Ausbeutung im Namen des «Ökotourismus»
Über vier Kilometer erhebt sich der Vulkan Mongo ma Loba (oder Mount Cameroon) aus dem Golf von Guinea. An seinem Fuss hat sich saftig grüner Regenwald gebildet, weiter oben folgt ein Savannengürtel und um den Gipfel herum breiten sich dunkelbraune Sandflächen mit alten Kratern aus, die den Wanderer daran erinnern, dass der Vulkan nur schlummert. Seine letzten Ausbrüche ereigneten sich 1999 und 2000.
Die Artenvielfalt ist beeindruckend: Eine kleine Population bedrohter Waldelefanten lebt hier neben Antilopen und zahlreichen Vogelarten wie dem Mount Cameroon Frankolin und dem Mount Cameroon Speirop, die nur hier beheimatet sind. Auf den gewaltigen Wurzeln der Urwaldbäume gedeihen Flechten, Moose und Orchideen. Die Pflanzenwelt des Berges dient Medizinmännern als Apotheke und Botanikern als Forschungsgegenstand. Weltweit gehört die Kamerunbergregion zu den "Hotspots" für biologische Vielfalt – und das soll sie auch bleiben. Daher erklärte die Regierung den Bergwald Ende 2009 zum Nationalpark und beschloss die Förderung von Ökotourismus, all das in Zusammenarbeit mit internationalen Nichtregierungsorganisationen (NRO).
Ökotourismus gilt seit Ende der 90er Jahre als Patentrezept; die "International Ecotourism Society" definierte dieses Tourismussegment als "verantwortungsvolle Reisen in Naturräume, wobei die Umwelt geschützt und das Wohlergehen der lokalen Bevölkerung gesichert wird." Nachhaltigkeit im ökologischen und im sozioökonomischen Sinn versprach zunächst auch das Projekt am Kamerunberg: Es sollte verhindern, dass die AnwohnerInnen die Ressourcen des Berges überstrapazieren und so den Ast absägen, auf dem sie sitzen.
Kein Zugang mehr zum Götterberg
Aus Sicht der lokalen Ethnie der Bakweri war die Gründung des Nationalparks jedoch ein herber Verlust: Seit Ahnengedenken waren sie hier zu Hause, in 20 Dörfern am Fuss des Berges rund um die Universitätsstadt Buéa. Der Mongo ma Loba (wörtlich: Götterberg) hat für sie neben einer religiösen vor allem auch wirtschaftliche Bedeutung: Er versorgt sie mit Brenn- und Bauholz, Wild, Honig, medizinischen Pflanzen und anderen Waldprodukten. Doch seit Einrichtung des Nationalparks dürfen sie weite Teile des Berges (sogenannte "Schutzzonen") nicht mehr betreten; ihre traditionelle Wirtschaft liegt brach oder setzt sich "illegal" fort.
Der Interessenkonflikt ist programmiert: Auf der einen Seite die Regierung und NRO, die die Vielfalt erhalten und touristisch nutzbar machen wollen – und auf der anderen Seite die Einheimischen, die die Ressourcen "ihres" Berges wie ihre Vorfahren für den täglichen Bedarf nutzen wollen.
Um den Interessen beider Seiten gerecht zu werden, gründeten GTZ und andere internationale Geber eine gemeindebasierte Ökotourismusorganisation und stellten sie unter die Schirmherrschaft des Bürgermeisters der Provinzhauptstadt Buéa. Mehr als 50 ehemalige Jäger aus den Dörfern wurden als Bergführer ausgebildet und begleiten seitdem Touren. Dies sollte eine zusätzliche Einkommensmöglichkeit für sie schaffen und den Druck auf die natürlichen Ressourcen verringern. Ein grosser Teil des Gewinns aus den Bergtouren (60 Prozent) soll die laufenden Kosten des Ökotourismusbüros decken, während die Gemeindeverwaltung und das Tourismusministerium je fünf und drei Prozent erhalten. Die restlichen 32 Prozent sollten gespart werden, um Projekte zur Dorfentwicklung umzusetzen.
Mit dieser Verteilung waren auch die Bakweri zufrieden, denn bis zur Gründung des Ökotourismusbüros hatte die Tourismusdelegation in Buéa eigenmächtig über die Einnahmen aus den Bergtouren verfügt und sie an die Zentralregierung abgeführt. Die Gemeinden hatten kaum davon profitiert. Das sollte nun anders werden. So weit der Plan.
