Alice Grünfelder, Lucien Leitess (Hrsg.)
Basel, 08.08.2009, akte/ Gebannt schaut die Welt einmal mehr auf Burma. Am 11. August soll das Verdikt gegen Aung San Suu Kyi verkündet werden. Falls die Militärmachthaber diesen infamen Prozess gegen die Friedensnobelpreisträgerin nicht nochmals hinauszögern. Seit Wochen geht die Farce dieses Tribunals über die Bühne, wo doch die harte Verurteilung der Leaderin der burmesischen Demokratiebewegung längst ausgemachte Sache ist. Beobachter des Prozesses befürchten gar eine mehrjährige Gefängnisstrafe für die seit 13 Jahren unter Hausarrest stehende Aung San Suu Kyi. Zur Last gelegt wird ihr, dass sie einen Amerikaner, der über den Inya-See zu ihrem abgeschirmten Haus geschwommen ist, aufgenommen und damit die Regeln ihres Hausarrestes durchbrochen hat. Ein Vorfall, wie er von der machthabende Junta nicht besser hätte inszeniert werden können, um die unbequeme "Lady" im Vorfeld der für nächstes Jahr angekündigten Wahlen von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Alle Appelle, sogar vom UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Generälen persönlich vorgebracht, Aung San Suu Kyi einen fairen Prozess zu gewähren und sie sowie die mittlerweile über 2’000 politischen Gefangenen endlich freizulassen, prallen an der Militärregierung ab. Und einmal mehr verharrt die internationale Gemeinschaft ohnmächtig.
Da kommt die "Reise nach Myanmar", das der Unionsverlag in seiner neuen Reihe "Kulturkompass fürs Handgepäck" herausgegeben hat, gerade recht. Der literarische Sammelband ist mehr als einfach eine Einladung zur Reise nach Burma, von der die demokratischen Kräfte des Landes nach wie vor abraten. Er ist ein Schlüssel für ein besseres Verständnis dieses rätselhaften Landes, das auf Geheiss der Militärs in Myanmar umbenannt wurde. Die Anthologie räumt fremden, westlichen Burmareisenden viel Platz ein. Dabei ist erstaunlich, welche Faszination Burma auf die Reisenden ausübt, wie aber auch die Begegnung mit diesem zerrissenen, von Kolonialerbe und Gewalt geprägten Land die BesucherInnen prägt. So wird jeder Text zu einem Baustein, um dem Rätsel von Burma näher zu kommen: Der weltgewandte Pierre Loti erliegt der Faszination. George Orwell hingegen radikalisiert sich aufgrund seiner Erfahrungen als britischer Kolonialbeamter in Burma gegen das britische Empire. Auch der zeitgenössische indische Schriftsteller und promovierte Sozialanthropologe Amitav Gosh kommt zu Wort, hat er doch in seinem erfolgreichen historischen Roman "Der Glaspalast" das Schicksal der burmesischen Königsfamilie bei der Übernahme Burmas durch die britische Kolonialverwaltung und auf ihrem Weg in die Verbannung geschildert. Interessant in der Gegenüberstellung dazu ist die Verschleppung des Staatsoberhauptes des Volkes Shan und die Auflösung dieses Regimes fast ein Jahrhundert später bei der Machtübernahme durch Diktator Ne Win 1962. Diese Schilderung stammt aus dem Roman "Dämmerung über Birma" von Inge Sargent. Die Kärntnerin hatte in den USA einen burmesischen Bergbauingenieur geheiratet und stellte erst beim Umzug nach Burma fest, dass ihr Mann Prinz des burmesischen Bergstaates Hsipaw und Oberhaupt des Volkes der Shan war.
Die spannenden Reportagen von Edelsteinhändler Roland Schlüssel über das verbotene Tal der Rubine, der Gebrüder André und Louis Boucaud über die Hintergründe von Rauschgift-, Antiquitäten- und Juwelenhandel, die sie immer wieder im Le Monde Diplomatique analysieren, sowie von Bertil Lintner, dem profunden Kenner des Kampfes der ethnischen Minderheiten im aktuellen Burma, geben Aufschluss über aktuelle Realitäten in Burma, die wirtschaftliche Lage und die verzweifelte Situation der Indigenen. Gleichzeitig zeigen sich in den Texten die Wurzeln der schier unüberwindbaren Schwierigkeiten, mit denen sich das seit der britischen Unabhängigkeit zusammengestückelte Land auseinandersetzen muss.
Zwei Märchen aus der von Eugen Jung zusammengestellten Sammlung geben Einblick in die reiche Fabelwelt und ermöglichen eine andere Annäherung an das Land. In vier einfühlsamen Portäts des zeitgenössischen Autors Mya Than Tint, einem der wenigen im Sammelband rezipierten AutorInnen aus Burma, nehmen endlich auch Menschen, die heute in Burma leben, Gestalt an. Sie führen ein Leben in einem äusserst prekären und stets bedrohten Alltag. Die Porträts stehen in einem eigentümlichen Kontrast zur exotischen Faszination, die TouristInnen im rückständigen und unterdrückten Burma heute erleben. Mehr solcher Innen-Ansichten würde man sich wünschen, selbst wenn sie schwer zu finden sind und nicht immer strengen literarischen Kriterien zu genügen vermögen. So hätte auch ein Zeugnis eines Mönchs der Safranrevolution vom Herbst 2007 der Anthologie des Unionsverlages noch eine weitere wichtige Dimension des Widerstandes religiöser Kreise gegen das machthabende Militär vermitteln können.
Doch der Abschluss des Sammelbandes wird wohl auch die entschiedensten Kollaborateure aus Industrie und Reisebranche mit dem Militärregime gehörig aufrütteln: Es ist der erstmals auf Deutsch veröffentlichte Text von Michael Aris "Aung San Suu Kyi – Vermächtnis für die Zukunft". Michael Aris, seit 1972 mit Aung San Suu Kyi verheiratet, erzählt darin, was seine Frau 1988 zur Rückkehr nach Burma bewegt hat, weshalb sie sich so aktiv im Kampf für die Demokratie im Land engagiert und was dieses Engagement für ihre Familie bedeutet hat. Sein Vermächtnis rührt an. Michael Aris ist 1999 in England verstorben, seine Frau durfte ihn nicht mehr sehen, ohne das Risiko einzugehen, nie mehr nach Burma zurückzukehren.
Alice Grünfelder, Lucien Leitess (Hrsg.): Reise nach Myanmar. Kulturkompass fürs Handgepäck, Unionsverlag Zürich 2009, 253 Seiten, CHF 17.90, Euro 9,90, ISBN 978-3-293-20443-0, www.unionsverlag.com