«Die britische Tourismusindustrie krankt schon viel zu lange an ihrer eigenen Beharrlichkeit, billig mit schön und gut gleichzusetzen.» Mit diesem Kommentar eines Branchenfachmanns zur aktuellen Lage auf dem Tourismusmarkt umreisst der britische Journalist und Wissenschaftler Tim Forsyth kurz und bündig die Schlussfolgerungen seiner Untersuchungen über die Wirksamkeit der in der Reiseindustrie getroffenen Massnahmen hinsichtlich eines nachhaltigeren Tourismus. Die Studie – von der in London ansässigen tourismuskritischen Organisation Tourism Concern lanciert und vom WWF-England herausgegeben – stützt sich auf die Resultate einer 1993 durchgeführten Befragung von 69 britischen Verantwortlichen aus dem «Out-going»-Tourismus sowie einer im April 1995 veranstalteten kontroversen Podiumsdiskussion über die Einschätzungen aus der Branche selbst der getroffenen Massnahmen für einen ökologisch und sozial verantwortlichen Tourismus. Zwar haben über die letzten Jahre viele Tourismusunternehmen die negativen Folgen des Reisens erkannt und mit Verhaltenskodexen, Umweltmassnahmen und neuen Formen der Zusammenarbeit mit lokalen PartnerInnen in den Gastregionen zu begegnen versucht. Doch vielmehr als gute PR schaue dabei kaum heraus, stellt die Studie nüchtern fest. So ist denn auch die überwiegende Mehrheit der Branchenleute der Meinung, dass die selbst-regulierenden Massnahmen keineswegs ausreichen und unbedingt durch staatliche Regulierungen – vor allem durch die Gastländer getroffene Vorschriften, Auflagen oder Gesetze – ergänzt werden müssen. Als Beispiel steht die zu Beginn der neunziger Jahre auf den Balearen eingeführte Auflage an die Touroperators, sich bei der Zimmerbelegung an die Planungsbegrenzungen zu halten. Nur härtere Vorschriften könnten unethisches Verhalten einzelner Tourismusunternehmen verhindern. Zudem ändern die durch die Branche getroffenen Bestrebungen noch keinesfalls die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der heutigen Tourismusproduktion. Der auf dem Tourismusmarkt tobende Konkurrenz- und Preiskampf zwingt die Unternehmen dazu, in Massen billig zu produzieren und bei schwindenden Margen vorab auf Umsatzsteigerung zu setzen. Dieses kurzsichtige Geschäftsgebaren verhindert eine längerfristige, umsichtigere Planung, die für die künftige Erhaltung eines Feriengebietes unverzichtbar wäre. Denn genau die Zukunft der Gastregionen, die nur über die Beteiligung und Zusammenarbeit mit den lokalen Bevölkerungen erfolgreich gestaltet werden kann, steht beim Konzept eines nachhaltigen Tourismus im Zentrum. Mit einem ökologisch verträglichen und sozialverantwortlichen Tourismus beizutragen, Lebens- und Ferienraum attraktiv zu erhalten, läge durchaus auch im Interesse von Tourismusunternehmen. Mit diesem Verständnis allerdings scheint es in der Tourismusbranche grundsätzlich noch zu hapern, verstehen doch die meisten befragten Tourismusunternehmen unter «sustainable tourism» eine weitere Variante eines «grünen Tourismus», der vornehmlich als Nischenprodukt das gängige Angebot erweitert.
Hier könnte künftig vielleicht eine präzisere Verwendung der Begriffe Abhilfe schaffen, indem nicht der Tourismus als nachhaltig bezeichnet wird, was für die Reiseindustrie von vorneherein problematisch bis widersprüchlich erscheint, sondern Tourismus als ein Mittel oder Instrument definiert wird, das – unter bestimmten Voraussetzungen – zu einer nachhaltigen Entwicklung einer Region beitragen kann. Dennoch leistet die Studie als Bericht des von Tourism Concern initiierten und betreuten Prozesses der Befragung der Tourismusbranche über die Wirksamkeit von ökologischen und sozialen Massnahmen einen äusserst wichtigen Beitrag, weit über England hinaus, zur Debatte um die zukünftige Gestaltung des Tourismus. Staatliche Eingriffe sind gefordert; nun gilt es, ihre Ausarbeitung und Umsetzung in Angriff zu nehmen. Ohne allerdings die Tourismusunternehmen deshalb aus der Verantwortung zu nehmen, wie es einigen der Befragten am liebsten wäre. Deshalb schlägt die Studie gleich verschiedene konkrete Ansätze für Tourismusunternehmen vor, die ihre Verantwortung über den Gebrauch von Umweltpapier am Firmensitz hinaus wahrnehmen und gleichzeitig ihre Produktequalität steigern wollen: Neue Angebote ausarbeiten, die Reisenden informieren und sensibilisieren, Regierungen in den Gastländern über die Anforderungen der westlichen Reisenden informieren, VertragspartnerInnen nach präzisen Kriterien auswählen, neue lokale PartnerInnen suchen, etc. Dafür müssten die Unternehmen auch in die Ausbildung ihrer Angestellten investieren sowie im Marketing dazu beitragen, dass die Vorteile eines verantwortlichen Tourismus den KonsumentInnen klar erscheinen, auch wenn die Reise teurer wird./cp

Tim Forsyth: Sustainable Tourism – Moving from Theory to Practice. Report prepared for Tourism Concern, published by WWF-UK, London 1996. Vgl. auch: Tourism In Focus, Spring Issue 1996, Tourism Concern London

Bezugsadresse: Tourism Concern, Southlands College, Wimbledon Parkside, London SW19 5NN, United Kingdom