Assia Djebar: Das verlorene Wort
(La disparition de la langue française, 2003. Aus dem Französischen von Beate Till.)
Unionsverlag, Zürich 2004
252 S; Fr 39,90; € 19,90
ISBN 3-293-00338-9
Ein zentrales Thema im Werk Assia Djebars ist die Bedeutung der verschiedenen Sprachen in Algerien und deren Einfluss auf das Leben und die Identität der Menschen. Das Arabische, die Berbersprache und die einheimischen Dialekte sind die Sprachen des täglichen Lebens, der Traditionen und des Korans. Das Französische dagegen ermöglicht die Öffnung nach aussen, den Zugang zu modernem Wissen und ist auch kulturell wichtig. Aber es ist mit mehr als 130 Jahren Kolonialherrschaft, Folter und Krieg belastet und wird im heutigen Algerien zunehmend ausgeschlossen. Kunstvoll und sehr subtil verarbeitet die Autorin diesen Konflikt in ihrem Roman „Das verlorene Wort“ mit der jüngsten Geschichte ihres Landes.
Berkane, ein Mann Ende vierzig, lebt seit zwanzig Jahren in Paris. Unvermittelt überfällt ihn eines Tages ein Gefühl der Zukunftslosigkeit und Leere. Als sich auch noch unerwartet seine junge französische Freundin Marise von ihm trennt, kehrt er in seine Heimat Algerien zurück. In einem abgelegenen alten Haus am Meer will Berkane zu sich selbst finden, die Jahre des Exils abstreifen, zurückblicken und vor allem wieder schreiben. Er geniesst das Vertraute in vollen Zügen. Da sind wieder das Licht, die Luft, das Rauschen des Meeres und Gespräche im einheimischen Dialekt. Die Ernüchterung folgt bei einem Besuch in Algier. Die Altstadt Algiers, die Kasba mit ihrem früher überströmenden Leben, wo Berkane aufgewachsen ist und der blutige Befreiungskampf begann, ist heute verfallen und die winkligen Gassen wirken ausgestorben. Erinnerungen überfallen ihn.
Im Haus am Meer schreibt er dann: Zuerst sehnsuchtsvolle Briefe an Marise, die er nie abschickt, später Tagebuch und über seine Kindheit und Jugend. Mit 16 wurde er von den Franzosen verhaftet und gefoltert. Die Sprache des Erinnerns an diese Ereignisse und des Schreibens ist für ihn Französisch. Aber in der Liebe und bei den langen Gesprächen mit der faszinierenden Nadjia gebraucht er das Arabische. Die Wahl 1991 steht bevor und Nadjia entwirft düstere Prognosen für die Zukunft Algeriens. Französisch sprechende Intellektuelle werden bedroht und verlassen das Land. Berkane bleibt. Bei Recherchen im Landesinneren für seine Aufzeichnungen verschwindet er spurlos.
Elke Müller
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