"Fussball und Bildung bleiben einem schwarzen Kind in dieser repressiven Gesellschaft als einzige Hoffnung. Sie sind die Schlüssel zum Ausgang aus dem Ghetto und seiner Armut." Dieses Mantra wiederholte mein Vater während meiner ganzen Kindheit und Jugend. Er glaubte, dass wir angesichts der Apartheid, die uns Schwarzen unsere Menschenrechte und wirtschaftlichen Rechte grundsätzlich verweigerte, am besten zurückschlagen könnten, indem wir lernten, gut Fussball zu spielen – das konnten uns unsere Unterdrücker nicht nehmen –, aber auch, indem wir eine gute Bildung erwarben.

Unter dem Apartheidregime schufteten die Schwarzen an ihren Arbeitsplätzen fünf volle Tage unter unmenschlichen Bedingungen, überarbeitet, unterbezahlt und ohne Grund von ihren weissen Bossen beleidigt. Auf der Strasse wurden sie von der Polizei willkürlich angehalten und mussten ihre Identitätskarten vorzeigen, um zu beweisen, dass sie das Recht hatten, sich in dieser Stadt aufzuhalten. Das Gesetz erlaubte ihnen den Aufenthalt nur während gewisser Stunden zum Zweck der Arbeit. In dieser öden Realität im Leben der Schwarzen wurde das Wochenende stets sehnlichst erwartet: Während zwei von sieben Tagen konnten schwarze Menschen ihre Menschlichkeit feiern, indem sie Musik hörten, in die Kirche gingen, sich betranken – aber in erster Linie Fussball spielten oder schauten. Auf dem Fussballfeld waren wir die Könige.

Fussball als Überlebenstraining
In dieser Kultur wuchs ich auf. Mein Vater, ein leidenschaftlicher Fussball-Fan und Amateurspieler, war so vollkommen überzeugt von der Macht des wunderbaren Fussball-Spiels, um die Würde der schwarzen Bevölkerung wiederherzustellen, dass er in den späten siebziger Jahren einen eigenen Club gründete. Zu unserem Unglück frass sich die Gründung des Clubs in unser Familienbudget hinein. Anstatt seinen Sprösslingen Kleider oder Spielsachen zu kaufen, lenkte er sein bescheidenes Einkommen in den Betrieb des Fussballclubs um. Schon als Kind nahm ich wahr, dass diese Umleitung der familiären Ressourcen die Beziehung meiner Eltern sehr belastete. Es kam spät abends zu manchem verbalen Schlagabtausch zwischen ihnen. Mein Vater konnte gewisse Erfolge einheimsen und gewann auch finanziell, als er einige seiner Spieler wie den legendären Torhüter Mosese "Skebhe" Khanyeza oder "Killer" Makhaza an Spitzenclubs wie die Kaizer Chiefs oder die African Wanderers verkaufte. Aber sein Wohlstand wurde leider nie legendär.

Die Leidenschaft meines Vaters für das Spiel spiegelte die Realität vieler schwarzer Menschen wider. Fussball war nicht nur Unterhaltung, Fussball war auch ein Weg der Ablenkung von der harschen Realität der Apartheid. Fussball bedeutete für einige Schwarze Überleben: Einige verdienten ihr Geld als Spieler, andere waren Designer von Fussballausrüstungen, wieder andere verkauften in den Stadien Essen, wann immer Spiele stattfanden, und einige waren Pflanzenheilkundler. Bis heute hat jeder Club seinen Medizinmann, der den Spielern vor wichtigen Spielen ihren Trank zusammenbraut, der Kraft verleiht und auf dem Feld Glück bringt. Bis Mitte der achtziger Jahre wurde allerdings in meinem Land erst halbprofessionell Fussball gespielt. Profis verdienten dementsprechend nicht genug Geld, um über die Runden zu kommen. Sie mussten an ihren regulären Jobs festhalten, um ihre Familien intakt zu behalten, und konnten sich nur am Wochenende auf den Fussball konzentrieren. Obwohl in der schwarzen Gemeinschaft mit Fussball also nicht ans grosse Geld zu kommen war, blieb die Verlockung des Fussballs als Eingangstor zum Erfolg bestehen. Die guten Fussballer lebten in den schickeren Teilen unseres Townships. Sie lebten in Diepkloof Extension, Soweto, wo Lehrer, Anwälte, Ärzte, Pflegepersonal und andere Schwarze mit Berufsausbildung ihren Wohnsitz hatten. Aber die Fussballer waren glamouröser als jene. Jeder junge Mann dachte, dass Fussballspieler im Gegensatz zu Arzt ein erreichbares Berufsziel sei. Und dieser Beruf war erst noch im Scheinwerferlicht und roch nach Macht und Einfluss. Fussball ist demokratisch: Man muss nicht Professor mit Universitätsabschluss sein, um Fussballer zu werden oder einen Club zu besitzen.

