Ungeachtet aller Proteste hält die peruanische Regierung an ihrem rücksichtslosen Privatisierungskurs zum Ausbau des Tourismus fest: Gemäss Zeitungsberichten vom 18. Dezember 2003 bekräftigt der neue Minister für Aussenhandel und Tourismus, Alfredo Ferrero, das Interesse der Regierung, im 2004 die Erteilung von Konzessionen zur touristischen Erschliessung insbesondere von bislang schwer zugänglichen Gebieten voranzutreiben. Ansonsten, so begründet Ferrero, könnten attraktive Stätten wie Choquequirao und Kuelap weiterhin nur von wenigen TouristInnen besucht werden.
Einmal mehr mussten also die Bauern von Kuelap, einem auf 3’000 Metern gelegen Dorf im Departement Amazonas, aus der Zeitung erfahren, was die Regierung von Lima auf ihrem Land und mit ihrem kulturellen Erbe vor hat: Der Ruinenkomplex der Festungsstadt Kuelap der Chachapoya-Kultur aus der Vor-Inkazeit, der als eine der bedeutendsten archäologischen Sehenswürdigkeiten Perus gilt, soll nun zügig in eine internationale Touristenattraktion verwandelt werden (s. akte-Kurznachrichten 2/2002). Jetzt fordern die AnwohnerInnen der historischen Stätten gemeinsam mit peruanischen Solidaritätsorganisationen internationale Unterstützung in ihrem Kampf gegen die seit Jahren drohende Enteignung und Ausgrenzung. Bereits im Juni 2000 hat die Regierung grosszügig ein 217 ha grosses Areal um die Ruinenanlage, die selbst sechs Hektar umfasst, als „unberührbares Gebiet“ (zona intangible) ausgezont, über das sie fortan allein verfügen kann. Gesetzlich verankert hat die Toledo-Regierung diese Verfügung Ende 2001 mit einem vom Parlament bestätigten Dekret, wonach das Gebiet um die Chachapoya-Festung an ausländische Konzessionäre zur kommerziellen touristischen Nutzung übertragen werden soll.
Das Dekret sieht auf einer Fläche von insgesamt 6’000 ha Konzessionen an ausländische Unternehmen auf 30 bis 50 Jahre zu äusserst günstigen Bedingungen wie Steuerfreiheit vor. Neben Kuelap ist vor allem die Region von Playa Hermosa/Tumbes an der nordperuanischen Küste nahe der Grenze zu Ecuador betroffen: Da ist ein riesiger Freizeitkomplex mit Luxushotels geplant, dem bestes Ackerland für Bananen- und Gemüseanbau sowie Reisfelder zum Opfer fallen würden. Auch den Fischern würde der Zugang zum Meer abgeschnitten. Solche Enteignungen sind jedoch nach peruanischem Recht gar nicht möglich. Die Reisbauern und Fischer legten deshalb Beschwerde ein und zogen sie bis vor das Verfassungsgericht in Lima. Das Urteil steht noch aus. Betroffene und NGOs der Solidaritätsbewegung vermuten aber, dass sich die Regierung mit dem fadenscheinigen Argument, es wäre ja noch gar niemand enteignet worden, aus der Affäre ziehen kann, während sie klammheimlich alles für die Enteignungen vorbereitet.
Genau das befürchten auch die Bergbauern von Kuelap. Die Regierung behandelt die Projekte in den „zonas intangibles“ als streng vertraulich und hat bisher den Betroffenen jegliche Auskunft darüber verweigert, ob ihre Kartoffeläcker und anderen Nutzflächen auch enteignet werden. VertreterInnen von lokalen Behörden und Schutzorganisationen aus der Region von Kuelap wandten sich deswegen in einem offenen Brief vom 10. September 2003 an den Präsidenten Alejandro Toledo. Darin geben sie ihren Befürchtungen Ausdruck, legen Vorschläge für eine nachhaltige Tourismusentwicklung vor und verlangen, dass sie – die über Jahrhunderte die historisch bedeutsame Festungsstätte gepflegt und erhalten haben – voll in die weitere Planung der Tourismus einbezogen werden. In einem Artikel vom 18. September in der grössten Tageszeitung Perus, El Comercio, der als Antwort der Toledo-Regierung auf den Vorstoss der Betroffenen von Kuelap gewertet werden muss, betitelte der Tourismusminister die Unterzeichnenden des offenen Briefes als hinterwäldlerische und fortschrittsfeindliche Menschen, bezichtigte sie der Zerstörung des kulturellen Erbes und stritt jegliche Enteignungsvorhaben für Tourismusprojekte ab. Eine vom lokalen Schutzverband von Kuelap eingereichte Berichtigung der Anschuldigungen wurde nie veröffentlicht.
