Armutsbekämpfungsprogramm der UNWTO im Visier: UNO-Inspektionsbericht fordert Transparenz
Basel, 20.08.2009, akte/ An der Weltkonferenz zur Nachhaltigen Entwicklung von 2002 in Johannesburg lancierte die Welttourismusorganisation ihre neue Initiative: "Sustainable Tourism – Eliminating Poverty". Unter dem griffigen Kürzel ST-EP setzte sie sich zum Ziel, bis 2015 weltweit 5’000 Tourismusprojekte zu fördern und so aktiv zur Erreichung der Millenniumsziele (MDG) beizutragen. Damit empfahl die Welttourismusorganisation die Förderung des mächtigen, florierenden Wirtschaftszweiges Tourismus als erstklassiges Instrument zur Überwindung der weltweiten Armut und verschaffte sich zugleich ihr Eintrittsticket in die internationale Gemeinschaft der Vereinten Nationen. Diese verpflichtete sich im Rahmen der MDG, die Armut auf der Welt bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren.
Die UNWTO legte der ST-EP-Initiative acht vielversprechende Leitsätze zu Grunde, die sie mit Massnahmen im Bereich der Ausbildung (capacity building) sowie der Unterstützung von Tourismusprojekten in möglichst bislang unerschlossenen Gebieten umzusetzen gedachte. Das liess erste kritische Fragen aufkommen, belegen doch viele Studien, dass so genannte "community based"-Tourismusprojekte in abgelegenen Regionen einen langen und steinigen Weg vor sich haben, bis sie gerade auch wirtschaftlich nachhaltig sind, während armutsbetroffene Menschen mit gezielter Förderung oft eher in bestehenden Destinationen im Tourismus ein besseres Auskommen finden können. Und was ist mit Massnahmen in der Tourismusindustrie selbst, wo doch die UNWTO etliche grosse Konzerne zu ihren Mitgliedern zählt, die mit fairen Arbeitsbedingungen und einem umfassenden Corporate Social Responsibility-Management entscheidend für bessere Lebensbedingungen der Angestellten und der AnwohnerInnen sorgen können? Für die UNWTO jedoch stand von Beginn weg ein Ziel im Vordergrund, das am ersten ST-EP-Forum auf der internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB) 2003 klar wurde, als zahlreiche Tourismusminister aus Entwicklungsländern, internationale Experten und Funktionäre, etwa von der Weltbank, ans Mikrofon traten, aber kein einziger Vertreter der anvisierten Betroffenen oder der Zivilgesellschaft: Mit dem ST-EP-Programm lancierte die UNWTO eine breite Lobbying-Offensive, um bei Tourismusverantwortlichen, Regierungen, internationalen Behörden und privaten Entwicklungsorganisationen ein neues Bewusstsein für die Chancen des Tourismus als treibende Kraft gegen die Armut zu schaffen und dabei neue finanzielle Mittel für die Tourismusförderung flüssig zu machen.
Mit Erfolg: Bald darauf sprach die Koreanische Regierung fünf Millionen US Dollar für das ST-EP-Programm und gründete die ST-EP-Foundation mit Sitz in Seoul. Zudem stiegen die holländische Entwicklungshilfe (SNV) sowie die italienische und die französische Regierung ins ST-EP-Programm ein und weitere Regierungen stellten Finanzierung in Aussicht – diese Zusammenarbeit wird jedoch direkt von der UNWTO mit Sitz in Madrid aus verwaltet.
Genau da beginnen die Probleme, welche die UN-Inspektion heute ausmacht: Was tut die ST-EP-Foundation in Korea und wem ist sie Rechenschaft schuldig? Es gibt zwar gemäss UNWTO eine Vereinbarung mit der ST-EP-Foundation in Korea, welche auch das ST-EP-Logo für ihre Fundraising- und anderen Aktivitäten nutzt. Unklar bleibt jedoch, wie die ST-EP-Foundation aus Korea ins ST-EP-Programm der UNWTO eingegliedert ist und wer über Strategien und Vergabungen verfügt.