Mit der WM am Ziel
In gerade mal zwanzig Jahren ist der südafrikanische Fussball höchst lukrativ geworden. Spieler von Profi-Mannschaften wie den Kaizer Chiefs, Orlando Pirates, Mamelodi Sundowns oder Supersport United sind heute Vollprofis, sie essen, trinken, schlafen und träumen Fussball. Einige verdienen 150’000 Rand pro Monat (20’000 Franken) – weit entfernt von den 150 Rand (20 Franken), mit welchen sich die meisten Spieler in den achtziger Jahren begnügen mussten. Dies dank der grossen Summen, welche viele Konzerne in den Fussball investieren. Einige unserer Spieler wie Benni McCarthy, Steven Pienaar oder Macbeth Sibaya spielen für Topmannschaften in Europa. Nach all den  Jahren unseres Kampfes sind wir endlich dort angelangt!

Der Erfolg Südafrikas im Bewerbungsrennen für die Fussball-Weltmeisterschaft dieses Jahres sollte in diesem Kontext verstanden werden: Unglaublich, wie sich das wunderbare Spiel in nur 20 Jahren verwandelt hat. Gemäss Danny Jordaan, dem Chef des südafrikanischen Fussballverbandes, wird dies den Tourismussektor gewaltig ankurbeln. In einem in der Sunday Times vom 3. Januar 2010 publizierten Artikel erklärte Jordaan den weiteren Nutzen: "Gemäss einer Studie wird die WM mindestens 55 Milliarden Rand (7 Milliarden Franken) zur südafrikanischen Wirtschaft beitragen und direkt 415’000 Arbeitsplätze schaffen. Dazu gehören Ausgaben der Regierung für die Stadien und die weitere Infrastruktur, Ausgaben der Zuschauer und Ticket-Verkäufe. Die Zahl umfasst aber nicht private Investitionen, wie etwa den Bau einiger neuer Hotels im ganzen Land oder das Geld, das die Austragungsstädte und -regionen selber einsetzen, um die WM vorzubereiten."

Unser Jahr ist da
2010 kommt unvermeidbar der Moment, auf den viele Südafrikaner so lange gewartet haben – aus wirtschaftlichen Interessen, aber auch aus Stolz, denn wir werden das erste afrikanische Land sein, das dieses Fussballspektakel beherbergt. Jordaan sprach für Millionen von Südafrikanern, wenn er verkündete: "Das ist unsere Zeit. Das ist unser Jahr." Auf jeden Fall ist mein Vater damit einverstanden. Nie hätte er früher davon zu träumen gewagt, dass unser Land zu seinen Lebzeiten eine Fussball-WM durchführen würde. Aber es wird nun so weit kommen, und er ist erst 65 Jahre alt! Obwohl sein Club vor einigen Jahren einging, lebt er mit dem Gefühl, dazu beigetragen zu haben, die Fackel des Fussball-Bewusstseins am Brennen zu halten. Er kann mit Stolz und Befriedigung auf seinen Beitrag zurückblicken, so vernachlässigbar dieser in den Augen vieler erscheinen mag. Sein Sohn, ich, wurde kein Spieler, der als solcher erwähnenswert wäre. Aber er wagte sich beruflich in das Gefilde des Geschichtenerzählens, Geschichten, die Menschen inspirieren und ihnen Hoffnung geben. Gerade so, wie es auch das Fussballgaudi tun wird, das wir im Begriff sind, auszurichten. Das wunderbare Spiel mit seinem demokratischen Ethos, zugänglich für Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, hat Menschen mit Hoffnung erfüllt und wird es weiterhin tun. Mit der Hoffnung, dass Dir – selbst wenn sie Dir Deine Menschenrechte verweigern, oder den Zugang zu Bildung – alles möglich ist, solange Du hart daran arbeitest.

Fred Khumalo ist Redaktor der Sunday Times Review in Johannesburg, Südafrika. Er ist Autor dreier Bücher, insbesondere des Romans «Bitches’ Brew», welcher 2005 den Literaturpreis der Europäischen Union gewann. (Übersetzung Matthias Hui)
Der Beitrag erschien in Vice-Versa, dem Mitteilungsmagazin der Fachstellen Oekumene, Mission, Entwicklungszusammenarbeit (OeME) und Migration (FaMi) der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, Ausgabe 1/2010. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung