"Oberhalb eines gewissen Niveaus der Arbeit gibt es keinen Platz für die Bantus in der europäischen Gemeinschaft. … Was nützt es, ein Bantu-Kind Mathematik zu lehren, wenn es sie praktisch doch nicht anwenden kann? Das ist doch absurd." *

Als die National Party, die Partei der burischen Bevölkerung, 1948 an die Macht kam, war dies der Beginn des bis 1994 dauernden Apartheid-Systems, der durch Gesetze erzwungenen Segregation nach rassischer Zugehörigkeit. Apartheid bedeutet in der Sprache Afrikaans «Getrennt Sein», wobei die Gesetzgebung die Menschen in Gruppen (Schwarze, Weisse, Asiaten, Farbige) einteilte. Dies bildete die Grundlage für die unterschiedliche Behandlung der Menschen durch den Staat, wobei vor allem der schwarzen Bevölkerungsmehrheit die grundlegenden Menschenrechte vorenthalten wurden. Das vorherrschende staatliche Instrument zur Kontrolle der Bevölkerung waren die Passgesetze, die alle erwachsenen Afrikaner zwangen, ihre Anwesenheit ausserhalb der ihnen zugewiesenen Gebiete zu rechtfertigen.

Apartheid bedeutete die räumliche und soziale Trennung der verschiedenen Gruppen. Konkret hiess dies die Vertreibung und Zwangsumsiedlung von Millionen von ihrem Land, das zu «weissem» Siedlungsgebiet erklärt wurde. Dieser Prozess der Enteignung war schon vor der Apartheid eingeleitet worden. Die bis anhin von der Landwirtschaft lebenden schwarzen Bauern wurden zu Landlosen, die sich als Wanderarbeiter im Bergbau und auf den weissen Farmen verdingen mussten. Auch in den Städten wurde die räumliche Trennung vollzogen, indem Schwarze und Farbige in weit entfernte Townships umgesiedelt wurden.

Die systematisch durchgeführte Trennung umfasste auch die staatlichen Dienstleistungen. Erziehung, Gesundheitswesen, Wasser- und Elektrizitätsversorgung sowie Strassenbau wurden gemäss rassischen Kategorien konzipiert. Die politischen Rechte der schwarzen Bevölkerung wurden radikal beschnitten, indem ihr das Wahlrecht sowie die Versammlungs- und Organisationsfreiheit vorenthalten wurde. Die gewerkschaftliche Organisierung, die Gründung von politischen Parteien und Organisationen waren für Schwarze verboten.

Diese während 46 Jahren geschaffenen Strukturen prägen die soziale Wirklichkeit bis heute. Zwar wurde die Rassentrennung mit der Abschaffung der Apartheid 1994 aufgehoben, und die neue südafrikanische Verfassung ist eine der fortschrittlichsten der Welt, die den Menschenrechten einen hohen Stellenwert einräumt. Die Trennlinie verläuft heute zwischen Reich und Arm, wobei Reich und Weiss nach wie vor weitgehend deckungsgleich sind, auch wenn es in der Zwischenzeit eine kleine schwarze Elite gibt. Aber auch die räumliche Segregation ist nachhaltig geblieben. Reiche leben in sogenannten Gated Communities, durch hohe Mauern abgetrennte und von privaten Sicherheitsfirmen bewachte Wohnquartiere, während die Armen wie bis anhin in den weit vom Stadtzentrum entfernten Townships wohnen.

Im letzten Jahrzehnt hat Südafrika ein ansehnliches Wirtschaftswachstum erlebt. Trotzdem ist in  dieser Zeit die Ungleichheit zwischen Reichen und Armen alarmierend gestiegen, sodass Südafrika heute weltweit die höchste soziale Ungleichheit aufweist. Gemäss offiziellen Angaben leben 48 Prozent der Südafrikaner in Armut. Diese schroffen Gräben sind der Hintergrund für die Proteste, die es gegenwärtig im ganzen Land gibt. Sie zeigen die Wut und Unzufriedenheit derjenigen Menschen, deren Leben sich in den letzten Jahren nicht verändert hat. Und diese Wut  ist heute grundsätzlich so explosiv wie während der Apartheid.
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Lungisile Ntsebeza
Lungisile Ntsebezas Bruder hat die zweite Apartheidklage unter Paul Hoffmann mitgestaltet. Sie entstand nach dem Vorbild der Holocaustklagen. Lungisile Ntsebeza steht darin für die Klasse De-Nationalisierung. Da seine Eltern Lehrer waren, ging es ihm und seinen Geschwistern besser als den meisten anderen. Sie durften sich aber nicht frei ausserhalb der Transkei bewegen, sie konnten sich nicht Südafrikaner nennen. Schon früh wurde Lungisile Ntsebeza zum Aktivisten. 1976 wurde er verhaftet und zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nach seiner Freilassung wurde seine Bewegungsfreiheit auf den Ort Cala in der Transkei beschränkt, wo er einen Buchladen eröffnete und politische Bücher verkaufte, welche in Südafrika verboten waren, in der ‘unabhängigen’ Transkei ironischerweise nicht. Später ging er nach Kapstadt, um an der Universität zu studieren. Seine Doktoratsarbeit schrieb er zur Landreform, womit er sich seither in seiner Position als Soziologieprofessor an der Universität in Kapstadt beschäftigt.
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*So der ideologische Begründer der Apartheid und langjährige Ministerpräsident Hendrik F. Verwoerd
KEESA – Informationen Frühjahr 2010. Mit diesem Informationsblatt weist die KEESA (Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika) auf einige ungelöste Probleme aus der Apartheid-Zeit hin, die Südafrikas Zukunft gefährden. Darüber hinaus wirft sie die grundsätzliche Frage nach der Entschädigung für die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen und der Verantwortung von Konzernen und Banken auch aus der Schweiz auf. Auf fairunterwegs.org geben wir in lockerer Folge die einzelnen Beiträge mit freundlicher Genehmigung wieder. Sie können auch die gesamte eInfozeitung der KEESA downloaden.