Mehrmals schon bekräftigten die Regierungen, alles zu unternehmen, damit die Klimaerwärmung nicht über 2 Grad Celsius ansteigt. Dazu müssten die globalen Emissionen von Treibhausgasenallerdings auf 50 Prozent des Standes von 1990 und bis 2050 auf null gesenkt werden. Nach dem gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen 2009 lag die Klimapolitik jahrelang praktisch im Koma. Nun herrscht Aufbruchstimmung, bis zur Klimakonferenz in Paris vom nächsten Jahr doch noch einen Vertrag zustande zu bringen. Neu sollen sich alle 196 Staatenverpflichten, ihren anteilmässigen Beitrag zur Eindämmung des Klimawandels und seiner Folgen zu leisten.
Das Prinzip "Klimagerechtigkeit" spielt eine entscheidende Rolle, ob es tatsächlich zu einem Durchbruch kommt. Getreu dem Verursacherprinzip der Klimakonvention müssen die Staaten "gemeinsame, aber unterschiedliche" Beiträge zur Eindämmung der Klimakrise treffen. Staaten, die bisher ammeisten Emissionen verursacht haben, sollen stärker in die Pflicht genommen werden und auch zur Finanzierung vonAnpassungs- und Reduktionsmassnahmen in Entwicklungsländernbeitragen.
Die Entwicklungs- und Schwellenländer pochen dabei auchauf ihr Recht, im Zuge der "nachholenden Entwicklung" bis 2050 ihren gerechten Anteil an den durchschnittlich noch verkraftbaren Emissionen von 2,1 Tonnen pro Kopf und Jahr zugestanden zu bekommen. Rechnet man dies auf die nötige Reduktion in Industriestaaten um, so müssten dort über 80 Prozent gegenüber 1990 eingespart werden.
Zum Auftakt lud Ban-Ki Moon alle Staats- und Regierungschefsam 23. September nach New York ein, um sie frühzeitig auf einen gemeinsamen visionären Pfad einzuschwören. Zeitgleich mit dem grössten Klimagipfel seit 2009 gingen allein in New York weit über 300’000 Menschen auf die Strasse. Laut Bill McKibben von 350.org, um "Einbrecher-Alarm" zu schlagen, weil "wir mit dem Diebstahl an der Welt und an den zukünftigen Generationen nicht einverstanden sind!"

Was die Zivilgesellschaft fordert …

Auch unter NGOs ist zurückhaltende Zuversicht zu spüren. Damit in Paris ein neues Klimaabkommen mit griffigen und umsetzbaren Massnahmen zustande kommt, verlangen sie ein solides rechtliches Abkommen mit klaren, verbindlichen Regeln und der Zusage zu ambitionierten Taten schon vor 2020. Das bedingt, Klimagerechtigkeit als zentrales Element anzuerkennen sowie ausreichende Zusagen von öffentlichen Geldern für Anpassungsmassnahmen und den Übergang zu einer Low-Carbon-Ökonomie. Ausserdem muss Komplementarität mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bestehen.1
So auch in der Schweiz: Am 23. September hat Alliance Sud zusammen mit rund 60 Mitgliedern der Klima-Allianz die "St. Doris-Petition" lanciert. Sie fordert den Bundesrat auf, sich doppelt einzusetzen: In der Schweiz für einen wirksamen und gerechten Klimaschutz, was die konsequente Umstellung der inländischen Energieversorgung auf erneuerbare Quellen verlangt. Und im internationalen Kontext, indem sie ihren gerechten Anteil an den 100 Milliarden Dollar pro Jahr aufbringt, den die Industriestaaten den Entwicklungsländern ab 2020 zugesagt haben, um diese in ihren Emissionsreduktions-und Anpassungsmassnahmen zu unterstützen. Ohne ausreichende Finanzzusagen wird es 2015 kein Klimaabkommengeben.2

…und was die Schweiz tut

Noch wird verwaltungsintern verhandelt, welches Mandat man der Delegation nach Paris mitgeben wird. Am Klimagipfel in New York hielt Bundesrätin Leuthard vorderhand an einer minimalen Verringerung der inländischen Emissionen um 20 Prozent bis 2020 fest. Man wartet ab, was die EU macht. Diese erwägt allerdings bereits eine durchschnittliche Zielvorgabe vonmindestens 30 Prozent bis 2020. Um dies zu erreichen, müssen Mitgliedstaaten mit vergleichbarer Wirtschaftsleistung wie die Schweiz (Deutschland, Dänemark, Schweden, England) ihre Emissionen bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 zu 100 Prozent reduzieren. Daran muss sich die Schweiz orientieren – und nicht am Kohleland Polen!
An der Klimakonferenz in Lima diesen Dezember wird die Form des angepeilten neuen Klimaabkommens diskutiert, welches dahin im Dezember 2015 in Paris unterzeichnet werden soll. Die Schweiz sollte ihr Angebot bis dahin anpassen: von einem bisher zurückhaltenden zu einem gerechten und visionären, das ihrer wirtschaftlichen, technologischen und finanziellen Kompetenz entspricht. Nur so dürfte sie sich dann tatsächlich auch rühmen – mit den Worten von Bundesrätin Leuthardin New York -, zu den " Architekten für [die] Bewältigung " des globalen Klimawandels zu zählen.3


Jürg Staudenmann ist der Nachfolger von Nicole Werner im Dossier Klima- und Umweltpolitik. Nach 13 Jahren Auslandtätigkeit im multilateralen Umfeld kehrte Jürg diesen Sommer mit seiner Familie in die Schweiz zurück.
Sein vielseitiger beruflicher Werdegang begann nachdem Studium zum Umweltingenieur an der ETH Zürich. Als Forschungsassistent und später Leiter eines interdisziplinärenTeams an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) lagen seine Kerngebiete im Umwelt- und Abwassermanagement.
Nach sieben Jahren Forschungstätigkeit und dem Nachdiplomstudium für Entwicklungszusammenarbeit (NADEL) zog es Jürg ins Feld; er verpflichtete sich beim Uno-Entwicklungsprogramm(UNDP). Zunächst war er Junior Professional Officer (JPO ) im Umweltprogramm in Palästina und danach zwei Jahre Evaluationsspezialist amHauptsitz in New York. Es folgten sechs Jahre als Wasserbewirtschaftungsexperte in Bratislava und weiterev ier Jahre in Belgrad, wo Jürg in der Funktion des UNDP Deputy Resident Representative unter anderem den Politikdialog mit der Regierung führte.