Antonio Skármeta: Der Dieb und die Tänzerin. Roman
(El baile de la Victoria, 2003. Aus dem chilenischen Spanisch von Willi Zurbrüggen)
Piper Verlag, München 2005
399 S., EUR 22.90; SFr 40.10
ISBN: 3-492-04719-X
Dem Gefängnis entkommen
Das vorliegende Buch liest sich als Schelmenroman: Ángel Santiago ist ein Gelegenheitsdieb, der ein Pferd gestohlen hat, und Nicolás Vergara Grey versteht sich als Gentleman-Gangster aufs Knacken von kniffligen Tresor-Schlössern. Beide sitzen im Kittchen. Dank einer Amnestie werden sie gleichzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Ángel träumt von einer Farm und Nicolás möchte von seiner Ehefrau wieder aufgenommen werden. Beide brauchen Geld. Sie haben von einem Gefängniskumpanen den Weg zu einem geheimen Schatz gezeigt bekommen: Im Tresor des Ex-Geheimdienstgenerals liegt eine riesige Summe von ergaunertem und erpresstem Geld aus der Zeit der Pinochet-Diktatur. Für Ángel und Nicolás wäre es die Gelegenheit, an das grosse Geld heranzukommen.
Der Roman ist auch ein Liebesgeschichte: Kaum frei gelassen verliebt sich Ángel in die 17-jährige Schülerin Victoria, die gerne Tänzerin werden möchte, aber in ärmsten Verhältnissen lebt. Rührend setzt der Liebhaber alle Hebel in Bewegung, dass seine Geliebte das ersehnte Ziel erreichen kann. Er verhilft ihr zu einem grossen Tanzauftritt und borgt sich Geld, damit die Schulden bei der Tanzlehrerin bezahlt werden können. Aus dem Liebesroman wird eine Sex-Geschichte, dann zum Beispiel, wenn die Tanzschülerin Männer in einem Kino befriedigt, um zu Geld zu gelangen.
Die Geschichte enthält Aspekte eines Kriminalromans: Der Gefängnisdirektor fürchtet sich davor, dass Ángel sich an ihm rächen könnte, weil er ihn mit anderen in eine Zelle hat sperren lassen, wo er schändlich vergewaltigt wurde. Aus Angst entlässt der Direktor für einen Monat einen Serienmörder mit dem Auftrag, Ángel umzubringen. Als er aber merkt, dass der misshandelte Gefangene ihn verschont, möchte er den erteilten Auftrag sistieren.
Das Buch trägt zudem Züge eines politischen beziehungsweise gesellschaftspolitschen Romans: Sehr treffend wird die neue Arbeits- und Lebenssituation des Gefängnisdirektors nach dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie beschrieben. Seither kann er nicht mehr im grossen Staatswagen mit Chauffeur fahren, und seine Töchter besuchen keine vornehme Privatschule mehr. Immer wieder sind die Schatten der Pinochet-Ära zu finden.
Die Erzählung ist aber auch ein Stadtroman, der die vielfältigen Seiten von Santiago de Chile zeigt und einen ins Leben dieser Stadt eintauchen lässt. Nicht zuletzt enthält das Werk auch phantastische, mythische Elemente: Als zum Beispiel die Tänzerin im Sterben liegt, überholt Ángel auf einem Pferd den Tod, worauf die Geliebte gesund wird.
Das spannende Buch, in dem Humor und Tragik so nahe beieinander liegen, kann nur empfohlen werden.
Michael Schwarz
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