Basel, 16.03.2012, akte/ Das Bildungssystem in Europa war in den letzten Jahren von einer rasanten Abfolge von Reformen gekennzeichnet. So drehen sich die heute die Diskussionen um kürzere Schullaufbahnen, Credit-Points oder PISA-Studien. Welchen Platz hat in diesem Umfeld die Entwicklungspolitische Bildungsarbeit, das "Globale Lernen" oder die Bildung für Nachhaltige Entwicklung? Die neuste Ausgabe des iz3w-Magazins macht einen Streifzug durch die nord-südpolitische Bildungslandschaft, in Form von Interviews mit sechs Anbietern für Globales Lernen in Deutschland.
Globales Lernen. Eine Definition
Im Nachgang zum Weltgipfel Rio+10 und zur Vorbereitung der UNO-Dekade "Bildung für Nachhaltige Entwicklung" definierte der Europarat, was unter Globalem Lernen zu verstehen ist: "Globales Lernen bedeutet Bildungsarbeit, die den Blick und das Verständnis der Menschen für die Realitäten der Welt schärft und sie zum Einsatz für eine gerechtere, ausgewogenere Welt mit Menschenrechten für alle aufrüttelt." Dabei umfasst Globales Lernen "Entwicklungspolitische Bildungsarbeit, Menschenrechtserziehung, Nachhaltigkeitserziehung, Bildungsarbeit für Frieden und Konfliktprävention sowie interkulturelle Erziehung, also die globalen Dimensionen der staatsbürgerlichen Bildung".
Der Blick auf den Süden: gönnerhaft und defizitorientiert
Interessant ist, dass die sehr unterschiedlichen befragten Anbieter von "Globalem Lernen" ähnliche Kritiken vorbringen. Sie beklagen die schwierigen Rahmenbedingungen für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit. Die Einsätze sind schlecht bezahlt, sehr komplexen Inhalten stehen kleine Zeitfenster gegenüber und an den Schulen fehlt es an Konzepten für das "Globale Lernen". So geschehe das "Globale Lernen", das eigentlich ein kontinuierlicher Prozess sei, nur in punktuellen Einsätzen.
Die Folge: Der Blick auf die Länder des Südens sei weit herum ein gönnerhafter und defizitorientierter geblieben. Man spreche gerne von Armut, ohne auf die geschichtlichen Hintergründe vertiefter einzugehen, insbesondere auf den Kolonialismus, mit dem die heutigen Industrienationen ihr Investitionskapital für ihren kapitalistischen Erfolg zusammengeraubt haben. "Fange deine Geschichte mit ‹Zweitens› an, und die Pfeile der native Americans werden zu den eigentlichen Kriminellen und die Gewehre der Weissen zu Opfern. Es reicht, wenn deine Geschichte mit einem ‹Zweitens› beginnt, damit die Wut der Schwarzen gegenüber den Weissen barbarisch erscheint", wird der palästinensische Poet und Schriftsteller Mourid Barghouti zitiert.
In den Deutschen (ebenso wie in den Schweizer) Schulen funktioniert die Auslese der SchülerInnen entlang dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Status ihrer Eltern. Von der Chancengleichheit, die man angeblich anstrebt, ist man Lichtjahre entfernt. Wer von den entwicklungspolitisch Unterrichtenden aber die Unterrichtstrukturen hinterfrage, werde schnell wegstrukturiert und durch weniger kritische Lehrkräfte ersetzt. Das Globale Lernen sei "pädagogisiert" worden. Man spreche gerne von "Förderung von Handlungskompetenzen, Verstehen globaler Zusammenhänge oder Anregungen zu kritischem Konsum", doch dabei werde das "Globale Lernen" entpolitisiert.
Schliesslich hinterfragen die AutorInnen die unterrichteten Inhalte grundsätzlich: Wer schafft welches "Wissen" über wen?
"Ein wohltuendes Antidot gegen Halbwissen"
Dass die Analyse der Möglichkeiten und Beschränkungen des "Globalen Lernens" von iz3w kritisch ausfallen würde, ist klar: das Informationszentrum in Freiburg im Breisgau schreibt über sich: "Im iz3w wollen wir uns nicht abfinden mit einer Welt, die nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung komfortabel ist. Um das Bewusstsein für die Unvernunft der bestehenden Ordnung wach zu halten, kritisieren wir die vorherrschenden sozialen, politischen, kulturellen und ökonomischen Beziehungen zwischen Nord und Süd und benennen Verteilungskämpfe als das, was sie sind. … Im iz3w fragen wir, wie die kapitalistischen Verhältnisse weltweit funktionieren und wie sie sich immer wieder herstellen. Was sind ihre sozialen, politischen, ökologischen und kulturellen Folgen in Nord und Süd? Und mit welchen Ideologien rechtfertigt sich die herrschende Weltordnung?"
Es sind spannende Beiträge, die zum Überdenken der eigenen Ansätze anregen. Nebst dem Dossier zu Bildung bietet das Heft wie üblich Analysen und Berichte zu Politik, und Ökonomie, Kultur und Debatten rund um die Länder des globalen Südens, die sonst kaum irgendwo zu finden sind. Autor Mark Terkessidis empfiehlt iz3w mit den Worten: "Das Heft ist ein wohltuendes Antidot gegen die Mischung aus Halbwissen, Google-Recherche und haltlosen Behauptungen, die derzeit in den Medien vorherrschen.“
Alles so schön bunt hier – Globales Lernen mit Defiziten. iz3w März/April 2012, Nr. 329. EUR 5.30, ISSN 1614-0095.
Erhältlich über https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/329; info@iz3w.org