ST-EP: Taleb Rifai stellt sich kritischen Fragen
Eine rasche Klärung dieser unbequemen Fragen zum Armuts-Flagschiff der UNWTO strebt nun Taleb Rifai an. Der ehemalige Tourismusminister von Jordanien hat seit dem vorzeitigen Rücktritt des langjährigen UNWTO-Generalsekretärs Francesco Frangialli dessen Funktion ad-interim übernommen und muss jetzt die von der UN-Inspektion entlarvten Schwachstellen seiner Amtskollegen und -vorgänger ausbaden. Im vergangenen Mai wurde Taleb Rifai vom UNWTO-Executive-Committee offiziell zum Kandidaten für die im Oktober auf der Vollversammlung anstehende Wahl zum Generalsekretär für die Amtszeit 2010 bis 2013 designiert. Dieser Nominierung ging ein Kampf unter vier Anwärtern voraus, darunter bezeichnenderweise auch einem Kandidaten aus Korea. Dabei wurden erstmals Details zum Wahlverfahren publik, was durchaus bereits als Zeichen für mehr Transparenz bei der UNWTO gedeutet werden kann.
Mit für UNWTO-Verhältnisse ungewohnter Offenheit stellte sich Taleb Rifai dem Journalisten Nelson Alcantara der in Branchenkreisen einflussreichen online-Zeitung eTurboNews im Interview auf die provokative Frage, ob ST-EP ein grosser Misstritt der UNWTO sei. Er habe diese Inspektion angestrebt und begrüsse den Bericht, der ihm Leitlinien gebe für die anstehende Reorganisation der UNWTO, hielt Taleb Rifai fest. Diese sei aufgrund langjähriger gewachsener Strukturen nun dringend fällig. Zur ST-EP-Foundation in Korea gebe es nur zwei Lösungen, die ihm gleichermassen willkommen seien: Entweder werde die Stiftung regulär in die UNWTO eingegliedert, oder sie werde unabhängig von der ST-EP-Initiative der UNWTO. Das müsse jetzt mit allen Geldgebern von ST-EP diskutiert werden. Von den fünf Millionen der ST-EP-Foundation in Korea seien bisher zweieinhalb bis drei Millionen US Dollar direkt in konkrete Projekte von ST-EP geflossen. Insgesamt seien bisher 54 Projekte im Rahmen von ST-EP implementiert worden.
Den Filz entflechten…
Das sind neue Töne und Fakten für all die kritischen BeobachterInnen, die sich jeweils auf dem traditionellen Stell-dich-ein zur ST-EP-Initiative der UNWTO – dem ST-EP-Forum anlässlich der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB) – eingefunden haben. Nicht nachvollziehbar blieb allerdings dabei, was diesen Veranstaltungen den Charakter eines Forums hätten verleihen können. Denn da überschlugen sich die Würdenträger der UNWTO im Lob um die Fortschritte des ST-EP-Programmes, dies im Einklang mit Tourismusministern aus Entwicklungsländern, die gerade ein ST-EP-Programm unterzeichnen konnten, den internationalen Entwicklungsexperten, die eben wieder einen ST-EP-Auftrag an Land gezogen hatten. Die Faktenlage blieb trotz aller heeren Worte und dicken Papiere dünn. Konkrete Fragen, insbesondere aus NGO-Kreisen, wurden wortreich umgangen. Dies gelang umso besser, als auch das Publikum nicht genau wusste, an welchen Funktionär auf dem Podium sich wenden: An Generalsekretär Frangialli, der die Veranstaltung nur zu ausgewählten Gelegenheiten beehrte? Oder an den Deputy Secretary General Dawid de Villiers, solange er noch im Amt war? Oder an den zum Assistant Secretary General aufgestiegenen Geoff Lipman, der früher den Spitzenmanagerverein World Travel & Tourism Council (WTTC) präsidierte, alleweil radikal für Liberalisierungen im Tourismus einsteht und im Business noch immer Mandate inne hat? Oder "bloss" an den Programmkoordinator für nachhaltige Entwicklung bei der UNWTO, Eugenio Yunis, der NGOs zwar gerne ein offenes Ohr leiht, aber beileibe nicht auf allen ST-EP-Foren präsent war? Dieses Problem dies reflektiert nun auch der UN-Inspektionsbericht: Das Spitzenmanagement sei für eine Organisation mit gut 100 Angestellten völlig aufgebläht und die Kaderfunktionen zudem nicht mit klaren Kompetenzen und Pflichten ausgestattet. Die Funktionsweise der UNWTO war offenbar stark auf den Ex-Generalsekretär Francesco Frangialli sowie seinen Adlaten Geoff Lipman ausgerichtet. Auch hielten, so bemängelt die UN-Inspektion, Kader der UNWTO zum Teil weitere bezahlte Tourismus relevante Stellen inne.
