Am 25. Februar ist mit Ron O’Grady ein Kämpfer für mehr Gerechtigkeit im Tourismus verstorben
"Tourism wreaked more havoc than brought benefits to recipient Third World countries" – der Tourismus hat in den Ländern der Dritten Welt mehr Verwüstung angerichtet als dass er ihnen Vorteile gebracht hätte.
Das war eine umwerfende Aussage. Sie kam ja nicht von irgendeiner Aktionsgruppe, sondern von Leuten aus der Dritten Welt, die selbst vom Tourismus betroffen waren. Ron O’Grady hatte 1980 als stellvertretender Generalsekretär der Christian Conference of Asia (CCA) Männer und Frauen aus verschiedenen Ländern in Asien zu einem Workshop nach Manila eingeladen, um über die Auswirkungen des Tourismus auf arme Länder zu reden. Der Tourismus in Asien boomte und die damit verbundene Prostitution. Hotelkomplexe wurden hochgezogen auf Land, das der einheimischen Bevölkerung weggenommen wurde, Trinkwasser ging an die Hotels, die Landbevölkerung hatte keines mehr, um ihre Felder zu bewässern. … Die Konferenzteilnehmer fragten: "Wer verdient eigentlich am Tourismus, wer verliert?" "Kann der Tourismus wirklich zu einem friedlichen Zusammenleben und zur Völkerverständigung beitragen?" Das Ergebnis war vernichtend: "Verbunden mit den regionalen Eliten und politischen Hegemonien war der Tourismus nicht nur sorglos gegenüber den geistigen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Bedürfnissen der Gastgeberländer, sondern hat ganze Kulturen, Gesellschaften und Völker zum Nutzen einiger weniger Reicher vernichtet," schrieb Ron O’Grady in Third World Tourism, Report of a Workshop, held in Manila, Philippines, September 12-25, 1980.
Was für Asien galt, das galt auch für andere touristische Ziele in der Dritten Welt. Die Analyse über die Auswirkungen des Tourismus auf arme Länder musste ausgeweitet werden. Ron O’Grady schrieb das Buch: "Third World Stopover – The Tourism Debate", es erschien 1981 beim World Council of Churches in Genf, auf deutsch unter dem Titel: "Zwischenlandung Dritte Welt – Ein Beitrag zur Tourismus-Kritik" 1982 in der Reihe "Texte zum Kirchlichen Entwicklungsdienst" in Frankfurt. Ron O’Gradys leidenschaftlicher Appell war: Man muss den Tourismus den Völkern wiedergeben. "Consider the poor" – denkt an die Armen. Was passiert denn, wenn arme Menschen Gastgeber für reiche Touristen sein müssen? Das war nicht nur eine Frage an die einzelnen Touristen, sondern eine eminent politische Frage. Was für ein Verständnis von Entwicklung steht dahinter? Wie kann wirtschaftliches Wachstum, soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Eigenständigkeit in den sogenannten "touristischen Destinationen", in armen Ländern verwirklicht werden? Was heißt "human development?"
Ron O’Grady kam mit einer kleinen Delegation (Rev. Peter Holden, Fr. Bonnie Mendes) nach Europa, um Kooperationspartner auf der Suche nach einem "gerechten Tourismus" zu finden. So lernten wir ihn kennen, als er auf dem Weg zum Vatikan in Rom und zum Weltrat der Kirchen in Genf war, der damals stark in Fragen der sozialen Gerechtigkeit engagiert war. Auch suchte er Partner in der Dritten Welt, vor allem in den überregionalen und überkonfessionellen Kirchenbünden. Das Ergebnis war, dass 1981 die "Ecumenical Coalition on Third World Tourism" gegründet wurde, in der asiatische, pazifische, karibische und afrikanische Kirchenbünde sich zusammenschlossen. Als erster Generalsekretär wurde der australische Pfarrer Peter Holden gewählt. Das Büro war in Bangkok, das Sprachorgan Contours. Schnell entwickelte sich eine enge Kooperation mit Organisationen in Europa, die auch gegen die Auswirkungen des Tourismus in der Dritten Welt kämpften, Bildungsprogramme für Touristen und die im Tourismus Beschäftigten erarbeiteten, die Alternativen im und zum Tourismus entwickelten, Organisationen wie die "Erklärung von Bern" und der "Arbeitskreis Tourismus und Entwicklung" in der Schweiz (heute akte) wie das "Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung" in Stuttgart (heute Tourism Watch). Zur selben Zeit gründeten die Europäer ihr eigenes Netzwerk, das European Net on Third World Tourism – TEN. Zusammen und mit vielen Kooperationspartnern aus der Politik, den Kirchen, mit NGOs wurden bedeutende Konferenzen organisiert, die bis in die Mitte der 90er Jahre von Ron O’Grady moderiert wurden. Er war ein exzellenter Moderator, witzig, nie verletzend, klug, zielorientiert, bescheiden. Als das Thema der sexuellen Ausbeutung von Kindern immer wichtiger wurde, initiierte Ron O’Grady die ECPAT – Kampagne, End Child Prostitution in Asian Tourism. Ron O’Gradys Gabe, Netzwerke zu knüpfen, Kontakte mit der Politik und der Wirtschaft, dem FBI und der Polizei herzustellen, führte zum ersten UN Kongress zu diesem Thema in Stockholm 1996. Inzwischen gibt es auf der ganzen Welt Gruppen, die sich mit diesem Thema befassen und versuchen die Prostitution mit Kindern und Kinderhandel zu ahnden.
Die Diskussion um den Dritte Welt Tourismus hat sich gewandelt. Zum einen sind die Touristenströme von Kontinent zu Kontinent enorm gewachsen. Zum anderen war die Kritik am Tourismus nicht umsonst. Es gibt heute sensibilisierte Touristen, die einen umweltfreundlichen und sozialverträglichen Tourismus praktizieren und lokale Kulturen respektieren. Ron O’Grady hat 1975 als erster einen "Code of Ethics" für Touristen veröffentlicht. Heute steht dieser oder ein ähnlicher in (fast) jedem Reiseprospekt.
Jetzt ist Ron O’Grady mit 83 Jahren in seiner Heimat Neuseeland gestorben. Wir, die wir in der Entwicklungsbezogenen Bildung tätig sind oder waren, die wir mit Ron für einen gerechten und verantwortbaren Tourismus arbeiteten und arbeiten, verdanken Ron O’Grady viel. Er war unser Spiritus rector, er hat uns motiviert, vernetzt, ermutigt.