Amor Ben Hamida: Chronik einer Revolution: Wie ein Gemüsehändler einen Präsidenten stürzt.
Basel, 04.03.2011, akte/ Viel wurde über den Volksaufstand in Tunesien berichtet, der zum Sturz des Ben Ali-Regimes führte. Die Innen- oder zumindest Nahsicht der Ereignisse hätte man nicht unbedingt von Amor Ben Hamida erwartet. Ben Hamida, in Tunesien geboren, im Kinderdorf Pestalozzi in Trogen aufgewachsen und heute als Business Analyst in der Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re tätig, hat in den letzten fünf Jahren vorwiegend Liebes- und Lebensgeschichten publiziert, die uns die Optik seiner Landsleute näher bringen. Der Zufall wollte es, dass der Emigrant erstmals in 40 Jahren beschlossen hatte, seine Familie im südtunesischen Medenine nicht im Frühsommer oder Herbst zu besuchen, sondern im Januar 2011. So geriet er mitten in den Strudel der Ereignisse. Er hielt seine Eindrücke, Erlebnisse und Beobachtungen in der Zeit der Ausgangssperre in einem Tagebuch fest und hat sie jetzt in einem kleinen Büchlein der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Ben Hamida ist tief beeindruckt vom Mut seines Volkes, und dankbar, diesen historischen Moment miterleben zu dürfen. So stellt er denn auch weniger literarische Ansprüche an dieses Werk. Fakten werden vermischt mit Szenen zu Hause, beim Einkauf, im Taxi, an der Hotelrezeption oder im Café. Etwas irritierend sind zunächst die Wikipedia-Einschübe zur Geschichte Tunesiens – angefangen mit den Punischen Kriegen. Sinnvoll ergänzen aber die Exkurse zur neueren Geschichte die Darstellung der Motive hinter dem Volksaufstand.
Die einzelnen Szenen haben durchaus Unterhaltungscharakter. Anhand des die Lage der Nation analysierenden Taxifahrers etwa zeigt Ben Hamida auf, wie entfesselnd die neue Redefreiheit wirkt: Ben Alis zweite Frau sei die Schuldige an der Misere, der Präsident habe zu lange auf sie gehört. "Und sie ist nun Präsidentin der Organisation arabischer Frauen, was für eine Schande! Vor 20 Jahren war sie Coiffeuse." Der Taxifahrer empört sich darüber, wie diese Frau, von Ben Ali nach einem Drogendelikt vor der Strafe gerettet, sich am Land bereichert habe, sie und ihre zehn Brüder: "Sie waren Arbeiter, sie fuhren Fische auf den Markt. Und nun? Sie besitzen Paläste, in einem davon soll ein Tiger leben, der täglich vier Hühner vertilgt. Ich kann mir nicht einmal wöchentlich ein Huhn leisten!" Er ereifert sich weiter über die Korruption der Beamten, welche die Bereicherung gedeckt hatten und schliesst mit der Prophezeiung: "Sie werden bestraft werden. Allah lässt das nicht zu. Sieh doch, was mit Saddam passiert ist. Wer hätte gedacht, dass er am Galgen landet?“
Auch wenn die "Chronik einer Revolution" mit dem Verweis auf den Rütlischwur vielleicht etwas zu pathetisch schliesst: Es ist die Stärke des Werks – wie schon der früheren – auf eine leichte, unterhaltsame Art wertvolle Einblicke ins Denken, Fühlen und den Alltag der Tunesierinnen und Tunesier zu ermöglichen.
Amor Ben Hamida: Chronik einer Revolution: Wie ein Gemüsehändler einen Präsidenten stürzt. BoD, Noderstedt 2011, 64 Seiten; CHF 12.– inkl. Porto innerhalb der Schweiz, Euro 12.– inkl. Porto Europa (Postweg dauert ca. 7 bis 10 Tage) ISBN 978-3-8423-4686-4