Ausverkauf im Paradies
Bocas del Toro ist für viele Reisende ein Traum. Zahlreiche Inseln und Atolle prägen die Karibikküste Panamas unweit der Grenze zu Costa Rica. In dem türkisfarbenen Wasser sind Meeresschildkröten und Delfine zu Hause. Die feinsandigen Inseln werden von Kokospalmen und Mangroven gesäumt. Doch was einst eher ein Fleckchen für AussteigerInnen und Hippies war, wird längst vom Massentourismus heimgesucht. Immer mehr Hotels und Ferienanlagen entstehen, in den Mangroven sammelt sich der Müll.
Mit einem Anteil von neun Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist der Tourismus für die Wirtschaft des mittelamerikanischen Staates von zentraler Bedeutung. Nach Auskunft des Tourismusministeriums sorgten 2012 rund 2,1 Millionen BesucherInnen für Einnahmen von rund 2,5 Mrd. Euro. Das waren 25 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Und aus Sicht der Regierung von Staatspräsident Ricardo Martinelli soll das so weiter gehen. Wirtschaftliche Interessen stehen bei dem Unternehmer, dem eine der grössten Supermarktketten des Landes gehört, im Vordergrund.
Die Umwelt wird wirtschaftlichen Interessen geopfert
"In Panama gibt es zwar eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen zum Umweltschutz, die offiziell von lokalen und regionalen Behörden überwacht werden", berichtet Arturo Dominici von der Umweltorganisation Conservation International. Der an der Universität zu Bremen promovierte Meereswissenschaftler war vor seiner NGO-Arbeit zwei Jahre für die Gewässer- und Küstenschutzbehörde ARAP (Autoridad de los Recursos Acuaticos de Panama) tätig. "Die Mitarbeiter waren qualifiziert und engagiert. Doch es gab eine wachsende Zahl von Fällen, in denen der externe Druck, die Umweltauflagen zu umgehen, zu gross wurde", erklärt er sein Ausscheiden. Es sei keine Seltenheit, dass Investitionsprojekte aus den Bereichen Tourismus, Immobilien, Energie und Rohstoffe auch gegen bestehende Umweltgesetze durchgesetzt würden. Zugleich werde in den Schutzbehörden kontinuierlich Personal abgebaut, moniert Dominici, der auch die sinkenden Kosten für Eingriffe in die Natur kritisiert. So habe die Regierung unlängst die Gebühren für die erlaubte Abholzung von Mangroven zur Anlage etwa von Hotels, Privatimmobilien oder Golfplätzen von 150’000 US-Dollar je Hektar auf 10’000 Dollar gesenkt. Für die illegale Rodung von Mangroven werde pro Hektar nur noch eine Strafe von 40’000 statt bisher 300’000 Dollar fällig.
"Noch verfügt Panama über eine breite und vielfach unerforschte Artenvielfalt", sagt Dominici. Das gelte etwa für Tiere und Pflanzen in vielen Flüssen der von den unwegsamen Kordilleren geprägten Provinz Chiriquí. Laut Regierungsangaben sind dort mehr als 50 Wasserkraftprojekte in Planung oder bereits in Bau – Dominici nennt das eine "Katastrophe für die Biodiversität". Auch die wachsende Zahl von Minenprojekten habe einen verheerenden Einfluss auf die Natur.
Wenig Hoffnung knüpft der Meeresschützer an die kommenden Präsidentschaftswahlen im Mai 2014. "Die politische Klasse in Panama verfolgt, egal welcher Couleur, zuallererst Wirtschaftsinteressen." Eine davon unabhängige Opposition gebe es nicht. Das habe viel mit der Geschichte Panamas zu tun, das bis 1903 eine abgelegene Provinz Kolumbiens war und nur aus dem von den USA verfolgtem Interesse an der Schaffung einer Seeverbindung zwischen Atlantik und Pazifik ein eigener Staat werden konnte. Der Panamakanal ist Sinnbild für die auf Wirtschaftsinteressen fokussierte Politik. Die Fixierung auf den Kanal und weitere aggressiv vorangetriebene Infrastrukturprojekte erklären auch das erhebliche Wirtschaftswachstum des kleinen Landes an der Landenge zwischen Pazifik und Atlantik. Laut Weltbank legte die Wirtschaftsleistung in den letzten sechs Jahren viermal um mehr als zehn Prozent zu. Angesichts der Wirtschaftskraft liegt die Armutsrate laut CIA-Factbook mit 30 Prozent auf erschreckend hohem Niveau, auch wenn sie seit 1999 um zehn Prozentpunkte gesenkt wurde. Vor drei Jahren war sie schon auf unter 26 Prozent gefallen. Laut US-Informationen gibt das Land weniger als vier Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Bildung seiner BürgerInnen aus – Platz 110 weltweit.
