Basel, 24.08.2013, akte/ Die Zentralschweizer Landschaften zwischen Vierwaldstättersee und Gotthard mit ihrer abwechslungsreichen See- und Berglandschaft sind Gegenstand unzähliger Werke der Lyrik und Prosa. Barbara Piatti, promovierte Literaturwissenschaftlerin, lädt mit dem aktuellen Wanderführer ein, sich über 14 Routen auf einen Literaturtourismus einzulassen.
Diese Form des Tourismus, so lernen wir im Eingangskapitel, gehörte nicht nur zum Programm der Bildungsreisen, die sich ab dem 17. Jahrhundert für Aristokraten zum guten Ton gehörten, sondern begeisterte im Verlaufe des 18. und 19. Jahrhunderts zahllose vermögende Leserinnen und Leser. Diese zogen zum Beispiel ausgerüstet mit Rousseaus Liebesroman "Julie ou la Nouvelle Héloïse" (1761) zu den Ufern des Genfersees, um dort die Emotionen des Buches aufleben zu lassen. So wird aus einem Brief von Goethe an Charlotte von Stein zitiert: "Wir fuhren nach Veway, ich konnte mich der Tränen nicht enhalten, wenn ich nach Melleraye hinüber sah und den dent de Chamant und die ganzen Pläzze vor mir hatte, die der ewig einsame Rousseau mit empfindenden Wesen bevölckerte." Heute werden Besuche zu den Drehorten der Harry-Potter-Filme oder auf den "Da Vinci Code Trail" von verschiedenen Veranstaltern angeboten.
"Es lächelt der See" ist nicht nur ein Vergnügen für Wanderer, sondern auch für Sofareisende. Piatti versetzt die Beschreibung ihrer Literatur-Pilgerreisen mit Köstlichkeiten aus Werken von AutorInnen wie August Strindberg, dem es gelingt, mythische Stimmungen mit der grellen Realität des Gotthardtunnelbaus verschmelzen zu lassen; Herrmann Burger, bei dem das Tunnel- und Stollenwerk des Gotthardmassivs zu einer künstlichen Mutter wird, in deren Uterus die Hauptperson sich von den Folgen ihrer sexualfeindlichen Erziehung heilen lässt; Thomas Hürlimann und Tim Krohn, die die Tiefen des Zugersees ausloten; Meinrad Inglin, der uns rund um Schwyz in die Zeit der Völkerwanderungen zurückversetzt; F.H. Achermann, der uns ein Wildhüter-Wilderer-Showdown am Schwalmis erleben lässt; oder Cécil Lauber und Gertrud Leutenegger, die den Urnersee auf poetische Weise verfremden.
Es bleibt spannend und inspirierend bis zum Schlusskapitel, in dem Piatti uns ihr Forschungsgebiet der Literaturgeografie und -kartografie und ihre Begeisterung dafür näherbringt. Barbara Piatti ist Autorin mehrerer Monographien, darunter "Rousseaus Garten. Eine kleine Kulturgeschichte zur St. Peterinsel" (2001), "Tells Theater. Eine Kulturgeschichte in fünf Akten zu Friedrich Schillers Wilhelm Tell" (2004) und "Die Geographie der Literatur. Schauplätze, Handlungsräume, Raumphantasien" (2008). Seit 2006 leitet sie an der ETH Zürich, Institut für Kartografie und Geoinformation, ein von ihr initiiertes und konzipiertes Forschungsprojekt mit sieben Mitarbeitenden aus der Literaturwissenschaft und der Kartografie unter dem Titel "Ein literarischer Atlas Europas".
Barbara Piatti: Es lächelt der See. Literarische Wanderungen in der Zentralschweiz. Luzern-Vierwaldstättersee-Gotthard. Rotpunktverlag, Zürich 2013, 380 Seiten, CHF 45.00, EURO 30.00, ISBN 879-85869-533-8