Die peruanische Regierung laviert mit allen Mitteln, kennt sie doch die Proteste gegen Enteignungen für touristische Zwecke aus langer Erfahrung. Der Ausverkauf Perus begann schon unter dem Fujimori-Regime in Machu Picchu, als angesichts der katastrophalen Verschuldung und nach erfolgter Privatisierung von Minen, Häfen, Flughafen, Wasser und Strom offenbar nur noch die Veräusserung von attraktiven Landschaften und Kulturstätten blieb, um dem Druck der internationalen Gläubiger (IWF) nachzukommen: 1996 wurden die Nutzungsrechte des Weltkulturerbes Machu Picchu auf 30 Jahre der Firma Peru Hotels übertragen, einer Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Tourismuskonzerns Orient Express, der internationale Hotels, Eisenbahnlinien, Restaurants und Kreuzfahrten betreibt. Der Konzern verfügt nicht nur über die Machu Picchu Sanctuary Lodge oben am Berg, am Eingang zu den Ruinen, sondern auch über den Touristenzug von Cuzco. Und sie hat die Konzession für die seit vielen Jahre umstrittene Seilbahn direkt von Aguas Calientes, der Bahnstation, hoch zu den Ruinen erhalten. Der Protest der AnwohnerInnen zusammen mit der UNESCO hat zumindest soweit gefruchtet, dass dieses umstrittene Seilbahnvorhaben 2001 aufs Eis gelegt wurde. Auch der geplante Bau eines Luxushotels in den Ruinen wurde vorläufig sistiert. Doch die prohibitiven Preise (in US-Dollar) für die „Royal Inca“-Bahn, die Zufahrt sowie den Eintritt zu den Ruinen machen für die Einheimischen nach wie vor den Besuch ihres kulturellen Erbes unerschwinglich. Ebenso die Begehung des legendären Inka-Trails, für dessen letzte 48 Kilometer vor Machu Picchu 170 bis 320 US-Dollar Gebühren für Viertagestouren zu entrichten sind. Vergeblich haben auch die Souvenirhändler und Restaurantbesitzer in Aguas Calientes dagegen protestiert, dass die Touristenströme an ihnen vorbei gelenkt werden. Ausgrenzung und Verarmung gehen mit den laufenden Privatisierungen einher. Insgesamt wurden gemäss dem peruanischen Wirtschaftsexperten Rodrigo Ruiz Rubio im ganzen Land über 1,5 Millionen Menschen als Folge der zwischen 1997 und 2000 vorgenommenen Privatisierungen neu von Armut betroffen.
In den Reigen der Proteste gegen die aktuelle Tourismuspolitik hat sich jetzt einmal mehr die UNESCO eingereiht: In einer Pressemitteilung vom 5. Dezember 2003 fordert sie die Regierung Perus ultimativ auf, eine Obergrenze von 800 BesucherInnen pro Tag für Machu Picchu festzulegen; sie müsse sonst das Weltkulturerbe auf die Liste der gefährdeten Güter setzen. Heute besuchen durchschnittlich über 2’000 Leute die Ruinenstätte, die Regierung strebt 3’000 an. Rund 1’500 sind laut UNESCO zudem täglich auf den Inka-Trail unterwegs, wo maximum 300 pro Tag als verträglich erachtet werden könnten. Die stetig wachsenden Touristenströme gefährdeten nicht nur die historischen Sehenswürdigkeiten von Machu Picchu, der gesamte Abfall bzw. das Abwasser der BesucherInnen werde zudem ungeklärt in den Urubamba abgeführt, beklagt die UNESCO-Studie, die ab Januar 2004 erhältlich sein wird. /plus

Quellen: Brief von Rodrigo Ruiz Rubio, Lima, www.descubrekuelap.com mit Ausschnitt aus Peru21, 18.12.2003; Pressemeldung UNESCO/Reuters, 5.12.2003, http://msnbc.msn.com/Default.aspx?id=3660459&p1=0; Landrechte und Tourismus im neoliberalen Peru von Gunter Weller, Alasei-Bonn, 9.11.2003, http://mitglied.lycos.de/japz/alasei.htm; EED-Tourism Watch Nr. 32 – September 2003, Nr. 31 – Juni 2003, Nr. 27 – Juli 2002, www.tourism-watch.de; Südwind Magazin, Dezember 2002; Tages Anzeiger, 7.6.2000