"Die meisten Kinder gehen nur sechs Jahre zur Schule. Manche Mädchen werden schon mit 14 verheiratet und sind mit 28 Grossmutter", sagte Meivis Ortiz. Für die Agraringenieurin gilt das nicht. Sie ist froh, dass sie in Costa Rica studieren konnte. Heute leitet sie auf dem Festland von Bocas del Toro zwei Plantagen zum nachhaltigen Anbau von Kakao in urwüchsigen Wäldern. Investor ist eine deutsche Firma. Dort finden sich noch Bäume, die ausserhalb der Plantagen rar geworden sind. "Die meisten Menschen holzen die Bäume auf Suche nach Baumaterial einfach ab, ohne sich um einen nachhaltigen Bestand zu kümmern – mit einer Ausnahme. Die Indigenen, die hier traditionell zu Hause sind, säen auch aus."
Die indigene Bevölkerung kämpft für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen
Dominici bestätigt: "Die indigenen Völker sind die einzigen, die sich gegen die Ausbeutung der Natur zur Wehr setzen." Und das vehement. Als ein internationales Konsortium vor zwei Jahren auf dem Gebiet der Ngobe-Bugle in Zentralpanama eine Kupfer- und Goldmine erschliessen wollte, blockierten die UreinwohnerInnen so lange die Panamericana, die zentrale Verkehrsader des Landes, bis Präsident Martinelli versprach, ihr Gebiet per Gesetz von Minenaktivitäten auszuschliessen. Dominici glaubt nicht, dass daran künftig gerüttelt wird. "Die Panamericana ist von hohem ökonomischem Interesse. Eine Blockade wäre für die Regierung ein zu grosses wirtschaftliches Risiko."
Nicht alle vertrauen auf die Dauerhaftigkeit heute bestehender politisch-wirtschaftlicher Beschlüsse. Neldo Tocamo ist Kazike einer Gruppe der Emberá, die am Rio Chagres leben, dem wichtigsten Zufluss des Panama-Kanals. Für sie wie für alle Indigenen gibt es einen elementaren Grund, ihre Umwelt zu verteidigen. "Himmel, Erde, Wasser und der Wald sind für uns wie Mutter und Vater", sagt er. "Ohne sie können wir nicht existieren, vor ihnen haben wir Respekt." Seit Generationen leben die Emberá vom Fischfang und von der Jagd in den unberührten Regenwäldern, durch die sich der Chagres schlängelt. "Wir kennen die Tierwelt, wissen welche Pflanzen heilen helfen."
Ihr Dorf Tusipono ist nur mit dem Boot zu erreichen. Gegen das Hochwasser bauen sie ihre mit Palmstroh gedeckten Holzhäuser auf Pfählen. Doch eines Tages, so befürchtet Neldo Tocamo, könnte das ganze Dorf vom Untergang bedroht sein. Denn mit dem Ausbau des Kanals brauchen die künstliche Wasserstrasse und ihre Schleusen noch mehr Wasser als heute schon.
Hintergrund ist, dass der Kanal ab 2015 auch die grössten Schiffe passieren lassen soll. Der Chagres liefert rund 60 Prozent des Wassers und könnte künftig aufgestaut werden, so die Sorge des Kaziken. Die verantwortliche Kanalbehörde hat einen Eingriff in den Chagres zwar ausgeschlossen. "Doch wer weiss, was die Regierung in fünf oder zehn Jahren beschliesst. Wir werden für unser Dorf und für die Bewahrung der Wälder und des Flusses kämpfen." Tocamo weiss, wie wichtig Aufklärung und Bildung sind, um diese Ziele zu erreichen. Deshalb schickt er seinen ältesten Sohn auf die weiterführende Schule nach Panama-City. Das Schulgeld kann er nur deswegen bezahlen, weil ihn eine Freundin in der Hauptstadt finanziell unterstützt. Geld, sagt er, sei wichtig, um zu überleben, und er habe auch nichts dagegen, wenn der Staat welches verdiene. Auch die Emberá verkaufen Kunsthandwerk und laden TouristInnen zu Besuchen in ihr Dorf ein. Doch das sei nicht alles: "Was mache ich mit dem Geld, wenn ich krank bin? Der Baum hat vielleicht ein Extrakt, das mir helfen könnte. Doch was ist, wenn er abgeholzt wurde?" Meereswissenschaftler Arturo Dominici kann dem nur zustimmen. "Panama braucht eine strikte Umweltpolitik", sagt er. Das würde sich angesichts des Naturreichtums mehr als lohnen, und anders als andere Staaten Mittelamerikas hätte Panama auch die finanziellen Mittel dazu.
Oliver Ristau ist Autor und Politologe. Er schreibt seit mehr als 15 Jahren über Menschen und Natur, Umwelt, Finanzen und Politik.