Der Nordirlandkonflikt schwelt inzwischen seitmehr als einem Jahrhundert und wird dabei häufig als Religionskonflikt missverstanden. Die Konfliktparteien definieren sich jedoch nicht über die Religion, sondern über ihr Verständnis zu England und Irland und den damit verbundenen Zielen. Dabei werden die Kombattanten historisch den jeweiligen Konfessionen zugeordnet, wodurch Aussenstehende oftmals einen Religionskonflikt hineininterpretieren. Irland, eine für den katholischen Glauben erstaunlich friedlich missionierte Insel, war über Jahrhunderte katholisch geprägt. Durch die Besatzung Englands wurden anglikanische Adlige angesiedelt und damit begann die Knechtschaft der katholischen Religion erst richtig. Katholiken hatten kein Recht auf Besitz und Teilnahme am politischen Geschehen. Fortschrittliche Protestanten aus dem Adel schlossen sich schon früh und immer wieder mit katholischen Bauern und Knechten zusammen, um erste Aufstände zu wagen. Diese wurden von der englischen Krone jeweils blutig niedergeschlagen. Damit wurde die Übermacht der Protestanten von Englischer Seite aus gefestigt. 

Bewusst geteilte Bevölkerung 

Nordirland verfügt im Moment über etwas mehr als 1,8 Millionen EinwohnerInnen. Durch die Bevölkerung verläuft jedoch ein tiefer Graben. Dabei halten sich mittlerweile die offiziell gemeldeten Katholiken und Protestanten die Waagschale; sie kommen beide auf jeweils zirka 40 Prozent. Die Hauptballungszentren befinden sich in Derry und der Hauptstadt Belfast. In Belfast ist der Anteil der beiden Konfessionen ausgeglichen. In Derry, welches an die südliche Grafschaft Donegal grenzt, haben die Katholiken die Überhand. Dadurch wurde im Stadtparlament der Stadtname offiziell von Londonderry zu Derry geändert. Dies widerspricht wiederum den englischen Behörden, welche beispielsweise bei Busfahrplänen und anderen öffentlichen Kennzeichnungen bewusst Londonderry schreiben. Die Trennung ist damit auch seitens der Behörden ein ständiges Thema. Dies ergibt sich auch im geographischen Bestand von Nordirland. Die historischen neun Grafschaften von Ulster wurden 1921 im Rahmen der Friedensgespräche zwischen den Rebellen und England auf sechs Grafschaften reduziert. Dies nach der Niederschlagung des Osteraufstandes 1916 und der darauffolgenden Rebellion für ein unabhängiges und sozialistisches Irland. Die verbleibenden sechs Grafschaften waren damals mehrheitlich protestantisch geprägt. Die Gründe dafür liegen in einer von der britischen Regierung geförderten Ansiedlung halbfeudaler aufmüpfiger schottischer Protestanten. Die restlichen 26 Grafschaften waren und sind stark katholisch geprägt. Die eher katholisch geprägten Grafschaften Ulsters wurden von England bewusst ausgeklammert. Der Norden sollte treu zur Krone stehen. Das britische Empire hat sich eine vermeintlich loyale Kolonie geschaffen. 

Ein fragiler Waffenstillstand

Im Jahre 2001 haben die bewaffneten Gruppen offiziell ihre Waffen abgegeben. Die Mehrheit der politischen Gefangen wurden bereits vorher freigelassen. Dennoch gibt es immer wieder Splittergruppen, welche den bewaffneten Kampf weiterführen. Auf loyalistischer Seite sind die Paramilitärs vor allem mit Drogenhandel, internen Machtkämpfen und Morden beschäftigt. Die republikanische Seite wiederum verfügt über diverse Gruppen, welche immer wieder Attacken auf die Polizei und das britische Militär verüben. Ebenfalls kommt es zu Attacken mit ökonomischen Zielen, wie beispielsweise Anschläge auf englische Banken und Geschäfte. Die Splittergruppen führen aber bei weitem nicht eine so aktive Kampagne wie die IRA. Dennoch bleibt der bewaffnete Widerstand bestehen und stellt für die Behörden eine Bedrohung dar. Die Zahl der Verhaftungen steigt daher auch kontinuierlich. Dabei kommt es teilweise auch zu willkürlichen Inhaftierungen ohne konkrete Anklage oder Bedrohungslage. Aktuellstes Beispiel ist dabei Tony Taylor, ein ehemaliges Mitglied der IRA, der im Rahmen des Karfreitagsabkommens freigelassen wurde. Dieser ist ohne Anklage bzw. Vergehen seit mehr als 375 Tagen in Haft. Zahlreiche PolitikerInnen und Organisationen setzen sich für seine Freilassung ein, bislang jedoch ohne Erfolg. Insgesamt gibt es im Moment fast hundert politische Gefangene auf Seiten der Republikanischen Bewegung. 

Die verlorene Vormachtstellung 

Die Bevölkerung kann sich jedoch um einiges freier bewegen, als dies in den Höchstzeiten des Konflikts der Fall war. Doch sie ist nach wie vor tief gespalten. Seit dem Karfreitagsabkommen gibt es deutlich mehr sogenannte Friedensmauern (Peacewalls) als während des Konfliktes. Diese riesigen Mauern trennen loyalistische und republikanische Viertel voneinander. Die Trennung dient als Schutz vor Ausschreitungen und Angriffen. Dennoch kommt es immer wieder an einzelnen Punkten zu Ausschreitungen zwischen Jugendlichen beider Seiten. Diese werden hauptsächlich über soziale Netzwerke organisiert. SozialarbeiterInnen und PolitikerInnen auf beiden Seiten versuchen, diese Ausschreitungen und Angriffe so gut wie möglich im Vorfeld zu verhindern. Das gelingt besonders in den Sommermonaten, in denen die Loyalisten zahlreiche Paraden abhalten, nicht immer. Der Hass gegenüber den anderen wird mehrheitlich von loyalistischer Seite aus unerbittlich geschürt. Die protestantische Seite sieht sich als Verliererin des Friedensabkommens. Die vorherige Vormachtstellung gegenüber den katholischen Nachbarn ist nicht mehr so stark ausgeprägt, wie es früher der Fall war. Der katholischen Bevölkerung wurden im Verlaufe des Konflikts und besonders nach dem Karfreitagsabkommen mehr politische Rechte zugestanden. Nun dürfen diese ebenfalls mitregieren und mitbestimmen.

Teure Proteste

Im Jahr 2012 bedingte dies, dass die Fahne Grossbritanniens nur noch an bestimmten Feiertagen über dem Stadtparlament von Belfast wehen darf. Die Abstimmung im Stadtparlament ging dabei zu Ungunsten der Unionisten und Loyalisten aus. Dies wiederum führte und führt zu massiven Protesten seitens der Loyalisten. Diese Proteste kosteten den Staat um die 20 Millionen Pfund. Letztes Jahr begannen die Loyalisten mit einem permanenten Protestcamp gegen das Verbot einer ihrer Paraden durch ein katholisches Viertel. Das Camp wurde bewusst an einer republikanischen Enklave aufgebaut. Die Zahl der Protestierenden war gering, bis auf die kleineren wöchentlichen Demonstrationen. Auch dieser Protest kostete den klammen Staat wiederum Millionen. Die ehemalige Kolonie lebt vor allem durch die Unterstützung des ursprünglichen Mutterlandes. Im Jahr 2013 waren die Pro-Kopf-Ausgabendes Vereinten Königreichs mit 10’876 Pfund in Nordirland am höchsten. Ebenfalls am Höchsten war die prozentuale Anstellung im öffentlichen Sektor mit 28%. Dabei sei bemerkt, dass Nordirland neben Wales am wenigsten wirtschaftlichen Profit für das englische Königreich bringt. 

