"Während der Apartheid (1948-1994) bildeten Polizeiwillkür, rassistische Gesetze und vielfältige Formen struktureller Gewalt den Rahmen für die Akzeptanz von Gewalt als Machtmittel in allen Lebensbereichen."*
Die Zahlen sind alarmierend: Kriminelle Gewalt behindert die Entwicklung des Tourismus in Südafrika und ist auch immer wieder als Argument gegen die Abhaltung der Fussball-WM im Land am Kap genannt worden. Armut verbunden mit grossen sozialen Unterschieden führt überall auf der Welt zu einer hohen Verbrechensrate. Die hohe Gewaltbereitschaft in Südafrika ist aber auch eine Folge der Apartheid.

Die eigene Ohnmacht und Rechtlosigkeit angesichts von Willkür und Gewalt bildeten die demütigende Grunderfahrung der schwarzen Bevölkerung Südafrikas vor und während der Apartheid. Auf den Farmen waren Auspeitschungen üblich zur Disziplinierung. Gewalt als Machtmittel wurde von den burischen Vorarbeitern auch in den Minen des Witwatersrand eingesetzt. Dazu kam für Millionen die gewaltsame Vertreibung aus Dörfern und Wohngebieten, die Erfahrung polizeilicher Willkür und Grausamkeit. Schwarze Frauen
erfuhren die sexualisierte Machtausübung in Form von Vergewaltigungen, die im Allgemeinen straffrei blieben.

Eine weitere Grunderfahrung war die strukturelle Gewalt, die in der systematischen Benachteiligung der schwarzen Bevölkerung bestand. Dazu einige Beispiele: Die staatlichen Aufwendungen für Erziehung betrugen für ein schwarzes Kind bis zu zehn Mal weniger als für ein weisses. Auch die gesundheitliche Versorgung war für Schwarze weniger ausgebaut und qualitativ schlechter als für Weisse. Der schwarzen Bevölkerung wurde die südafrikanische Staatsbürgerschaft aberkannt, sie wurde zu BürgerInnen der künstlich geschaffenen Homelands gemacht, musste ihre Arbeitskraft aber nach wie vor im weissen Südafrika verkaufen. Die Folgen der Wanderarbeit waren tiefgreifend: Familien wurden auseinander gerissen, Kinder wuchsen ohne Väter auf, Ehepaare entfremdeten sich, die Prostitution nahm zu.

Durch hohe Gewaltbereitschaft zeichnete sich auch die Bevölkerung europäischer Abstammung aus. Be- sonders im burischen Milieu mit seiner patriarchalischen Ideologie war häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder weit verbreitet. Frauen galten als nicht voll Handlungsfähige, die unter der Vormundschaft ihrer Väter, Brüder und Ehemänner standen. Vergewaltigung in der Ehe wurde als Mittel der Disziplinierung und als Recht des Ehemannes betrachtet und nicht geahndet.

Die heutigen Erwachsenen sind in den 1980er und 1990er Jahren aufgewachsen, als das Leben in den Townships von kriegsähnlichen Verhältnissen geprägt war. Polizei und Sicherheitskräfte verhafteten Kinder und steckten sie ins Gefängnis. Die Wahrheitskommission TRC zeigte, dass Folter und Vergewaltigungen bei Verhören systematisch eingesetzt wurden. Auf der andern Seite kämpften Strassengangs und «Comrades» miteinander um die Kontrolle der Townships.

16 Jahre genügen nicht, um eine solche Hinterlassenschaft zu beseitigen. Südafrika hat heute zwar eine fortschrittliche Verfassung, welche der Respektierung der Menschenrechte grosses Gewicht zumisst und dem Staat die Verantwortung für den Schutz seiner BürgerInnen überträgt. Der Staat hat jedoch weder die rechtlichen noch die finanziellen Mittel, um die übernommenen strukturellen Ungleichheiten wirksam zu bekämpfen. Die hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit sorgen gerade bei jungen Männern für grosse Frustrationen. Diese Machtlosigkeit versuchen sie teils mit Gewaltausübung zu kompensieren.

Südafrika beherbergt zudem gegen 4 Millionen Flüchtlinge und MigrantInnen aus dem ganzen afrikanischen Kontinent. Sie wurden in den letzten Jahren zum Ziel von ausländerfeindlichen Übergriffen, die 2008 pogromartige Formen annahmen. Aber auch der Polizei und anderen staatlichen Stellen wird xenophobes Verhalten besonders gegenüber Flüchtlingen aus dem benachbarten Zimbabwe vorgeworfen.
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Thandiwe Shezi
Thandiwe Shezi engagierte sich als junge Frau für die verbotene ANC Youth League und die Women’s League. 1988 wurde sie von der Sicherheitspolizei des Apartheidregimes zu Hause in Soweto aufgesucht. Sie suchten nach Waffen und schlugen sie, ihre Mutter und ihre Kinder. In der Polizeistation Alexandra wurde sie über Stunden und Tage hinweg gefoltert und vergewaltigt. Als sie zehn Jahre später im Juli 1997 vor den speziellen Anhörungen für Frauen der Wahrheitskommission aussagte, hörte ihre Mutter zum ersten Mal, was ihrer Tochter widerfahren war. Thandiwe Shezi hatte Mühe sich im Leben zurechtzufinden, begann ihre Kinder zu schlagen und war auch sonst sehr aggressiv. Als der Vorsitzende der Wahrheitskommission, Desmond Tutu, sie fragte, wie sie denn mit ihrem Schmerz und ihrem Leid umgehen würde, nannte sie die Selbsthilfegruppe für Opfer, Khulumani Support Group, wo sie sich erstmals ihrem Trauma unter psychologischer Leitung stellten konnte.
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*Schäfer, Rita, 2008: Im Schatten der Apartheid, Frauen-Rechtsorganisationen und geschlechtsspezifische Gewalt in Südafrika. Münster
KEESA – Informationen Frühjahr 2010. Mit diesem Informationsblatt weist die KEESA (Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika) auf einige ungelöste Probleme aus der Apartheid-Zeit hin, die Südafrikas Zukunft gefährden. Darüber hinaus wirft sie die grundsätzliche Frage nach der Entschädigung für die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen und der Verantwortung von Konzernen und Banken auch aus der Schweiz auf. Auf fairunterwegs.org geben wir in lockerer Folge die einzelnen Beiträge mit freundlicher Genehmigung wieder. Sie können auch die gesamte eInfozeitung der KEESA downloaden.