Reisen in autoritäre Regime
Gleichzeitig sind es spannende und reizvolle Reiseländer. Während viele genau diese Länder bereisen wollen, gibt es auch jene Reisenden, die ethisch-moralische Bedenken haben: Werden sie vom Regime für Propagandazwecke missbraucht, wie es etwa in Nordkorea oder Syrien systematisch geschieht? Oder finanzieren sie mit ihrem Aufenthalt die unterdrückerische Regierung?
Andrerseits haben Reisende in manchen Ländern das Potenzial, einen Wandlungs- bzw. Demokratisierungsprozess mitzubewirken, indem die Forderung nach Menschenrechten immer grösser wird. Auch zeigen Reisende, dass eine andere Lebensweise und andere Werte möglich sind. Und: Zumeist handelt es sich um Länder, wo viele Menschen auf Tourist*innen angewiesen sind. Bleiben sie – und damit ihre Unterstützung weg –, kann das dazu beitragen, dass die Menschen verarmen und das autokratische System erst recht erstarkt.
Was die Reiseentscheidung weiter erschwert: Wo setzt man die Grenze? Schliesslich leben nur 20 Prozent der Weltbevölkerung in «freien» Ländern gemäss Freedom House.
Darf man Autokratien und Diktaturen bereisen? Es kommt drauf an. Jedenfalls gilt es einige Punkte zu beachten:
9 kritische Punkte bei einer Reise in ein autoritäres Land
1. Deine Reiseabsicht
Halte für dich selbst schriftlich fest, aus welchem Motiv du in das Gebiet reisen möchtest, wo Menschen in ihren Grundrechten bedroht sind:
Möchtest du einzigartige Natur- und Kulturschätze sehen oder die Lebensweise und Kultur der Menschen im Land verstehen? Oder geht es dir auch um den Adrenalinkick oder den Statusgewinn, dass niemand in deinem Bekanntenkreis im Iran oder in Nordkorea war?
Ist dir das wert, dafür in Kauf zu nehmen, ein Unrechtsregime zu unterstützen? Was tust du dagegen – siehe Punkte 2 bis 9?
2. Die Sicherheitslage
Reisen in Länder mit autoritären Regimen bergen auch für dich als Reisende*r Risiken.
Zu deiner eigenen Sicherheit empfehlen wir dir, Reisewarnungen des auswärtigen Amtes oder des Aussendepartementes (EDA, Bundesministerium AT und Deutsches Aussendepartement) zu beachten.
3. Die Vorbereitung
Informiere dich über das Land, seine Gesetze, kulturelle Normen und politischen Bedingungen. Zum Beispiel mit Literatur, die hinter die touristische Kulisse blickt, mit Länderberichten von Menschenrechtsorganisationen oder alternativen Reiseführer wie die SympathieMagazine. Mehr dazu auf unseren Länderseiten.
4. Katalysator für Menschenrechtsverletzungen
Wenn du dem System finanziell nicht in die Hände spielen willst, umgehe, wann immer möglich, touristische Infrastruktur und Sehenswürdigkeiten, die sich im Besitz des Staates befinden. Die Kunst ist, zum Beispiel Hotels in nicht-staatlichem Besitz zu finden. Ein menschenrechtsaffiner Reiseveranstalter kann dir dabei helfen (siehe Punkt 5).
Noch herausfordernder ist Folgendes: Es kann dir passieren, dass du unwissentlich und ahnungslos Menschenrechtsverletzungen unterstützt. In Myanmar beispielsweise wurden grosse Teile von Strassen und Zufahrtsstrecken zwischen touristischen Attraktionen durch Zwangsarbeit gebaut. Solches selbst herauszufinden, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit. Deshalb empfehlen wir nachdrücklich, mit einem Reiseveranstalter zu reisen, der sich im Lande auskennt. Siehe nächster Punkt.
5. Die Wahl der Reiseveranstalter*in
Du willst dich in einem autoritär regierten Land bewegen, aber das Regime nicht unterstützen? Das ist äusserst anspruchsvoll und erfordert eine lange Auseinandersetzung mit der Region und der Situation. Wir empfehlen daher, mit einem Unternehmen oder einer Person zu reisen, die auf das Land spezialisiert und menschenrechtsaffin ist. Während einige Reiseveranstalter*innen Fakten verschweigen oder gar verfälschen, sprechen verantwortungsbewusste Veranstalter*innen die Situation (etwa auf ihrer Website) an und nennen ihre Gegenmassnahmen. Solche Reiseveranstalter*innen findest du hier, hier und hier.
6. Der Kontakt mit den Menschen
So wertvoll spontane Begegnungen mit den Menschen vor Ort sind, in einigen Ländern gelingt das fast nicht – oder nur ausgebufften Profis. Nordkorea zum Beispiel: Hier wird alles, was man zu sehen bekommt, vom Regime dirigiert. Dennoch ist dieser Austausch wichtig, gerade für die Menschen im Lande. Dabei stellt sich dir die Frage: Kannst du die (Körper-)Sprache so gut, dass du verstehst, wie es den Menschen geht und sie deine Fragen beantworten? Eine Herausforderung. Mit einer gründlichen Vorbereitung (Punkt 3) und einem guten Reiseveranstalter (Punkt 5) gelingt sie eher.
7. Das Hinterfragen des Gesehenen und Erlebten
Hinterfrage in autoritär geführten Ländern, was du siehst und hörst. Die Propaganda versucht zu bestimmen, was du über die touristischen Angebote und die regionalen Medien wahrnimmst. In Syrien beispielsweise lassen sich Reisen so gut wie gar nicht ohne die intensive Absprache mit Regierungsbehörden organisieren. Das Assad-Regime bemüht sich sogar regelrecht um Tourist*innen, die die wirtschaftliche Lage des Landes ankurbeln. Unterstützung der Propaganda-Politik inklusive.
8. Die eingeschränkte Medien- und Meinungsfreiheit
Wir empfehlen, kritische oder kontroverse Themen zu vermeiden, insbesondere in der Öffentlichkeit. Du kannst deine Gesprächspartern*innen in Gefahr bringen. Sei auch vorsichtig bei der Kommunikation über soziale Medien, da autoritäre Regierungen möglicherweise den Online-Verkehr überwachen. Nutze zum Beispiel Virtual Private Networks (VPNs), um deine Kommunikation zu schützen.
9. Deine Berichte des Erlebten
Du kannst Informationen aus erster Hand sammeln und nach deiner Rückkehr von der Situation im Land und dem Erlebten berichten. Je mehr Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Situation gelenkt wird, desto besser.