Collusion isn’t a illusion

Über Jahrzehnte und vor allem während des Konfliktes in den Jahren 1969 bis 1998 – im Volksmund "Troubles" genannt – funktionierte diese Loyalität besonders durch schmutzige Machenschaften. In West-Belfast, ein republikanisch geprägtes Viertel, sind die zahlreichen Opfer der sogenannten Collusion allgegenwärtig. Um die 100 ZivilistInnen, darunter MenschenrechtlerInnen, AnwältInnen und "gewöhnliche BewohnerInnen", sind mit Porträt und Datum des Todestages an einer Wand abgebildet. Unter jedem Bild steht jeweils das Todesdatum und der Spruch "Murdered by Crown Forces and Loyalists"; eine nach wie vor verschwiegene Wahrheit. Die damalige Polizei und der britische Geheimdienst haben die potenziellen Morde den loyalistischen Paramilitärs vor die Füsse gelegt. Der Speck füttert die Made,auch im Norden Irlands. Der Kampf gegen die IRA war von seiten Englands kein fairer. Nach wie vor sind zahlreiche Massaker der loyalistischen Paramilitärs nicht aufgeklärt. Bis heute kämpfen die Familien und Angehörigen für Gerechtigkeit. Bestes Beispiel dazu bietet der Bloody Sunday in Derry. Im Jahre 1972 wurden dreizehn unschuldige Demonstranten einer Bürgerrechtsdemonstration von britischen Fallschirmjägern erschossen. Eines der Opfer erlag den Verletzungen im Spital, womit die Zahl der Getöteten auf 14 stieg. Dieses Massaker an der Zivilbevölkerung wurde bis heute nicht vollumfänglich aufgeklärt, geschweige denn, die verantwortlichen Personen angeklagt.

International oder national?

Die Fronten sind, wie bereits geschrieben, aufgrund solcher Vorfälle nach wie vor verhärtet. Aber wagen wir dennoch einen Blick auf die aktuellen Umstände in Belfast. Belfast, nahe an 300’000 EinwohnerInnen, ist die pulsierende Metropole im Norden. Eine aufgeräumte und saubere Innenstadt mit bekannten Kaufhausketten prägt das Bild für gewöhnliche TouristInnen. Doch bereits innerhalb der Innenstadt verläuft man sich bald einmal in politisch gefestigte Viertel. Südbelfast beherbergt eine starke loyalistische Gemeinschaft und den damit einfallenden Paramilitärs. Hier sind Combat 18 und Hakenkreuzgraffitis allgegenwärtig präsent. Der Westen Belfasts, eine republikanische Hochburg, wiederum zeigt nahe des Stadtzentrums seine Solidarität mit international linken Bewegungen. Zwar wäre es vermessen, alle Loyalisten als Neonazis und alle West-Belfaster als linke Internationalisten zu bezeichnen. Aber eine gewisse Tendenz lässt sich dennoch erkennen. Vorfälle mit Asylsuchenden und Flüchtlingen, welche aus loyalistischen Vierteln vertrieben werden, häufen sich. In republikanischen Vierteln wiederum werden Willkommensbesuche bei Flüchtlingen auf sozialen Medien hochgelobt.

Geteiltes und dennoch getrenntes Leid

Dennoch sehen die Arbeiterviertel, oder besser gesagt die Armenviertel, auf beiden Seiten gleich aus: Zwei- bis maximal dreistöckige Häuser reihen sich aneinander, die grosse Mehrheit davon Sozialwohnungen. Auf beiden Seiten gibt es lange Wartelisten für geräumigere Wohnungen. Doch wer  vor 20 Jahren eine Vierzimmerwohnung erhalten hat, wird sich kaum zu einem Auszug bewegen lassen. Jugendliche leben gezwungenermassen bei den Eltern. Die Mietpreise der Sozialwohnungen lassen nach wie vor einen kleinen Unterschied zwischen den Konfessionen erkennen. Direkt neben dem Peace Walls in West-Belfast zahlen Katholiken nach wie vor mindestens 100 Franken mehr für die gleiche Sozialwohnung wie ihre protestantischen Nachbarn. Zumindest die Sozialhilfe ist bei beiden gleich hoch. Rund 120 Pfund alle zwei Wochen gibt es für alleinstehende Arbeitslose. Bei den aktuellen Mietpreisen und etwaiger staatlicher Mietunterstützung ist insbesondere für junge Erwachsene ein Auszug aus dem Elternheim oftmals unmöglich. Denn die Ausgaben für das alltägliche Leben lassen sich mittels diesen Sozialhilfebeiträgen kaum bewältigen. Restaurantbesuche oder überhaupt Mahlzeiten, geschweige denn Freizeitaktivitäten, lassen sich damit kaum vereinbaren. In West-Belfast gehen rund 30 Prozent der SchülerInnen hungrig bzw. unterernährt in die Schule. 

