Bleiben Millenniumsziele leeres Versprechen?
An der zweiten UNO-Weltkonferenz über Entwicklungsfinanzierung vom 29. November bis 2. Dezember 2008 in Doha wird Bilanz darüber gezogen, wie weit die an der ersten Konferenz von Monterrey 2002 gemachten Zusagen der Regierungen zur Entwicklungsfinanzierung und zum Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele der UNO (siehe Box) umgesetzt wurden. Im April dieses Jahres warnte ein Bericht von Weltbank und Internationalem Währungsfonds, dass die meisten Entwicklungsländer die Millenniumsziele verfehlen werden. Etwas optimistischer ist der Bericht hinsichtlich der Halbierung der extremen Armut (Menschen, die mit weniger als einem US-Dollar pro Tag zum leben), wobei die Situation in Subsahara-Afrika prekär bleibt.[i]
Dennoch fehlt in vielen Industriestaaten – entgegen den in Monterrey gemachten Zusagen – der politische Wille für eine signifikante Erhöhung der öffentlichen Entwicklungshilfe. 2007 lag sie bei rund 100 Mrd. US-Dollar. Aus Sicht der Weltbank wäre eine Aufstockung um 50 Mrd. pro Jahr bis ins Jahr 2010 dringend notwendig. Auch die Schweiz zeigt sich diesbezüglich zu wenig solidarisch. Darum haben am 26. Mai dieses Jahres Schweizer Hilfswerke und weitere Organisationen in Bern eine Petition mit 201’679 Unterschriften den Behörden überreicht. Sie verlangt von Bundesrat und Parlament ein stärkeres Engagement zugunsten der UNO-Millenniumsziele und eine entsprechende Erhöhung der Entwicklungshilfe von heute knapp 0,4 auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens.
Auf den ersten Blick hat sich die Situation in vielen Ländern des Südens in den letzten Jahren verbessert. Bis Ende 2007 wurden im Rahmen der Entschuldungsinitiativen HIPC (Heavily Indebted Poor Countries) und MDRI (Multilateral Debt Relief Initiative) Schulden im Umfang von 67,7, resp. 47,9 Mrd. US-Dollar erlassen.[ii] Die öffentlichen Einnahmen sind in vielen Ländern des Südens spürbar gestiegen. Allein in Subsahara-Afrika nahmen sie in nur fünf Jahren von 70 auf 186 Mrd. US-Dollar (2006) zu.[iii] Ursache sind höhere Rohstofferlöse und Steuereinnahmen. Die privaten Nettokapitalflüsse in die Entwicklungs- und Schwellenländer haben im Jahr 2007 mit 989 Mrd. US-Dollar einen neuen Höchststand erreicht.[iv] Der Anteil der Entwicklungs- und Schwellenländer am Welthandel ist mit 36 Prozent grösser als je zuvor, wobei jedoch der Marktanteil der 50 ärmsten Länder bei nur 0,5 Prozent stagniert.[v]
Massiv mehr Geld vom Süden in den Norden
Die gesamten Nettokapitalflüsse (private und öffentliche Gelder) zwischen Industrie- und Entwicklungsländern (ohne Schwellenländer) sind jedoch negativ. Im Jahr 2001 zahlten die Entwicklungsländer netto 155 Mrd. US-Dollar an die Industrieländer. In der Folge erhöhte sich diese Zahl kontinuierlich auf schätzungsweise 760 Mrd. US-Dollar im Jahr 2007.[vi] Zudem verlieren die Länder des Südens jährlich schätzungsweise 500-800 Mrd. US-Dollar aufgrund krimineller Aktivitäten, Steuerflucht und Korruption.[vii] Somit fliesst also massiv mehr Geld vom Süden in den Norden als umgekehrt.
Auch profitieren nicht alle Menschen vom Wachstum. In Afrika zum Beispiel ist das Wachstum weiterhin extrem ungleich verteilt. Neben einer kleinen wohlhabenden Elite leben rund 500 Mio. Menschen mit weniger als zwei Dollar pro Tag. Durchschnittlich 33 Prozent der Bevölkerung in Afrika leiden Hunger, verglichen mit 17 % in den übrigen Entwicklungsländern.[viii]
Die Ursachen dieser Entwicklung liegen grundlegend in einem globalen Finanzsystem, das vorab den Interessen des Nordens dient und die reichen Eliten im Norden und Süden bevorzugt. Die treibenden Kräfte im Monterrey-Konsens von 2002 sind Handel und internationale Investitionen. Dieses marktbasierte Modell fördert nicht primär die Entwicklung, sondern die Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Zudem macht das von aussen aufgezwungene Modell es den Ländern des Südens fast unmöglich, eine eigenständige Entwicklungspolitik zu betreiben. Und es hat ihre Abhängigkeit von ausländischer Finanzierung erhöht.
