«Beach shacks» in Goa vielen Hoteliers ein Dorn im Auge
Vom Individual- zum Massentourismus
Die Anfänge des Tourismus im indischen Bundesstaat Goa reichen bis in die 60er Jahre zurück, als die indische Mittel- und Oberschicht sowie junge "Hippies" aus dem Westen die kilometerlangen Sandstrände für sich entdeckten. Ganze Küstendörfer richteten sich in den 70er Jahren auf den Empfang von Individualreisenden aus; Familien vermieteten Gästezimmer, betrieben "beach shacks". Die Wende zum Pauschaltourismus kam 1987, als die ersten ChartertouristInnen aus Europa landeten. Seit damals sind grosse Investitionen getätigt worden, um Goa als Massendestination für Badeferien zu etablieren. Heute reisen jährlich über eine Million TouristInnen nach Goa – das sind etwa so viele Gäste wie EinwohnerInnen. Zugenommen hat auch der Anteil ausländischer Gäste, der heute bei knapp 20 Prozent liegt. Dies ist durchaus im Sinne der indischen Regierung und deren internationalen Gläubiger, die im Tourismus ein geeignetes Mittel sehen, um Devisen für den Schuldendienst zu erwirtschaften. Im Tourismusplan von 1987 erklärte die Provinzregierung Goas, dass sie den Anteil devisenbringender TouristInnen erhöhen wolle, dabei aber in erster Linie die Pauschalreisenden der "Fünf-Sterne-Kategorie" anspreche und nicht die wenig finanzkräftigen RucksacktouristInnen. Bestärkt wurde die Regierung durch einen Bericht der Welttourismusorganisation (WTO), der Goa 1990 eine steile Karriere im internationalen Strand- und Golftourismus voraussagte. Seit damals hat die Provinzregierung aktive Tourismusförderung betrieben: So gab sie etwa die Hälfte der Küste zur touristischen Erschliessung frei und sorgte für ein attraktives Investitionsklima. Ausländische Investoren profitierten von günstigen Bedingungen wie Steuerfreiheit, subventioniertem Bauland, billigen Krediten und freiem Rücktransfer der Gewinne. Für Strom und Wasser bezahlen die Hotels oft weniger als die AnwohnerInnen. Zudem finanziert der Staat aus Steuergeldern Anschlüsse, Zufahrtsstrassen und andere Infrastrukturen. In den 90er Jahren ist vor allem die Südküste mit Ferienanlagen der Luxusklasse überbaut worden. Ob die "Sättigungs- und Belastungsgrenze" im Goa-Tourismus bereits erreicht ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Als Ferienziel liegt Goa im Trend. Die WTO schätzt, dass der Bundesstaat – in der Grösse von Mallorca – durchaus 8 Millionen TouristInnen pro Jahr verkraften könne. Obwohl KritikerInnen auf die niedrige Auslastung der bestehenden Hotels hinweisen und Hoteliers über die kleinen Gewinnspannen und ausbleibenden Zahlungen im Chartergeschäft klagen, sind viele Behördenvertreter und Hotelinvestoren nach wie vor überzeugt, dass die touristische Infrastruktur noch nicht genügend ausgebaut ist.
Protestbewegung gegen den Chartertourismus
Die Art und Weise, wie sich der Tourismus in Goa entwickelt hat, ist kein Einzelfall. Für Aufsehen in Reiseindustrie und Medien sorgte Goa aber, als Bürgerinitiativen Ende der 80er Jahre in spektakulären Aktionen gegen die zerstörerischen Auswirkungen des Massentourismus protestierten. Auf Flugblättern klärten sie die verblüfften TouristInnen über die Probleme auf: Die breite Bevölkerung profitiere wirtschaftlich nicht vom Chartertourismus. Im Gegenteil, die Luxusbauten der internationalen Hotelketten würden die Menschen vor Ort ärmer machen, ihnen das Lebensnotwendige wie Wasser, Land, Elektrizität entziehen und den Palmweinzapfern, Fischer- und Bauernfamilien den Zugang zu ihren traditionellen Beschäftigungen verbauen. Viele AnwohnerInnen fürchteten zudem, dass sie mit Problemen wie steigenden Lebenskosten, kulturellem Ausverkauf, Drogenmissbrauch, Prostitution und Aids allein gelassen würden. Fünfzehn Jahre nach Beginn des Chartertourismus in Goa haben sich viele dieser Befürchtungen bewahrheitet. Die Kritik an der "weissen Industrie" ist deshalb bis heute nicht abgeflaut. Im Gegenteil, behauptet die Umweltorganisation "Goa Foundation", die kritische Einstellung gegenüber dem Tourismus habe sich über die Kampagnen-Gruppen hinaus auf breite Teile der Bevölkerung ausgebreitet. Im Kreuzfeuer der Kritik stehe die planlose und undemokratische Art und Weise, wie die goanische Regierung den Tourismus fördere und dabei zulasse, dass sich Grossinvestoren ungestraft über Umwelt- und Baugesetze hinwegsetzten.
Wer profitiert vom Tourismusgeschäft?