Dubiose und gefährliche Geldquellen

Unpolitische, vor allem kriminelle Jugendliche lassen sich dadurch gerne als Polizeispitzel anwerben. Hierbei gibt es ein paar Pfund zu gewinnen. Wer oder was oder wie verpfiffen wird, spielt keine grosse Rolle, hauptsache ein wenig mehr Geld fliesst in die eigene Kasse. Doch diese Kids leben gefährlich. Sei es, dass sie nebenbei Einbrüche in den ehemalig geschützten Viertel verüben, als auch, dass die Familie ihr Gehabe nicht goutiert. Die Polizei wird in den meisten republikanischen Vierteln nach wie vor als Feind betrachtet. Dies hat zur Folge, dass besonders in diesen Vierteln vermehrt auf alte Methoden zurückgegriffen wird. Frauen und Männer der nach wie vor bewaffneten Gruppen richten über die Jugendlichen. Dies bedeutet neben Verwarnungen auch Landesverweise und Knieschüsse. Gar nicht gern gesehen sind in den republikanischen Vierteln auch Drogen. Der Konsum jeglicher Drogen, abgesehen von Alkohol, wird nicht goutiert. Der Verkauf von Drogen führt zuden oben genannten Bestrafungen. Die Viertel sollen in dieser Hinsicht rein und klar gehalten werden. Drogen führen, so die Ansicht der bewaffneten Gruppen und einer Grosszahl der BewohnerInnen der entsprechenden Viertel, zu unsinnigen Straftaten und Problemen. Ein weiterer Grund dabei ist, dass die Verteilwege der illegalen Drogen mehrheitlich in der Hand loyalistischer Paramilitärs sind. Fakt ist jedoch, dass auf beiden Seiten die Strassen dreckig und unaufgeräumt sind. Abfälle säumen die Strassen. Zumindest das Ampelsystem wurde in den letzten Jahren verbessert. Wer sich durch die Viertel wagt, wird von vielen Wandbildern und Erinnerungssteinen geleitet. Den ehemaligen KämpferInnen wird nach wie vor prominent gedacht. Die traurige Geschichte ist allgegenwärtig und schafft damit sicherlich Perspektiven für einen neuen Versuch des bewaffneten Kampfs. Denn überspitzt gesagt: In den Falls hat die Polizei nach wievor nichts zu melden und in der Shankhill fragen sie sich, wann die RUC endlich wieder einmal katholische Viertel räumen will.
*Die Bezeichnungen sind aus dem englischen Sprachgebrauch übernommen und beinhalten in diesem die ganze Breite der einzelnen Bewegungen. Damit sind selbstverständlich auch Frauen gemeint. Vor allem auf republikanischer Seite kämpfen auch viele Frauen mit. Aus diesem Grund wurde auf eine -Innenform im Artikel verzichtet. 