Höchste Zeit, dass mit solchen Interessen-Verflechtungen dezidiert aufgeräumt wird, soll dass ST-EP-Programm jemals glaubwürdig werden. Dabei steht allerdings mehr auf dem Spiel als bloss die Kontrolle seiner Funktionsweise. Es geht um die Wirksamkeit der ST-EP-Programme insgesamt: Wer profitiert von der ST-EP-Initiative? Und was bringt sie der armutsbetroffenen Bevölkerung in Tourismusgebieten?
… und die glaubwürdige Erfolgskontrolle liefern
Weshalb können zum Beispiel die Anwohner des ST-EP-Projektes "Bishangari-Eco-Lodge" in Äthiopien das neue Hotel nicht mit einheimischen Produkten beliefern? Sie hoffen, wie die Recherchen von Isabelle Schunck im Auftrag des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED Tourism Watch) ergeben haben, noch immer auf Gespräche mit den Tourismusprojekt-Initianten, die sie noch nie kontaktiert haben. Offen bleiben ebenso die Frage derselben Wissenschaftlerin, weshalb auf der Insel Providencia/Santa Catalina in Kolumbien weder die Reisenden noch die Einheimischen auf das neue ST-EP-Projekt aufmerksam gemacht werden. Auch Zulieferungen an Tourismusbetriebe aus der lokalen Fischerei wurden bisher nicht sicher gestellt. Die Fischerfamilien leiden derzeit extrem unter Einkommenseinbussen und die gesamte ansässige Bevölkerung unter den Preissteigerungen infolge des Tourismus.
Das sind nur einige der drängenden Fragen, die sich aus den raren unabhängigen Stichproben-Recherchen heraus zum ST-EP-Programm stellen. Die umfangreichen technokratischen Papierberichte zur ST-EP-Initiative geben keine Antworten darauf. Einheimische aus der breiten Bevölkerung kommen dabei kaum zu Wort. Welch komplexe Herausforderung es ist, mit Tourismusprojekten gezielt arme Leute in Entwicklungsländern zu fördern, zeigen dagegen etwa die detaillierten Analysen von Pro-Poor-Tourism des britischen Entwicklungsdienstes (DFID). Oder die in der Spezialausgabe von "Current Issues in Tourism" 2007 zusammengefassten Berichte von WissenschaftlerInnen, die auch die ST-EP-Programme unter die Lupe nehmen und aufgrund mangelnder Erfolge kritisieren. Die aussagekräftigen Resultate sind ausnahmslos aus der engen Zusammenarbeit von unabhängigen WissenschaftlerInnen mit direkt Betroffenen entstanden.
Dieser Überprüfung unter Einbezug der Betroffenen muss auch das ST-EP-Projekt der UNWTO stand halten, will es nicht weiter im Anruch stehen, einfach ein weiteres propagandaträchtiges Instrument der Tourismusförderung ohne nachweisbare Einhaltung von Kriterien der Nachhaltigkeit zu sein. Die UNWTO signalisiert jetzt einen Aufbruch und kann die Weichen neu stellen. Umso wichtiger, dass sie nun auch eine glasklare Evaluation der ST-EP-Projekte vorlegt – durchgeführt von unabhängigen Experten, die nicht schon längst im Dunstkreis der ST-EP-Initiative der UNWTO ihre Verdienste unter Beweis gestellt haben, sondern auch die Meinung von direkt Betroffenen einbeziehen.
Quellen: www.unwto.org; ST-EP: A Big Misstep for UNWTO?, eTurboNews 08.06.09, www.eturbonews.com; Re-engineering UNWTO is the way forward, Rifai says, eTurboNews 03.06.09; Travel Impact Newswire 08.05.09 und 07.05.09, imtiaz@travel-impact-newswire.com; Who is UNWTO’s next secretary general?, eTurboNews 05.05.09, www.eturbonews.com; Studien von Isabelle Schunck aufwww.fairunterwegs.org; Current Issues in Tourism Volume 10, Issue 2&3; www.propoortourism.org.uk; eigene Recherchen – siehe auch unterThemen/Entwicklungspolitik/Armut & Millenniumsziele auf www.fairunterwegs.org