Fragwürdige "Teilhabe"
Doch was ist aus dem Pilotprojekt geworden, in das die Region so grosse Hoffnungen setzte? In der Tat vergrösserte sich die Zahl der jährlichen TouristInnen von 100 vor Gründung des Parks auf heute über 1’500. Doch die vielen ausgebildeten Führer und Gelegenheitsträger erhalten nur einen kleinen Teil der Einkünfte aus den Touren; für ein regelmässiges Zusatzeinkommen reicht es nicht. Ein Touristenführer verdient auf einer dreitägigen Tour 17’000 kamerunische Franc (FCFA), knapp 26 Euro; ein Träger erhält 15’000 FCFA (knapp 23 Euro). Davon kann er Grundnahrungsmittel für eine vier- bis fünfköpfige Familie für eine Woche kaufen – für die Wartezeit bis zum nächsten Auftrag, eine finanzielle Absicherung oder gar eigene Ausrüstungsgegenstände reicht das Geld nicht. Einige Bergführer sind als Jäger in den Wald zurückgekehrt. Die verbliebenen Touristenführer sind frustriert über die Vergütung und die Korruptionspraktiken des Ökotourismusbüros: So muss ein Bergführer der Sekretärin ein Bier kaufen, um seine nächste Tour zu sichern.
Doch Arbeitslosigkeit ist gerade unter Jugendlichen ein grosses Problem in der Gegend um Buéa. Und so bleibt den jungen Männern trotz des Niedriglohns kaum eine andere Alternative, als gelegentlich die schweren Rucksäcke der Wanderer auf den Berg zu schleppen.
Wir erinnern uns: Ein Drittel der Einnahmen aus den Touren sollte Projekten auf Dorfebene zugute kommen. Doch was findet man dort? Eine heruntergekommene, aus Brettern gezimmerte Gemeindehalle. Ein Wasserprojekt ohne Wasser. Wen wundert’s? Das "gemeindebasierte" Ökotourismusbüro steht de facto unter der Kontrolle von zwei Familien, die sehr gute Kontakte zur Regierungspartei haben und somit glauben, sich für Missmanagement nicht verantworten zu müssen.
Wer heute den Mount Cameroon erklimmt, sieht zunächst ganz andere Berge: Berge von Müll. Auf 1850 Meter Höhe steht mitten im Wald die erste Hütte – eigentlich ein idealer Ort, um ein Picknick zu machen und Energie zu tanken, bevor man den Wald verlässt und in die Savanne aufbricht. Doch der Zustand der Hütte ist abschreckend: Achtlos weggeworfene Bananenschalen sind noch harmlos, schlimmer sind all die Sardinendosen, leeren Flaschen und Plastikteile, die hier "vergessen" wurden.
Die zweite Hütte, auf 2850 Metern Höhe, liefert ein noch desolateres Bild. Ein zerquetschter Blechblock stört hier die schöne Savannenlandschaft. Wer auf den Gipfel des Mongo ma Loba will, muss hier die erste Nacht verbringen und sich mit dem Müllgarten, den dazugehörigen Ratten und anderem Ungeziefer anfreunden. Klein in einer Ecke steht ein Schild des Ökotourismusbüros: "Taking nothing but pictures, leaving nothing but footprints." ("Bitte nichts mitnehmen ausser Fotos und nichts zurücklassen ausser Fussspuren.")
"Ökotourismus" zwischen Müllhaufen
Eine Besucherin erzählte später, wie Tourbegleiter Plastiktüten und Flaschen in der Erde vergruben. Es gibt keine vernünftige Müllmanagementstrategie für den Kamerunberg. Das Aufstellen des Hinweisschildes scheint bislang die einzige Strategie des Tourismusministeriums und des Ökotourismusbüros zu sein.
"Ökotourismus" auf dem Kamerunberg – das sind Müllhaufen, Berghütten in schlechtem Zustand und völlig unterbezahlte Tourbegleiter in einer eigentlich wunderschönen Natur. Hoffnung kommt jetzt von der Weltbank. In der Region verbreiten sich Gerüchte, dass diese Institution bald viel Geld in Tourismus und Management des Nationalparks investieren wird. Aber bevor erneut Gelder in dieses Projekt gepumpt werden, die höchstwahrscheinlich in den Taschen von dubiosen NRO und korrupten Beamten verschwinden, sollte der neue Investor über die Nachhaltigkeit des Ganzen nachdenken.
Zunächst einmal braucht das Ökotourismusbüro gut ausgebildetes und engagiertes Personal. Die Tourbegleiter müssten neben einer angemessenen Vergütung auch Aus- und Fortbildungen erhalten. Die Berghütten müssten renoviert und gewartet werden und ein wirksames Müllkonzept müsste umgesetzt werden. Schliesslich sollte sich Kamerun und speziell die Kamerunbergregion in den Herkunftsländern der Touristen strategisch als (Öko-)Tourismusdestination vermarkten. Wenn wir diese Massnahmen versäumen, bleiben Armutsbekämpfung und Naturschutz durch Tourismus am Mongo ma Loba ein leeres Versprechen.