Kleines LexikonIRA: Irisch Republikanische Armee; Guerilla-Gruppe, welche für ein vereintes (sozialistisches) Irland kämpfte. Der Kampf richtete sich dabei besonders gegen die Britische Armee und die Nordirische Polizei RUC. In den 1970er-Jahren entstand im Rahmen einer Spaltung eine Offizielle und eine Provisorische IRA. Die Offizielle IRA stellte relativ bald danach den bewaffneten Kampf ein. Heute wird allgemein die Provisional IRA als die IRA betrachtet. Seit dem Karfreitagsabkommen entstanden mehrere Splittergruppen welche den Namen IRA (meistens die irisch-gällische Bezeichnung) verwenden.
Loyalisten & Unionisten: Protestanten, welche die Zugehörigkeit und den Verbleib Nordirlands zum englischen Königreich als politischen Schwerpunkt führen. Sie verfügen über zahlreiche paramilitärische Gruppen, welche besonders gegen (vermeintliche) BewohnerInnen aus katholischen Vierteln Anschläge und Morde verübten. Die bekanntesten Paramilitärs sind dabei die UVF (Ulster Volunteer Force) und die UDA (Ulster Defense Association). Die Gruppen verübten zudem zahlreiche Anschläge und Aktionen unter Decknamen. Bei unzähligen Aktionen wurden den Paramilitärs Hilfestellung durch das Militär bzw. die RUC geleistet.
Republikaner: Bezeichnung für die (mehrheitlich) katholische Bevölkerung, welche sich für die Ziele von Sinn Fein und IRA einsetzen.
RUC: Royal Ulster Constabulary. NordirischePolizei. Heute PSNI (PoliceService of Northern Ireland). Bis zum Karfreitagsabkommen bestand die RUC praktisch nur aus protestantischen PolizistInnen. Mitverantwortlich für zahlreiche Morde an katholischen ZivilistInnen sowie Sinn Fein und IRA Mitgliedern.
Sinn Fein: Partei der IRA, massgeblich am Friedensvertrag beteiligt. Erst ab den 1980er Jahren wirklich relevant als politische Partei im Norden. Heute sowohl im Süden als auch im Norden im Parlament vertreten.
Falls: Katholisches Arbeiterviertel in West-Belfast mit starker Sympathie für die IRA.
Shankhill: Protestantisches Viertel in West-Belfast mit starken Sympathien für die loyalistischen und unionistischen Paramilitärs. 

Collusion isn’t a illusion

Über Jahrzehnte und vor allem während des Konfliktes in den Jahren 1969 bis 1998 – im Volksmund "Troubles" genannt – funktionierte diese Loyalität besonders durch schmutzige Machenschaften. In West-Belfast, ein republikanisch geprägtes Viertel, sind die zahlreichen Opfer der sogenannten Collusion allgegenwärtig. Um die 100 ZivilistInnen, darunter MenschenrechtlerInnen, AnwältInnen und "gewöhnliche BewohnerInnen", sind mit Porträt und Datum des Todestages an einer Wand abgebildet. Unter jedem Bild steht jeweils das Todesdatum und der Spruch "Murdered by Crown Forces and Loyalists"; eine nach wie vor verschwiegene Wahrheit. Die damalige Polizei und der britische Geheimdienst haben die potenziellen Morde den loyalistischen Paramilitärs vor die Füsse gelegt. Der Speck füttert die Made,auch im Norden Irlands. Der Kampf gegen die IRA war von seiten Englands kein fairer. Nach wie vor sind zahlreiche Massaker der loyalistischen Paramilitärs nicht aufgeklärt. Bis heute kämpfen die Familien und Angehörigen für Gerechtigkeit. Bestes Beispiel dazu bietet der Bloody Sunday in Derry. Im Jahre 1972 wurden dreizehn unschuldige Demonstranten einer Bürgerrechtsdemonstration von britischen Fallschirmjägern erschossen. Eines der Opfer erlag den Verletzungen im Spital, womit die Zahl der Getöteten auf 14 stieg. Dieses Massaker an der Zivilbevölkerung wurde bis heute nicht vollumfänglich aufgeklärt, geschweige denn, die verantwortlichen Personen angeklagt.

International oder national?

Die Fronten sind, wie bereits geschrieben, aufgrund solcher Vorfälle nach wie vor verhärtet. Aber wagen wir dennoch einen Blick auf die aktuellen Umstände in Belfast. Belfast, nahe an 300’000 EinwohnerInnen, ist die pulsierende Metropole im Norden. Eine aufgeräumte und saubere Innenstadt mit bekannten Kaufhausketten prägt das Bild für gewöhnliche TouristInnen. Doch bereits innerhalb der Innenstadt verläuft man sich bald einmal in politisch gefestigte Viertel. Südbelfast beherbergt eine starke loyalistische Gemeinschaft und den damit einfallenden Paramilitärs. Hier sind Combat 18 und Hakenkreuzgraffitis allgegenwärtig präsent. Der Westen Belfasts, eine republikanische Hochburg, wiederum zeigt nahe des Stadtzentrums seine Solidarität mit international linken Bewegungen. Zwar wäre es vermessen, alle Loyalisten als Neonazis und alle West-Belfaster als linke Internationalisten zu bezeichnen. Aber eine gewisse Tendenz lässt sich dennoch erkennen. Vorfälle mit Asylsuchenden und Flüchtlingen, welche aus loyalistischen Vierteln vertrieben werden, häufen sich. In republikanischen Vierteln wiederum werden Willkommensbesuche bei Flüchtlingen auf sozialen Medien hochgelobt.

Geteiltes und dennoch getrenntes Leid

Dennoch sehen die Arbeiterviertel, oder besser gesagt die Armenviertel, auf beiden Seiten gleich aus: Zwei- bis maximal dreistöckige Häuser reihen sich aneinander, die grosse Mehrheit davon Sozialwohnungen. Auf beiden Seiten gibt es lange Wartelisten für geräumigere Wohnungen. Doch wer  vor 20 Jahren eine Vierzimmerwohnung erhalten hat, wird sich kaum zu einem Auszug bewegen lassen. Jugendliche leben gezwungenermassen bei den Eltern. Die Mietpreise der Sozialwohnungen lassen nach wie vor einen kleinen Unterschied zwischen den Konfessionen erkennen. Direkt neben dem Peace Walls in West-Belfast zahlen Katholiken nach wie vor mindestens 100 Franken mehr für die gleiche Sozialwohnung wie ihre protestantischen Nachbarn. Zumindest die Sozialhilfe ist bei beiden gleich hoch. Rund 120 Pfund alle zwei Wochen gibt es für alleinstehende Arbeitslose. Bei den aktuellen Mietpreisen und etwaiger staatlicher Mietunterstützung ist insbesondere für junge Erwachsene ein Auszug aus dem Elternheim oftmals unmöglich. Denn die Ausgaben für das alltägliche Leben lassen sich mittels diesen Sozialhilfebeiträgen kaum bewältigen. Restaurantbesuche oder überhaupt Mahlzeiten, geschweige denn Freizeitaktivitäten, lassen sich damit kaum vereinbaren. In West-Belfast gehen rund 30 Prozent der SchülerInnen hungrig bzw. unterernährt in die Schule. 

Dubiose und gefährliche Geldquellen

Unpolitische, vor allem kriminelle Jugendliche lassen sich dadurch gerne als Polizeispitzel anwerben. Hierbei gibt es ein paar Pfund zu gewinnen. Wer oder was oder wie verpfiffen wird, spielt keine grosse Rolle, hauptsache ein wenig mehr Geld fliesst in die eigene Kasse. Doch diese Kids leben gefährlich. Sei es, dass sie nebenbei Einbrüche in den ehemalig geschützten Viertel verüben, als auch, dass die Familie ihr Gehabe nicht goutiert. Die Polizei wird in den meisten republikanischen Vierteln nach wie vor als Feind betrachtet. Dies hat zur Folge, dass besonders in diesen Vierteln vermehrt auf alte Methoden zurückgegriffen wird. Frauen und Männer der nach wie vor bewaffneten Gruppen richten über die Jugendlichen. Dies bedeutet neben Verwarnungen auch Landesverweise und Knieschüsse. Gar nicht gern gesehen sind in den republikanischen Vierteln auch Drogen. Der Konsum jeglicher Drogen, abgesehen von Alkohol, wird nicht goutiert. Der Verkauf von Drogen führt zuden oben genannten Bestrafungen. Die Viertel sollen in dieser Hinsicht rein und klar gehalten werden. Drogen führen, so die Ansicht der bewaffneten Gruppen und einer Grosszahl der BewohnerInnen der entsprechenden Viertel, zu unsinnigen Straftaten und Problemen. Ein weiterer Grund dabei ist, dass die Verteilwege der illegalen Drogen mehrheitlich in der Hand loyalistischer Paramilitärs sind. Fakt ist jedoch, dass auf beiden Seiten die Strassen dreckig und unaufgeräumt sind. Abfälle säumen die Strassen. Zumindest das Ampelsystem wurde in den letzten Jahren verbessert. Wer sich durch die Viertel wagt, wird von vielen Wandbildern und Erinnerungssteinen geleitet. Den ehemaligen KämpferInnen wird nach wie vor prominent gedacht. Die traurige Geschichte ist allgegenwärtig und schafft damit sicherlich Perspektiven für einen neuen Versuch des bewaffneten Kampfs. Denn überspitzt gesagt: In den Falls hat die Polizei nach wievor nichts zu melden und in der Shankhill fragen sie sich, wann die RUC endlich wieder einmal katholische Viertel räumen will.
*Die Bezeichnungen sind aus dem englischen Sprachgebrauch übernommen und beinhalten in diesem die ganze Breite der einzelnen Bewegungen. Damit sind selbstverständlich auch Frauen gemeint. Vor allem auf republikanischer Seite kämpfen auch viele Frauen mit. Aus diesem Grund wurde auf eine -Innenform im Artikel verzichtet. 

Kleines LexikonIRA: Irisch Republikanische Armee; Guerilla-Gruppe, welche für ein vereintes (sozialistisches) Irland kämpfte. Der Kampf richtete sich dabei besonders gegen die Britische Armee und die Nordirische Polizei RUC. In den 1970er-Jahren entstand im Rahmen einer Spaltung eine Offizielle und eine Provisorische IRA. Die Offizielle IRA stellte relativ bald danach den bewaffneten Kampf ein. Heute wird allgemein die Provisional IRA als die IRA betrachtet. Seit dem Karfreitagsabkommen entstanden mehrere Splittergruppen welche den Namen IRA (meistens die irisch-gällische Bezeichnung) verwenden.
Loyalisten & Unionisten: Protestanten, welche die Zugehörigkeit und den Verbleib Nordirlands zum englischen Königreich als politischen Schwerpunkt führen. Sie verfügen über zahlreiche paramilitärische Gruppen, welche besonders gegen (vermeintliche) BewohnerInnen aus katholischen Vierteln Anschläge und Morde verübten. Die bekanntesten Paramilitärs sind dabei die UVF (Ulster Volunteer Force) und die UDA (Ulster Defense Association). Die Gruppen verübten zudem zahlreiche Anschläge und Aktionen unter Decknamen. Bei unzähligen Aktionen wurden den Paramilitärs Hilfestellung durch das Militär bzw. die RUC geleistet.
Republikaner: Bezeichnung für die (mehrheitlich) katholische Bevölkerung, welche sich für die Ziele von Sinn Fein und IRA einsetzen.
RUC: Royal Ulster Constabulary. NordirischePolizei. Heute PSNI (PoliceService of Northern Ireland). Bis zum Karfreitagsabkommen bestand die RUC praktisch nur aus protestantischen PolizistInnen. Mitverantwortlich für zahlreiche Morde an katholischen ZivilistInnen sowie Sinn Fein und IRA Mitgliedern.
Sinn Fein: Partei der IRA, massgeblich am Friedensvertrag beteiligt. Erst ab den 1980er Jahren wirklich relevant als politische Partei im Norden. Heute sowohl im Süden als auch im Norden im Parlament vertreten.
Falls: Katholisches Arbeiterviertel in West-Belfast mit starker Sympathie für die IRA.
Shankhill: Protestantisches Viertel in West-Belfast mit starken Sympathien für die loyalistischen und unionistischen Paramilitärs.