"Die Menschen in Südafrika können stolz sein auf die politischen und menschenrechtlichen Veränderungen der letzten Jahre. Eine vergleichbare sozioökonomische Transformation hat leider noch nicht stattgefunden."*
Vor sechzehn Jahren fanden in Südafrika die ersten demokratischen Wahlen überhaupt statt. Das neue Südafrika war Realität geworden, verbunden mit grossen Erwartungen der schwarzen und farbigen Bevölkerung auf eine Verbesserung ihrer sozialen Lage. Der Bedarf an Wohnraum, Bildung und Arbeit war immens, der Zugang zu Land und gesundheitlicher Versorgung sollte allen offen stehen. Heute ist das neue Südafrika weit von diesen Zielen entfernt. Während alle Frauen und Männer in Südafrika politische Rechte ausüben können und damit die zentrale Forderung des Anti-Apartheid-Kampfes «one person – one vote; ein Mensch – eine Stimme» erfüllt wurde, kann Gleiches bezüglich der sozialen und wirtschaftlichen Strukturen nicht gesagt werden. Wesentliche Gründe dafür liegen in der Apartheid-Vergangenheit des Landes.
Das Apartheid-Regime hat systematisch die Menschenrechte verletzt. Basierend auf einer rassistischen Ideologie ist die schwarze und farbige Bevölkerungsmehrheit während Jahrzehnten entrechtet und ausgebeutet worden. Neben dem Holocaust ist nur noch die Apartheid von der internationalen Gemeinschaft als Verbrechen gegen die Menschheit gebrandmarkt worden. Das hat zahlreiche internationale Banken und Konzerne nicht daran gehindert, das Apartheid-System wirtschaftlich zu unterstützen und zu fördern.
Durch die Wahrheits- und Versöhnungskommission TRC ist einiges von dieser Vergangenheit aufgearbeitet worden; vieles liegt als «unfinished business» weiterhin im Dunkeln. Seit vielen Jahren setzen sich Organisationen in Südafrika und auf der ganzen Welt dafür ein, dass diese unerledigte Vergangenheit aufgeklärt wird, als Voraussetzung für eine gerechtere Zukunft. Die sozialen und wirtschaftlichen Probleme im heutigen Südafrika machen dieses Anliegen dringlich.
Für 2010 ist Optimismus angesagt. Die Fussballweltmeisterschaft findet in Südafrika statt, zum ersten Mal in Afrika. Dort und hier freuen sich viele Menschen auf dieses Ereignis. Doch wenn die deutsche Nationalelf mit dem Logo von Daimler als Hauptsponsor einläuft, dann wird vielen Apartheid-Opfern schmerzlich bewusst, dass gegen diesen Konzern gleichzeitig ein Gerichtsverfahren wegen Kollaboration mit dem Apartheid-Regime hängig ist. Die Crédit Suisse CS als Sponsorin der Schweizer Nationalmannschaft ist zwar nicht mehr in das Verfahren verwickelt, ihre enge Zusammenarbeit mit dem Unrechtsregime ist jedoch breit belegt, wie auch jene der UBS.
Wirtschaft
"Die Konzernmacht zwang die Regierung des neuen Südafrika, eine neo-liberale, auf den globalen Markt orientierte Wirtschaftspolitik zu akzeptieren, was jede Möglichkeit einer Umverteilung ausschliesst."*
Die südafrikanische Volkswirtschaft ist bei weitem die grösste Afrikas und gehört weltweit zu den dreissig bedeutendsten. Südafrika ist Teil der G20, der wichtigsten Industrienationen. Südafrika gehört aber auch zu jenen Nationen mit einer zunehmenden und extremen wirtschaftlichen Ungleichheit. Während die reichsten zehn Prozent, vornehmlich Weisse, über 51 Prozent der Einkommen und Vermögen verfügen, lebt die Hälfte der Bevölkerung in Armut und Arbeitslosigkeit. Gemäss Index der menschlichen Entwicklung (HDI) liegt Südafrika lediglich auf Platz 129 (von 182 Ländern). Die soziale Ungleichheit trifft in erster Linie die schwarze Bevölkerungsmehrheit; wesentliche Gründe dafür liegen in der Apartheid-Vergangenheit. Die weisse Minderheit benötigte billige und rechtlose Arbeitskräfte für Landwirtschaft, Bergbau und private Haushalte. Auf Rassismus gegründete Gesetze schlossen Schwarze und Farbige von Ausbildung, beruflichem Aufstieg und politischen Rechten aus.