Die Auslandsschulden aller Entwicklungs- und Schwellenländer sind 2006 auf die neue Rekordhöhe von fast 3000 Mrd. US-Dollar gestiegen. Aus diesen Ländern flossen im selben Jahr 568,7 Mrd. US-Dollar an Zins- und Tilgungszahlungen an die Gläubiger.[ix]
Allein die ärmsten Länder (Low Income Countries) wenden für den Schuldendienst täglich 100 Mio. US-Dollar auf.[x] Zunehmend Anlass zur Sorge gibt auch die wachsende Inlandverschuldung, die zum Beispiel im Fall Jamaicas inzwischen 59 Prozent aller Schulden ausmacht. Paradoxerweise müssen soeben weitgehend entschuldete ärmste Länder sich wieder neu verschulden, um die Millenniumsziele zu erreichen, weil zuwenig Entwicklungshilfe fliesst. Sie würden von der Weltbank zu diesem Schritt ermuntert, wie ein Vertreter Zambias an einem kürzlich vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) und dem UN-Department for Economic und Social Affairs (UNDESA) organisierten Treffen in New York meinte.
IWF und Weltbank müssen Schuldenpolitik ändern
An diesem Treffen diskutierten VertreterInnen von NGO, UNO, IWF und Weltbank darüber, wie eine neue Schuldenkrise abgewendet werden kann. Dabei zeigte sich, dass die bisherigen Entschuldungsinitiativen und die Vorgaben von Monterrey nicht ausreichen, um die Millenniumsziele zu erreichen. Zuhanden der Doha-Konferenz forderten die NGO-VertreterInnen, dass IWF und Weltbank die Frage der Schuldentragfähigkeit ganz auf das Erreichen der Millienniumsziele ausrichten. Dies beinhalte einen weitergehenden Schuldenerlass für Länder mit niedrigem Einkommen sowie den Einbezug von hochverschuldeten Ländern mit mittlerem Einkommen in die Entschuldungsprogramme. Dabei müssten einige mit diesen Programmen auferlegte schädliche Konditionalitäten beseitigt werden.
Nötig sei zudem ein neuer auf der gemeinsamen Verantwortung von Gläubiger und Schuldner beruhender Finanzierungsrahmen. In New York kam auch die Frage der illegitimen Schulden ausgiebig zur Sprache. In der Folge schlugen die NGO-VertreterInnen der Doha-Konferenz die Schaffung einer Studienkommission zu illegitimen Schulden und verantwortlicher Kreditvergabe vor sowie die Schaffung fairer und transparenter Schiedsverfahren bei Schuldenstreitigkeiten zwischen Staaten.
In New York wurden auch Massnahmen gegen die sogenannten Vulture Fonds verlangt, die mengenmässig aber noch nicht ins Gewicht fallen.[xi] Zudem wurden neue Finanzmechanismen diskutiert wie zum Beispiel eine globale Kohlendioxidsteuer. Diese hätte laut einem Konferenzteilnehmer das Potential, die Lücke in der öffentlichen Entwicklungshilfe zu füllen.
Weiter fordert die Zivilgesellschaft im Rahmen der Entwicklungsfinanzierung auch einen verstärkten Kampf gegen Korruption sowie Kapital- und Steuerflucht. Dies würde die Länder des Südens in die Lage versetzen, mehr Haushaltsmittel zur Förderung der Entwicklung und der Binnenwirtschaft zu mobilisieren, wie im Monterrey-Konsens vorgesehen. Auch die Schweiz steht hier in der Pflicht. So ist zu hoffen, dass sie noch in diesem Jahr die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert. Noch immer sträubt sie sich aber dagegen, im Steuerbereich Konzessionen zu machen.
Auswirkungen der Finanzkrise
Aktuell stellt sich auch die Frage, welche Auswirkungen die Finanzkrise sowie die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise auf die Entwicklungsländer und das Erreichen der Millenniumsziele haben. Die von der Immobilienkrise in den USA ausgelöste Finanzkrise hat laut IWF bisher zu weltweiten Verlusten von rund 1000 Mrd. US-Dollar geführt. Und
es wird befürchtet, dass sich die Finanzkrise noch ausweitet und zu einer Rezession führt. Die Weltbank prognostiziert für 2008 einen Rückgang des weltweiten Wachstums von 3,7 % im Jahr 2007 auf 2,7 %. Das überdurchschnittliche Wachstum in den Entwicklungsländern werde von 7,8 auf 6,5 % sinken.[xii]
Die meisten Entwicklungs- und Schwellenländer haben gemäss einem Bericht von UNDESA und UNCTAD[xiii] die Folgen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten bisher hauptsächlich in Form einer höheren Volatilität auf den lokalen Aktienmärkten sowie höherer Risikozuschläge auf der Rendite ihrer Auslandsschulden zu spüren bekommen. Keiner dieser Effekte scheine aber von Dauer gewesen zu sein. Die Ursachen der Widerstandsfähigkeit dieser Ökonomien sieht der Bericht in verbesserten makroökonomischen Rahmenbedingungen, in der Akkumulation von Devisenreserven und im starken Wirtschaftswachstum der letzten Jahre.
Der Bericht weist aber darauf hin, dass das Wachstum in den meisten dieser Länder weiterhin stark vom internationalen ökonomischen Umfeld abhängig ist. Wenn die Nachfrage nach Gütern sinkt, der Dollar im Keller bleibt und die Kredite teurer werden, so wirkt sich dies auch negativ auf viele Länder des Südens aus.
