarbeit: Der Kampf gegen die Armut gerät aus dem Blickfeld
Entwicklungszusammenarbeit basiert nicht auf kurzfristigen Erfolgen, sondern auf langfristigen Veränderungen. Der Titel des Buchs ist also Programm: "Wer langsam geht, kommt weit". Autor René Holenstein bekennt sich zur Entwicklungszusammenarbeit, die Menschen in armen Ländern unterstützt. "Menschen, die an der Basis für ein besseres Leben kämpfen."
Pionierzeit
Holenstein selbst arbeitet seit über zehn Jahren bei der Deza. Er schildert auf verständliche Weise die Geschichte, die Grundsätze, Stärken und Besonderheiten der staatlichen Hilfe.
In der Pionierzeit (1960er Jahre) standen technische Projekte im Vordergrund: Entwicklungshelfer schwärmten aus, um Hängebrücken, Wasserpumpen oder Käsereien zu bauen. Inzwischen ist die Entwiclungszusammenarbeit komplexer geworden: Sie will auch politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen beeinflussen.
Schon immer aber hat sich Entwicklungshilfe im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen bewegt. Den einen geht es um die Solidarität mit Benachteiligten. Anderen dient die Hilfe als Hebel für neue Absatzmärkte und diplomatische Bgeziehungspflege. Die Praxis ist nicht widerspruchsfrei.
Seinem Anspruch, die Menschen ins Zentrum zu stellen, bleibt der Autor treu. 15 Erfahrungsberichte von Persönlichkeiten, welche die Deza-Geschichte prägten, lockern die beschreibenden und analytischen Teile auf. Manchen sie lebendig und greifbar. Ein Beitrag stammt von Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss.
Holenstein zeigt, dass Entwicklungshilfe sinnvoll ist und Resultate bringt. Auch wenn diese nicht immer einfach messbar sind. Gleichzeitig warnt er vor zu hohen Ansprüchen: Entwicklungshilfe alleine könne Armut nicht beseitigen. Hierzu seien strukturelle Veränderungen nötig, international und im jeweiligen Land. "Aber sie kann dazu beitragen, das Recht der Armen auf Grundversorgung zu sichern und Gerechtigkeit zu fördern."
Die Deza befindet sich im Umbruch. Sie wurde grundlegend reorganisiert und von Departementschefin Micheline Calmy-Rey an die kurze Leine genommen. Gerne hätte man noch mehr über die aktuellen Auseinandersetzungen erfahren. Ärmere Länder verlieren zugunsten wirtschaftlich interessanterer Schwellenländer an Aufmerksamkeit. Das Schlagwort "Swissness" macht die Runde: Entwicklungshilfe müsse die Marke Schweiz verkaufen. Und man will auch mit Konzernen wie Nestlé kooperieren.
Swissness
Holenstein geht auf diese Debatten nur am Rande ein. Er kritisiert, "Grundanliegen wie der Kampf gegen die Armut und für soziale Gerechtigkeit" gerieten immer mehr aus dem Blickfeld. Deutliche Worte findet der ehemalige Deza-Direktor Walter Fust: Er verurteilt die Instrumentalisierung der Hilfe für sachfremde Zwecke und die "Swissness"-Ansprüche. Die Geschichte der Deza ist noch lange nicht zu Ende geschrieben.
René Holenstein: Wer langsam geht, kommt weit. Ein halbes Jahrhunder Schweizer Entwicklungshilfe. Chronos-Verlag, Zürich 2010, 294 Seiten, CHF 38.-