Der Übergang zu demokratischen Verhältnissen 1994 brachte der schwarzen Bevölkerung dann politische Rechte, eröffnete aber den Wenigsten eine wirtschaftliche Chance. Anstatt dass dringend benötigte Arbeitsplätze geschaffen wurden – vor allem auch für junge Menschen –, nahm die Arbeitslosigkeit zu. In der Landwirtschaft und den übrigen Wirtschaftssektoren gingen je über eine halbe Million Stellen verloren. Weiterbestehende strukturelle Ungleichheit und rassistische Vorurteile verwehrten der schwarzen Bevölkerungsmehrheit weitgehend den Zugang zu sozio-ökonomischem Einfluss, Eigentum und Chancen. Segregation, Ausbeutung und Unterdrückung hatten während der Apartheid-Zeit die sozialen Strukturen der schwarzen Gemeinschaften zerstört – ein wichtiger Grund dafür, dass deren Verarmung andauert. Die Folgen sind Gewalt, Kriminalität und ein grosses soziales Konfliktpotential, die ihrerseits wieder Armut schaffen.
1994 hätte wirtschaftspolitisch einen Wandel einläuten können, wenn der regierende ANC das versprochene Wirtschaftsprogramm (RDP) auch umgesetzt hätte. Doch der Druck der mächtigen südafrikanischen Unternehmen und der internationalen Finanzinstitutionen war zu gross. Mit der Einführung des Wirtschaftsprogramms 1996 (GEAR) verfügte die neue südafrikanische Regierung die totale Marktöffnung, Budgetrestriktionen und Privatisierungsmassnahmen. Heute kämpfen die BewohnerInnen der Townships für den Zugang zu Wasser und Elektrizität.
«Wir hatten schöne Pläne, bevor wir die Wahlen 1994 gewannen. Aber dann entdeckten wir Tatsachen, die wir zuvor nicht gekannt hatten. Zum Beispiel hatten wir öffentliche Schulden von 254 Milliarden Rand, die wir mit 50 Milliarden Rand Zinsen pro Jahr bezahlten. Das lähmte praktisch alle unsere Pläne. Das ist das grösste Hindernis in diesem Land für den Fortschritt.» So die 2003 von Nelson Mandela gezogene Bilanz. Die Ökonomin Mascha Madörin hat aufgezeigt, wie das Apartheid-Regime gegen Ende der 1980er Jahre wirtschaftlich am Ende war, aber von internationalen Banken, darunter an vorderster Front den Schweizer Grossbanken, mit Krediten am Leben gehalten und in der Umgehung von internationalen Sanktionen unterstützt wurde (Madörin 2008). Die immensen Kosten dieser Geschäfte wurden dem neuen Südafrika aufgebürdet. Allein die Überwälzung von Währungsverlusten auf den Staat kostete diesen 120 Milliarden Rand; Geld, das nach 1994 für Wohnungsbau, Bildungs- und Gesundheitsmassnahmen fehlte. «Es ist unmoralisch und ungerecht, dass die Bevölkerung zweimal für die Apartheid bezahlen muss», heisst es in der Erklärung der KEESA und der internationalen Entschuldungskampagne von 1998. Doch genau diese Ungerechtigkeit dauert an.
Zitate: Terreblanche, Sampie, 2002: A History of Inequality in South Africa, 1652 – 2002. Natal, Univ. Press
KEESA – Informationen Frühjahr 2010. Mit diesem Informationsblatt weist die KEESA (Kampagne für Entschuldung und Entschädigung im Südlichen Afrika) auf einige ungelöste Probleme aus der Apartheid-Zeit hin, die Südafrikas Zukunft gefährden. Darüber hinaus wirft sie die grundsätzliche Frage nach der Entschädigung für die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen und der Verantwortung von Konzernen und Banken auch aus der Schweiz auf. Auf fairunterwegs.org geben wir in lockerer Folge die einzelnen Beiträge mit freundlicher Genehmigung wieder. Sie können auch die gesamte eInfozeitung der KEESA  downloaden.