Bäume pflanzen reicht nicht aus
Waldschutzprojekte, die CO2-Gutschriften liefern, lösen auch den Widerspruch nicht auf, der allen CO2-Kompensationsprojekten innewohnt: Das Projekt muss auf die Tonne genau berechnen, wie viel CO2 ohne das Kompensationsprojekt freigesetzt worden wäre. Obwohl ein solcher Blick in eine imaginäre Zukunft nicht verifizierbar ist, liefert er die Grundlage für die Berechnung von CO2-Gutschriften. Bei Waldprojekten ergeben sich zusätzliche Risiken. Mittelfristig könnte die Aufforstung fehlschlagen, oder der Wald durch Brand oder Sturm zerstört werden. Das vorübergehend gebundene CO2 würde dann erneut in die Atmosphäre gelangen. Die Kompensation der fossilen Kohlenstoffemission wäre also nicht mehr gegeben. Zudem beruhen die Berechnungen der Kohlenstoffvolumina im Wald nicht auf Messungen, sondern auf Schätzungen. Die Ungenauigkeiten liegen bei 50 Prozent und (oft) mehr. Die Befürworter von Waldemissionsgutschriften sagen, dies würde durch "konservative" Berechnungen ausgeglichen. Doch eine solche Reserve löst das Grundproblem von Kompensationsprojekten nicht auf. Es ist nicht nachweisbar, ob wirklich eine extra Tonne CO2 eingespart wurde.
Hier emittieren – woanders einsparen
CO2-Kompensationsmechanismen, durch die z.B. Reisende ihre Emissionen aus Flugreisen ausgleichen können, bauen darauf auf, dass man eine Tonne CO2, die emittiert wird, an anderer Stelle wieder real einspart. Keine CO2-Gutschrift kann jedoch nachweisen, dass wirklich eine zusätzliche Tonne CO2 eingespart wurde. Damit "erlaubt" der Handel mit solchen CO2-Gutschriften quasi, eine Tonne CO2 ‹leichtfertig› freizusetzen, im (falschen) Glauben, dass der Klimaschaden kompensiert wurde. Die Kompensationsgutschrift wird zur "Verschmutzungserlaubnis".
Wälder als CO2-Quellen und Senken
Im Wald findet immer ein Austausch von Kohlenstoff zwischen unterschiedlichen Reservoiren statt: dem organischen Kohlenstoff, der zeitweilig im Waldökosystem gespeichert ist, und dem Kohlenstoffreservoir in der Atmosphäre und in den Ozeanen.
Die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre erhöht sich, wenn im Wald gespeicherter Kohlenstoff freigesetzt wird, sei es durch Umwandlung z.B. in Palmöl- oder Sojaplantagen, oder natürliche Störungen, wie z.B. Waldbrände oder Stürme. In solchen Fällen wird viel von dem CO2, das der Wald der Atmosphäre über die Jahre entzogen hat, auf einen Schlag freigesetzt. Ist diese Freisetzung höher als die natürliche Aufnahme von CO2, wird der Wald zur Quelle von Emissionen. Wälder können also sowohl "Quelle" als auch "Senke" von Kohlenstoff sein.
Der Faktor Zeit
Eine Garantie, dass der Kohlenstoff so lange im Wald gespeichert bleibt, wie er müsste, um die Freisetzung von fossilem Kohlenstoff auszugleichen, ist nicht möglich. Eine Kompensationsmassnahme müsste den Kohlenstoff für mindestens 100 Jahre im Wald fixieren. Denn solange bleibt der fossile Kohlenstoff mindestens in der Atmosphäre. Wenn man natürliche Kreisläufe annimmt, ist der Zeitraum sogar noch viel länger. Für eine so lange Zeit ist es jedoch nicht möglich, den Erhalt des Waldes im Kompensationsprojekt zu garantieren.
Oft werden Kompensationsgutschriften auch für zukünftige CO2-Speicherung verkauft. Bis ein Baum jedoch soviel CO2 aufgenommen und gespeichert hat, wie durch die Gutschrift legitimiert an fossilen Emissionen freigesetzt wurde, dauert es viele Jahre, oft Jahrzehnte. In dieser Zeit bleiben die zusätzlichen Emissionen aus fossilen Brennstoffen ohne Kompensation. "Der Zeithorizont der Projekte ist eine weitere wichtige Frage, denn das CO2 produziere ich jetzt. Wenn ich aber einen Baum pflanze, dann braucht der ja Jahre, um mein längst ausgestossenes CO2 zu binden", sagt Tourismusprofessor Wolfgang Strasdas in einem Interview in "Die Zeit" vom 27.09.2012.
Der Faktor Landverbrauch
Wie oben ausgeführt, sind Zahlen zum Kohlenstoffvorrat in einem bestimmten Wald immer nur grobe Näherungsrechnungen. Und auch die Emissionen, die durch Tourismus weltweit verursacht werden, schwanken. Nichtsdestotrotz zeigt ein Vergleich der Tourismus-Emissionen mit der Fläche, die man für eine vermeintliche Kompensation durch das Pflanzen von Bäumen benötigen würde, dass solche Kompensationsprojekte ein Irrweg sind.
So wäre eine Fläche von mindestens 50’000 – 55’000 km2 notwendig, um die geschätzten jährlichen Tourismus-Emissionen (Stand: 2010) von wenigstens 1’2600 Millionen metrischen Tonnen CO2-Äquivalent (MtCO2e) zu kompensieren. Das entspricht etwa der Landfläche von Costa Rica (51’060 km2) oder Togo (54’385 km2). Die Landfläche Deutschlands (348’672 km2) würde nicht einmal ausreichen, um die von der Tourismusbranche innerhalb von sieben Jahren global verursachten Emissionen auszugleichen. So beliebt das "Bäume pflanzen" auch sein mag – weder Aufforstungs- noch Waldschutzprojekte eignen sich tatsächlich zur CO2-Kompensation.
*Jutta Kill ist Biologin. Sie arbeitet als Autorin und Aktivistin mit sozialen Bewegungen wie dem World Rainforest Movement.