Eine wichtige Rolle spielen auch die hochspekulativen Hedge Fonds, die eine permanente Gefahr für die Stabilität der Finanzmärkte darstellen. 2006 waren 423 Hedge Fonds in Schwellenländern wie China, Indien, Brasilien oder Südafrika mit einem verwalteten Vermögen von rund 63 Mrd. US-Dollar aktiv.[xiv] Die Hedge Fonds sind stark in den Handel mit Derivaten involviert, welche am Anfang der Finanzkrise stehen. In der Folge sind einige Hedge Fonds in Schieflage geraten oder bereits bankrott gegangen.
Hedge Fonds sind für ihre Finanztransaktionen auf eine gewisse Infrastruktur angewiesen und darum in den ärmsten Ländern kaum aktiv. Dennoch können ihre Aktivitäten grossen Einfluss auf diese Länder haben. So sind die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise auch auf Aktivitäten von Hedge Fonds zurückzuführen, die ihren Fokus nun vermehrt auf Rohstoffe als Spekulationsobjekt richten.
Vorgaben von Monterrey anpassen
An der Monterrey-Konferenz von 2002 wurde die Notwendigkeit eines gesunden Finanzsystems mit einer transparenten Regulierung und einer funktionierenden Aufsicht unterstrichen. Dazu wäre auch eine Kursänderung beim IWF nötig, der federführend bei der Liberalisierung und Deregulierung der Finanzmärkte in den Ländern des Südens war und ist. Diese haben sich teilweise bereits vom IWF und von der Weltbank abgewandt, um eigene regionale Strukturen wie die Banco del Sur aufzubauen. Es ist zu hoffen, dass die Konferenz in Doha die richtigen Weichenstellungen vornimmt und sich nicht darauf beschränkt, die Umsetzung der Vorgaben von Monterrey zu überprüfen, sondern die Vorgaben selbst zugunsten der Länder des Südens anpasst.
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Millenniumsziele
Im September 2000 kamen hochrangige Vertreter von 189 Ländern, die meisten von ihnen Staats- und Regierungschefs, zu dem bis dahin größten Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in New York zusammen (Millenniumskonferenz). Als Ergebnis des Treffens verabschiedeten sie die so genannte Millenniumserklärung, aus der die Millenniumsentwicklungsziele hervorgegangen sind, die bis 2015 erreicht werden sollen: Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet, halbieren; Grundschulausbildung für alle Kinder ermöglichen; Gleichstellung der Geschlechter fördern; Kindersterblichkeit verringern; Gesundheit der Mütter verbessern; HIV/AIDS, Malaria und andere übertragbare Krankheiten bekämpfen; Schutz der Umwelt verbessern und eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen
Monterrey-Konsens
Auf der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung im mexikanischen Monterrey hat die internationale Gemeinschaft 2002 diskutiert, wie man die bei der Millenniumskonferenz verabredeten Ziele finanzieren kann. Sie sind dabei unter anderem zu folgenden Ergebnissen gekommen: In den Entwicklungsländern sollen mehr Haushaltsmittel mobilisiert werden. Ausländische Direktinvestitionen sollen die Wirtschaft in den Entwicklungsländern stärken. Der internationale Handel soll als ein Motor für Entwicklung gefördert werden. Die internationale Gemeinschaft soll ihre Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit erhöhen. Hochverschuldeten Entwicklungsländern soll im Rahmen der HIPC-Initiative ein Teil der Schulden erlassen werden und eine entwicklungsverträgliche Schuldenfinanzierung angeboten werden. Die Interessen von Entwicklungsländern sollen bei der Reform der internationalen Handels- und Finanzarchitektur berücksichtigt werden.
[i] Worldbank-IMF Global Monitoring Report 2008
[ii] Eurodad fact sheet: Capital flight diverts development finance
[iii] Informationsbrief Weltwirtschaft und Entwicklung (W & E), März 2008
[iv] ebd.
[v] ebd.
[vi] UNDESA und UNCTAD World Economic Situation and Prospects 2008
[vii] Raymond W. Baker: „Capitalism’s Achilles Heel“, 2005.
[viii] Global Risk Team for the World Economic Forum on Africa, report Africa@Risk, 2008
[ix] Informationsbrief W & E, März 2008
[x] Brief von AFRODAD, LATINDAD, Eurodad, Jubilee South, Jubilee USA und weiteren NGO an UN-Sekretär Ban Ki-Moon vom 29. Februar 2008
[xi] Vulture Fonds kaufen Schulden zu niedrigen Preisen auf und verlangen dann von den Schuldnerländern die Begleichung der Schulden in der ursprünglichen Höhe.
[xii] Worldbank Global Development Finance 2008
[xiii] UNDESA und UNCTAD World Economic Situation and Prospects 2008
[xiv] Peter Wahl: Superstars in the Emperor’s New Clothes, Hedge Funds and Private Equity Funds, What is at Stake?, WEED 2008
Der Beitrag erschien in den Finanzplatz Informationen 2/2008 vom Juni 2008. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung