Ökologisch. Sozial. Fair. Was eine bayerische Backfirma für sich so knackig reklamiert, passt auch in der Ferienbranche. Zumindest Umweltbewusstsein ist im touristischen Betrieb meist selbstverständlich. Schliesslich möchte der Urlauber sich den Strand nicht mit Müllhaufen teilen. Aber bis heute ist sich die Reisebranche uneinig darüber, ob und wie sie politisch wahrgenommen werden möchte. Die Urlaubslaune könnte getrübt, die Buchungsbereitschaft untergraben werden. Macht sich die Branche deshalb "politisch klein wie eine Maus", wie ein Gast meinte? Das fragten sich die TeilnehmerInnen des 19. Ammerlander Gesprächs vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung im oberbayerischen Sachsenkam. Seit 1994 wird einmal im Jahr in einem kleinen vertrauensvollen Rahmen ein offener Dialog geführt über aktuelle und brisante Themen touristischer Entwicklung.
Ganz im luftleeren Raum diskutierten die TeilnehmerInnen nicht. Immerhin gibt der von den Vereinten Nationen herausgegebene Ruggie Report verbindliche – und praktikable – Leitlinien für Unternehmen und Regierungen vor für mehr Menschenrechte – auch im Tourismus. Hinzu kommt die Forderung von Amnesty International, sich nicht nur für das Kernprodukt, sondern auch für die Wertschöpfungskette verantwortlich zu zeigen. Die Hauptverantwortung trügen zwar die jeweiligen Staaten, die entsprechende Regelungen schaffen müssten. Generell aber sollten sich Politik und Unternehmen gegenseitig anstossen,  so Amnesty.
Sind Veranstalter mit ethischen Forderungen überfordert?
In der Diskussion wurden unterschiedliche Positionen deutlich. So hält es ein Türkei-Anbieter schlicht für nicht praktikabel, Einkäufern bestimmte Regeln vorzugeben. Das könne die Branche angesichts des Preisdrucks nicht leisten. Die Gegenmeinung: Jeder der etwas verkauft, muss klären, dass er nicht "ein sozial kontaminiertes Produkt" verkaufe. überdies sei es durchaus möglich, in Agenturverträgen und für Einkäufer sozialverträgliche Regeln festzuschreiben. Die Touristik-Unternehmen trügen Verantwortung, und Anbieter von Studienreisen und sozialverträglichem Tourismus nähmen diese auch an. Ausserdem zeige die Diskussion um soziale Verantwortung von Unternehmen generell, dass soziales und menschenrechtsbezogenes Engagement nicht zu Wettbewerbsnachteilen führen müsse.
Im Gegenteil. Die KundInnen fordern es sogar ein. Ein kleiner Anbieter erzählte das Beispiel seiner Reisegäste, die die lange Arbeitszeit von AlbanerInnen in einem Hotel in Griechenland kritisierten. Der Veranstalter änderte daraufhin sein Arrangement, um den Beschäftigten einen freien Tag pro Woche zu ermöglichen.
Bekenntnis zu Menschenrechten als Unternehmensleitbild
Manche TouristikerInnen bekennen sich nicht nur im Unternehmensleitbild ohne Wenn und Aber zu Menschenrechten. Sie machen eine Bestandesaufnahme, holen die ReiseleiterInnen mit ins Boot und definieren Handlungsfelder. Dabei kann es sich etwa um Arbeitsbedingungen von Busfahrern, Agentur- und Hotelangestellten handeln, um Kinderschutz, um die Rechte von Minderheiten. Denn, so ein Veranstalterchef: "Man kauft uns nicht mehr das Bounty-Feeling der Traumstrände ab." Es gehe um ein differenziertes Bild vom Urlaub.
Die Installierung und Kontrolle der ethischen Vorgaben sei nicht schwierig, meinte ein führender Anbieter. Doch jetzt gehe man an die Inhalte heran, und da werde es aufwändig. Nötig wäre, dass die Branche dabei gemeinsam handle.
Von Amnesty International spannt man den Bogen noch weiter bis hin zu Problemen mit Land- und Wasserrechten. So gebe es rechtswidrige Zwangsräumungen, um Tourismus-Projekte zu verwirklichen. Mit verheerenden Folgen für Vertriebene, die Wohnung und Arbeit verlieren.
Es ging auch um die Frage, ob man eigentlich in Diktaturen Reisen anbieten soll? Darf man nach Nordkorea fahren? Einen Boykott lehnten die meisten TeilnehmerInnen, Auch Amnesty, generell ab. Denn der Tourismus habe ja Potenzial, die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu verbessern.
Es zeigte sich, dass es schwierig wird, Grenzen zu ziehen. Denn was ist mit den USA, in denen die Todesstrafe vollstreckt wird? Was mit Ländern, die mit Waffen handeln? Durch Tourismus-Verbot könne man schliesslich keine Menschenrechtsverletzungen verhindern, so ein Hochschullehrer. Genau hinschauen aber kann der Veranstalter- und sich seiner Verantwortung stellen.
Dieser Beitrag erschien in der Zeitschrift fvw am 16.10.2012. Die fvw ist seit über 40 Jahren das Magazin für Touristik und Business Travel. © 2012 Verlag Dieter Niedecken GmbH. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.