Die Tage im April und Mai 2006 waren bewegend und ein deutliches Zeichen des Aufbruchs. So wie es jahrelang schien, als sei nach unten keine Steigerung mehr möglich, so sieht es im Moment aus, als würde alles noch besser als gut: Nach zehn Jahren Bürgerkrieg und fünf Jahren ohne funktionierendes Parlament, nach ständig wechselnden Regierungen und Ministern, atmen die Nepalesen auf und schöpfen Hoffnung. Erleichterung war nach den vielen Jahren des Bürgerkrieges, der Gewalt, der Verschleppungen, der massiven Behinderungen im Alltag der Menschen zu spüren, ein kollektives Durchatmen; die Glocke der Depression, die über der Hauptstadt hing, hatte sich kurzerhand verzogen.

Aber es gab noch etliche Schlaglöcher auf dem Weg zum Frieden. Fünf Monate nach der Rhododendron-Revolution machte sich das Parlament an die Erledigung der bereits vor seiner Auflösung im Jahre 2002 beschlossenen Vorhaben. Es gelang ihm, dem Land einen neuen Anstrich zu verpassen und eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen zu erlassen, wichtige Schritte in Richtung echter Demokratie zu setzen. Kinder alleinstehender Frauen werden das Staatsbürgerschaftsrecht bekommen und 45 Prozent der öffentlichen Dienstposten sollen von Janajatis, von Personen besetzt werden, die zu den ethnischen Minderheiten des Landes gehören.
Auf diese Weise versuchte die Regierung Rückhalt beim Volk zu gewinnen. Während des Monsuns hielt der Waffenstillstand, festigten auch die Maoisten ihre Position. Ihren Kaderleuten sagten sie, dass sie eigentlich das Land schon gewonnen hätten, aber nun auf einen friedlichen Kurs einschwenken würden. Gleichzeitig brachten sie ihre Anhänger in der Hauptstadt in Position.
Jede Woche demonstrierte oder streikte eine andere Berufsgruppe. Auf der Fahne der Gewerkschaft der Hotelbeschäftigten waren Gabel und Sichel aufgenäht, die Gewerkschaft der Tischler lässt die rote Fahne mit Schraubenzieher und Sichel flattern. Eine erhebliche Preissteigerung bei Benzin- und Heizölpreisen führte zu einer dreitägigen Blockade sämtlicher Straßen.
Das Volk hinter den Maoisten hatte erkannt, dass Widerstand erfolgreich sein kann, wenn er von vielen Leuten formuliert und vehement genug vorgetragen wird. Drei Tage später wurden die Preiserhöhungen rückgängig gemacht.
Nach dem Monsun war klar, dass im Land eigentlich zwei Regierungen tätig sind: die Koalition aus den Parteien, die aber intern schlecht abgestimmt und oft uneins bezüglich der Maßnahmen war und das Zentralkomitee der Maoisten, das mit seinen Kadern alle Landgebiete, die Überlandverbindungen und die Straßen von Kathmandu beherrschte. Man hatte bereits wieder den Eindruck, die typischen nepalesischen Politspielereien fangen wieder an. Aber hinter den Kulissen wurde geschoben, bemühten sich UNO-Vermittler und Diplomaten, herrschte hektisches Treiben. Zuletzt waren nur noch die USA gegen eine Beteiligung der Maoisten an der Regierung, zögerten das Friedensabkommen hinaus. Die Maoisten ihrerseits verzichteten auf die sofortige Absetzung des Königs, stimmten aber nicht ihrer einseitigen Entwaffnung zu.
Während der 85jährige Premier erheblich kränkelte und kaum öffentlich in Erscheinung trat, flimmerte Genosse Prachandra fast täglich über die Bildschirme, gab Interviews im Radio und sonderte Statements für die Zeitungen ab. Er stellte sich öffentlich hinter das Abkommen mit den Parteien und erklärte landesweit, dass die Maoisten nicht in den Dschungel zurückkehren wollten. „Wir stellen uns der demokratischen Herausforderung“ verkündete er zum Staunen seiner Anhänger, zur Not wohl auch mit Waffen! Unter maoistischer Führung solle Nepal eine „asiatische Schweiz“ werden – aber gleichzeitig führten die Maoisten ihre Standgerichte weiter, rüsteten ihre Armee auf und formten Milizgruppen. Von ihrer Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung wichen sie nicht ab. Der Unmut auf allen Seiten wuchs, ebenso die Zweifel in der Bevölkerung, ob es in absehbarer Zeit zu einer friedlichen und dauerhaften Beilegung des Konfliktes kommen wird.
„Mit dem heutigen Tag wird die Politik des Tötens, der Gewalt und des Terrors ersetzt durch eine Politik der Versöhnung!“ Alle waren etwas überrascht und noch mehr erleichtert, als Premierminister Girija Prasad Koirala am 21. November 2006 die Unterzeichnung des umfassenden Friedensabkommens (Comprehensive Peace Accord) verkündete. Prachandra, der Vorsitzende der kommunistischen Partei/Maoisten, stellte fest, dass mit der Unterzeichnung des Abkommens zwischen ihm und dem Premier eine 238 Jahre dauernde Tradition des Feudalismus gebrochen wurde. Das sei ein „Sieg des nepalesischen Volkes über die regressiven Mächte und der Beginn einer neuen Ära“.
In dem Abkommen werden die Schritte zur Normalisierung des Lebens in Nepal geregelt und der mehr als 10 Jahre dauernde Volkskrieg offiziell für beendet erklärt. Die Maoisten werden demnach in das Parlament und mit etlichen Ministern in die Interimsregierung eintreten. Diese bereitet die Wahlen zu einer verfassungsgebenden Versammlung im Juni 2007 vor.
Die maoistischen ‚Volksgerichte’ werden geschlossen, Entführungen, das spurlose Verschwinden von politischen Gegnern, erzwungene Steuerzahlungen sowie Rekrutierungen für die ‚Volksbefreiungsarmee’ werden beendet. Die Rebellen unterstellen ihre Waffen einer UN-Kontrolle und werden in festgelegten Bezirken kaserniert. Auch Waffenarsenale der Armee kommen unter UN-Aufsicht. Eine Wahrheits- und Versöhnungskommission wird Menschenrechtsverletzungen untersuchen. Armee und Guerilla informieren sich gegenseitig über verminte Gebiete, um sie in den nächsten Monaten von der tödlichen Gefahr zu säubern.
Diplomaten aus aller Welt, unter ihnen auch die Botschafter der USA, Indiens und Chinas, sowie der persönliche Repräsentant des UNO-Generalsekretärs nahmen an der Zeremonie teil. Wie alle anderen Anwesenden äußerte er sich zufrieden über das Abkommen. Der Sprecher des indischen Außenministeriums bemerkte, der Pakt entspreche dem überwältigenden Wunsch der Nepalesen nach Frieden und Stabilität, jetzt müsse man es Punkt für Punkt umsetzen.
Auf den Straßen Kathmandus und in anderen Städten des Landes jubelten und tanzten die Menschen unter Lichtergirlanden. Einen Walzer des Friedens.
*Kurt Luger ist Professor am Institut für Kommunikationswissenschaften der Universität Salzburg und Vorsitzender von Öko Himal – Gesellschaft für ökologische Zusammenarbeit Alpen-Himalaya, die im Auftrag der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit Projekte im Himalaya realisiert(Leicht gekürzte Fassung des Editorials von „The Alpine-Himalayan Mailrunner“ 2/2006 – mit freundlicher Genehmigung des Autors. office@ecohimal.org, www.ecohimal.org)