Alain de Botton: Airport. Eine Woche in Heathrow
Basel, 28.06.2010, akte / Vor allem im Sommer sind die internationalen Flughäfen wieder Orte des Übergangs: Hier nabeln sich Reisende vom Alltag ab; das Ferienhotel scheint bereits näher als die eigene Wohnung. Wer sich von Angehörigen verabschiedet, am Check-in-Schalter ansteht oder im Duty Free-Shop einkauft, nimmt den Abflughafen selbst höchstens als Kulisse wahr – es sei denn, spuckende Vulkane wie der isländische Eyjafjallajökull, Pilotenstreiks oder Verspätungen zwingen die Reisenden dazu, sich genauer mit ihrer Umgebung auseinanderzusetzen. Was sie dann sehen würden, können sie in "Airport" nachlesen, dem neuen Buch von Alain de Botton. Der in London lebende Schriftsteller und Philosoph verbrachte "Eine Woche in Heathrow", genauer: auf Terminal 5. Dabei sah er mehr als viele Reisende, die nur schnell durch die Hallen huschen. Denn als erster "Writer in Residence" in Heathrow erhielt de Botton von seinem Auftraggeber, der Grupo Ferrovial, ungehinderten Zugang zum Terminal, zu Läden, Lounges und den Orten, die normalerweise hinter Sicherheitsbarrieren abgeschottet sind. Somit ist "Airport" als Auftragswerk entstanden – de Botton ist sozusagen der verlängerte Arm der PR-Abteilung von Heathrow, Werbung 2010.
Das lässt zunächst Zweifel an der Unabhängigkeit des Geschriebenen aufkommen. Tatsächlich gerät de Botton über die Architektur des Terminals ins Schwärmen. Es wirkt rührend, wenn der schüchterne Autor feststellt, dass Willie Walsh, der Vorstandschef von British Airways, auch nur ein Mensch ist, der sogar mit den Schuhen auf Bänke steigt. Und de Bottons Begeisterung für Flugzeuge und Orte des Übergangs mag an manchen Stellen etwas angestrengt daherkommen – hätte er nicht bereits mit "Die Kunst des Reisens" bewiesen, dass ihn das Thema fesselt.
Im neuen Buch nun begegnet den Lesenden kein Nietzsche und kein Kierkegaard. Als sich de Botton aufmachte, um eine Woche im Flughafen zu verbringen und im Sofitel zu übernachten, liess er den Philosophen zuhause und nahm vor allem den Beobachter mit. Beim Lesen begleitet man den Autor bei Abschieden, beim Warten auf die Ankunft von Familienmitgliedern oder beim Check-in ungeduldiger Passagiere. Hin und wieder würde man gern vorspulen, aber seine Interpretationen, Assoziationen und offenen Fragen sind das bisschen Geduld wert, dass es für die nur 128 Seiten braucht. So spürt de Botton der mit der Aussicht auf Ferien verbundenen unbezwingbaren Erwartungshaltung nach, die aus aufbrechenden Familien Nervenbündel macht. "Die angespannte Atmosphäre… rief mahnend jene rigide, gnadenlose Logik in Erinnerung, der menschliche Stimmungen nun einmal unterliegen und die wir ignorieren, wenn wir ein Bild von einem schönen Haus in einem fremden Land sehen und glauben, mit solchem Komfort müsse unweigerlich auch ein wenig Glück einhergehen."
Noch interessanter sind die Blicke an Orte, die sonst nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind: Die Immigrationsbehörde in den unteren Stockwerken etwa, wo diejenigen landen, die ohne gültige Papiere unterwegs sind. De Botton gelingt es hier, mit wenigen Sätzen die Absurdität des Ortes aufzuzeigen: Während die Eltern mit den Beamten von der Immigrationsbehörde reden, seien es Dinge wie Legosteine, Fruchtgummis und Digitalwecker, die den unfreiwillig spielenden Kindern von England in Erinnerung bleiben werden. Wer Pech hat und auf der falschen Weltkugel lebt, wird aus Mangel an Möglichkeiten nur wenigen von de Bottons Beobachtungen etwas abgewinnen können. Reisende jedoch, die auf dem Flughafen festsitzen oder sich ihre Wartezeit verkürzen wollen, finden eine leichtfüssige Reportage über den oft unbeachteten, aber zentralen Ausgangspunkt ihrer Ferien. Gleichzeitig werden sie daran erinnert, wie viele Personen zur Reise beitragen. Beispielsweise Ruta aus Litauen, die für Flugzeugmahlzeiten Koteletts paniert.
Alain de Botton: Airport. Eine Woche in Heathrow. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Fotografien von Richard Baker. S.Fischer, Frankfurt a. M. 2010, 128 Seiten, CHF 29,90, Euro 16,95