Für Zündstoff sorgt auch die Frage, inwiefern die breite Bevölkerung und lokale Wirtschaft vom Tourismusgeschäft tatsächlich profitieren. Diese Frage erhält besondere Brisanz in einer Region, in der schätzungsweise 35 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben und allzu oft nur eine unzureichende Infrastruktur nutzen können, während der Staat den Luxus für TouristInnen subventioniert und durch Gewährung von Investitionsanreizen auf erhebliche Einnahmen verzichtet. Auch hat der westliche Lebensstil der TouristInnen bei vielen jungen GoanerInnen neue Bedürfnisse geweckt, deren Erfüllung für die meisten unerschwinglich bleiben dürfte. Der frühere indische Justizminister Ramakant Khalap, heute Parlamentsmitglied in Nordgoa, erklärte 1997, dass kaum 10 Prozent der GoanerInnen vom Tourismus profitiert hätten und plädierte für die Förderung anderer Wirtschaftszweige und Berufe. Ähnliche Ansichten vertreten die Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen in Goa. Die unsicheren, schlecht bezahlten Saisonjobs im Tourismus würden keinen Ersatz bieten für all jene Menschen, die ihren traditionellen Erwerb aufgeben mussten, weil sie keinen Zugang mehr zu den "privatisierten" Stränden und Palmhainen haben oder weil ihre Ernte aufgrund des Wassermangels ausgefallen ist. Qualifizierte Arbeitsplätze würden meist mit auswärtigem Personal besetzt. Zudem habe der tourismusbedingte Bauboom viele ZuwanderInnen aus den Nachbarstaaten angezogen, die nicht selten arbeitslos in den Slums endeten. Auch der Beitrag, den der Pauschaltourismus zur Entwicklung der lokalen Wirtschaft leistet, wird von den Nicht-Regierungsorganisationen in Frage gestellt. Die meisten 5-Sterne-Hotels gehörten auswärtigen Unternehmen, deren Gewinne nicht der Lokalwirtschaft zugute kämen.
Kontroverse zwischen "beach shacks" und Hotellerie
Für viel Aufsehen sorgt zur Zeit eine Kontroverse rund um die kleinen Bars und Essensstände entlang der Strände, die vielerorts auf Anweisung der Polizei haben schliessen müssen. Diese "beach shacks" bieten eine direkte und oft einzige Einkommensquelle für Einheimische, die es sich nicht leisten können, grosse Hotels oder vornehme Restaurants aufzubauen. Nicht selten sind es arbeitslose Jugendliche oder vom Tourismus verdrängte Palmweinzapfer und Fischer, die hier ein Auskommen finden. Die Hütten sind aus einfachen Materialien – oft Bambus und Palmblättern – gebaut und werden in aller Regel am Ende der Tourismussaison wieder abgebrochen. Bei den TouristInnen scheinen die "shacks" mit ihren preiswerten, lokalen Gerichten gut anzukommen. Nicht so bei den Hoteliers. Im Januar 2000 forderte eine Delegation goanischer Hoteliers die Tourismusministerin Victoria Fernandes auf, sämtliche Strandhütten abbrechen zu lassen und mit Polizeistreifen dafür zu sorgen, dass die Strände von solchen Essensständen freigehalten werden. Begründet wurde die Forderung damit, dass die "shacks" sämtliche Gesetze und Normen verletzten. Angesprochen wurde damit unter anderem ein Entscheid des Obersten Gerichts aus dem Jahre 1996, der jegliche Art von "Entwicklungs- und Bauaktivitäten" innerhalb der 200 Meter breiten Strandzone untersagt. Die Regierung überlegte sich damals, die "beach shacks" zu verbieten, stiess mit diesem Vorhaben aber auf erbitterten Widerstand. Die "shacks" seien seit Anfang der 70er Jahre ein integraler Bestandteil des goanischen Tourismus, argumentierten die empörten KleinstunternehmerInnen und drohten, die TouristInnen am Zugang zu den Luxushotels zu hindern, sollte die Regierung ihr Verbot nicht rückgängig machen. Inzwischen hat sich die Provinzregierung für eine Art "Lotto-System" entschieden, bei dem die Lizenzen jährlich neu vergeben werden. Der Lebensunterhalt der Familienbetriebe steht so jedes Jahr von Neuem auf dem Spiel. Die Unsicherheit und die Lizenzgebühren haben so manchen von ihnen aus dem Geschäft gedrängt. In den Augen der Bürgerrechtsbewegung "Die wachsamen Goaner" ist dies ein weiterer Versuch sicherzustellen, dass die Tourismuseinnahmen nur in wenige Taschen fliessen. Sie wirft dem Tourismusdepartement vor, einseitig die Interessen der mächtigen Lobby der Fünf-Sterne-Anlagen zu vertreten, die ihre Umsätze im Essens- und Getränkebereich gefährdet sähe.
Am "World Travel Market 2000" in London ging die Vereinigung der shack-BesitzerInnen – die "All Goa Shack Owners Association" – nun in die Offensive und rief die TouristInnen dazu auf, die "shacks" der Einheimischen zu besuchen. Derweil versuchen die Hotels, ihre Gäste für Halb- und Vollpensionsangebote zu gewinnen. Ein Blick in die Reisekataloge zeigt, dass Pauschalarrangements zum Teil gar "all-inclusive"" gebucht werden können. Das Portemonnaie kann da getrost zu Hause bleiben. Dass die lokale Wirtschaft bei solchen Arrangements kaum mehr profitiert, macht nicht nur die "shack-Kontroverse" in Goa deutlich, sondern auch der (inzwischen rückgängig gemachte) Entscheid der Regierung Gambias 1999, "all-inclusive"-Angebote zu verbieten. Diese Beispiele zeigen aber auch, dass die Tourismusunternehmen mit ihrer Personal- und Einkaufspolitik entscheidend darauf Einfluss nehmen können, wie viel Geld in der lokalen Wirtschaft verbleibt. Die Frage, ob Fachkräfte, Baumaterialien, Nahrungsmittel etc. vor Ort "eingekauft" oder aus Übersee importiert werden, ist von zentraler Bedeutung, will man die Devisenwirksamkeit des Tourismus beurteilen.
Marianne Frei