Der Bundesrat hat anfangs Jahr seinen Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik verabschiedet. Einen zentralen Pfeiler der aktualisierten Aussenwirtschaftsstrategie bilden die bilateralen Freihandelsabkommen (FHA). Ganz oben auf der Prioritätenliste stehen dabei Abkommen mit Schwellenländern wie China, Indien, Russland oder Indonesien. Während die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen solcher FHA ausgiebig thematisiert werden, fehlen jegliche Ausführungen zu möglichen negativen menschenrechtlichen Auswirkungen. Und dies obwohl diverse UNO-Menschenrechtsgremien seit Jahren auf diese Gefahr hinweisen und von den Staaten fordern, Menschenrechtsanliegen verstärkt in ihren FHA zu berücksichtigen. Das ist enttäuschend.
Internationale Empfehlungen ignoriert
Mehr noch: Vor gut einem Jahr hat der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Staatenberichtsverfahren zur Schweiz unserer Regierung nahegelegt, die menschenrechtlichen Verpflichtungen des Partnerstaates zu berücksichtigen, wenn sie mit diesen FHA verhandelt und abschliesst. Weiter empfiehlt der UNO-Ausschuss der Schweiz, die Auswirkungen ihrer Handelspolitik und -abkommen auf die Menschenrechtssituation der Bevölkerung im Partnerland genau zu prüfen. Auch dazu schweigt sich der Bundesrat im Bericht aus.
Im Herbst 2011 hat eine Gruppe von 40 ausgewiesenen RechtsexpertInnen unter der Leitung des Maastricht Center for Human Rights der Universität Maastricht und der Internationalen Juristenkommission nach mehrjähriger Vorarbeit die "Maastrichter Grundsätze zu den Extraterritorialen Staatenpflichten im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte" verabschiedet. Darin ist unter anderem festgehalten, dass Staaten eine vorgängige Prüfung möglicher extraterritorialer Auswirkungen ihrer Politiken auf die Menschenrechte durchführen müssen. Zu solchen für die Schweizer Aussenwirtschaftspolitik relevanten internationalen Entwicklungen verliert der Bundesrat im Bericht ebenfalls kein Wort.
Kein Wort zu den menschenrechtlichen Folgeabschätzungen
Ein weiterer Weckruf kommt von einem Ende 2011 erstellten Rechtsgutachten des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte (SKMR). Im Kontext des zurzeit verhandelten Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China hält das Gutachten fest, dass für die Schweiz eine rechtliche Verpflichtung besteht, die menschenrechtlichen Auswirkungen eines solchen FHA abzuklären. Mehr noch, das Gutachten spricht von einer "Pflicht zur menschenrechtssensiblen Verhandlungsführung" und meint damit die "grundsätzliche Verpflichtung" der Schweiz, die Ergebnisse der Abklärungen in die Verhandlungen mit China einfliessen zu lassen und darauf hinzuarbeiten, dass auch ein entsprechendes Verhandlungsergebnis erreicht wird. Im bundesrätlichen Bericht ist zu diesen menschenrechtlichen Pflichten im handelspolitischen Bereich nichts zu lesen.
Künftig soll in FHA der EFTA (in deren Verbund die Schweiz die meisten Abkommen aushandelt) ein Nachhaltigkeitskapitel integriert werden. Auch für das bilaterale FHA zwischen der Schweiz und China verlangt die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats vom Bundesrat, dass ein solches Kapitel in die Verhandlungen miteinbezogen wird. Darin enthalten ist auch ein Artikel zum Verhältnis zwischen FHA und anderen internationalen Abkommen. Gemäss den Musterbestimmungen soll der Artikel sicherstellen, "dass das Freihandelsabkommen den anderen internationalen Abkommen, einschliesslich der Abkommen auf dem Gebiet der Menschenrechte, (…) nicht entgegensteht". Während dieser Artikel zweifellos eine gute Absicht verfolgt, stellt sich die Frage, wie festgestellt werden kann, wann ein FHA bestehenden Menschenrechtsabkommen entgegensteht. Im Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik bleibt der Bundesrat eine Antwort auf diese offensichtliche Frage schuldig.
Leitprinzipien stehen bereit
Aufschlussreicher sind da die "Guiding Principles" zu menschenrechtlichen Folgeabschätzungen von Handels- und Investitionsabkommen, die der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, an der eben zu Ende gegangenen 19. Session des UNO-Menschenrechtsrates vorgestellt hat. Professor De Schutter hat letzten Sommer einen Entwurf seiner Leitprinzipien auch an einem Seminar in Bern vorgestellt. Diese könnten, so De Schutter, Staaten bei der Entwicklung und Durchführung von Menschenrechtsanalysen ihrer Handelspolitik unterstützen und damit sicherstellen, dass sie ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Es ist im Kontext der obigen Ausführungen unverständlich, dass diese Leitprinzipien im Bericht zur Aussenwirtschaftspolitik keine Erwähnung finden. Was braucht es noch, um den Bundesrat aus seinem menschenrechtlichen Tiefschlaf zu holen?
Dieser Artikel erschien am 23.03.2012 als Gastbeitrag auf www.humanrights.ch. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.