«Und, fühlst du dich wieder wie in Costa Rica?»
Ich kratze mich am Kopf und stöhne auf.
«Du weißt schon!», sage ich.
Maja zieht gerade eine Packung Chips, Hummus und Brot aus dem Rucksack und legt alles auf das kleine Tischchen in unserem Zugsabteil.
«Mir fällt das Wort einfach nicht mehr ein», sage ich.
«Wie man das nennt, wenn etwas, also eine Landschaft, weit oben liegt und flach ist. Verstehst du?«
«Du meinst eine Bergterrasse?»
Ich schlage mit der Hand auf den Tisch.
«Genau! Unsere Wanderung heute führt über eine Bergterrasse und dann zum Berglistüber, einem wirklich netten Wasserfall, der mich an meine Zeit in Costa Rica erinnert hat,wo ich in La Fortuna bei einem ähnlichen Wasserfall war. Mit dem erfreulichen Unterschied, dass wir hier nicht nach Schlangen Ausschau halten müssen.»
Das Tal wird mit jeder Zugminute enger. Die Hochebene ist von hier aus nicht zu sehen.
«Irgendwo dort oben?», fragt Maja.
Ich bejahe.
Dann heißt es: «Nächster Halt: Linthal Braunwaldbahn», und wir packen unsere Sachen wieder ein und steigen aus.
Ohne die Standseilbahn, die direkt neben dem Bahnhof losfährt, hätten wir diese Wanderung von unserer Liste gestrichen – zu anstrengend, zu lang wäre sie gewesen. Rund 1000 Höhenmeter sparen wir dank der Fahrt mit dem Bähndli und kommen so ohne Schweissvergießen zur Bergterrasse, auf der unsere Route startet.
Braunwald ist eines von nur ganz wenigen Dörfern in der Schweiz, das als autofrei gilt. Deswegen ist die Standseilbahn nicht nur für Wander*innen wie Maja und mich wichtig, sondern auch für die gut 300 Einwohner*innen von Braunwald essenziell. Bei der Bergstation Braunwald beginnt die Route links, dem Nussbüel-Weg entlang. Da die Wanderung bereits weit oben beginnt, verläuft sie lange mehr oder weniger eben. Der Weg ist breit und verläuft mal durch Wald, mal über Wiesen, sodass man immer wieder in den Genuss dieser einmaligen Aussicht auf die wild aufgetürmten Gesteinsmassive kommt.
Die Wanderung ist gut ausgeschildert und dementsprechend auch für Einsteiger*innen leicht zu bewältigen – ohne dass man dabei auf ein Bergfeeling verzichten muss.
Irgendwann verlassen wir unsere Höhenlinie und steigen – abschnittsweise leider auch an einer ziemlich befahrenen Passstraße entlang – hinab. In einer Kurve der Straße sehen wir einen kleinen Imbiss. Von dort aus zeigen diverse Wegweiser zum Berglistüber. Nur wenige hundert Meter weiter wartet er auf uns. Bei diesem Wasserfall fliegt der Fätschbach über einen Felsvorsprungtosend in ein Becken, bevor er sich seinen Weg Richtung Linthal bahnt.
Den Berglistüber kann man von einer Aussichtsplattform beobachten und sich dabei winzige glitzernde Tröpfchen ins Gesicht nieseln lassen.
Besonders Abenteuerlustige können auf eigene Gefahr – es ist ziemlich rutschig! – einem ungesicherten Pfad folgen, der hinter den Wasserfall führt.
«Und, fühlst du dich wieder wie in Costa Rica?», fragt
Maja.
«Un poco. Dort gab es mehr Wald als hier. Aber das ist nicht tragisch; ich genieße es sehr, hier zu sein.»
Wir liegen noch eine Weile auf der Aussichtsplattform und hören, wie die Leute kommen und gehen. Wir hören ganz verschiedene Sprachen: Deutsch, Französisch, Ukrainisch, einmal sogar ganz kurz Spanisch.
Zurück beim Imbissstand realisieren Maja und ich, dass wir den Bus, der uns über den Pass bringen sollte, gerade verpasst haben. Sei’s drum. Wir legen uns in die Wiese, genehmigen uns eine Glace und bewegen uns während der Wartezeit nur noch, um die Seiten unserer Bücher umzublättern.
Wem die Busfahrt über den Klausenpass bis nach Altdorf (Dauer: 1h45min) zu viel ist, kann auch mit dem Bus wieder zurück nach Linthal fahren, was nur eine Viertelstunde dauert. Für beide Varianten gilt es, gut auf die Zeit zu achten, da die Busse selten fahren. Wer den Bus verpasst, kann in einer Stunde auch zu Fuß zurück nach Linthal laufen.