Brasilianisches Fischerdorf erstreitet Schutzgebiet zur nachhaltigen Nutzung
Basel, 24.06.2009, akte/ Ein sensationeller Erfolg für Prainha do Canto Verde: Jahrelang hat das Fischerdorf an der Küste des Bundesstaates Ceará im Nordosten Brasiliens gegen Immobilienspekulanten gekämpft und sich für den Schutz der Meeresgründe und der fragilen Küstengebiete eingesetzt. Auch seine Initiativen für einen verantwortlichen Tourismus fanden internationale Anerkennung und wurden verschiedentlich ausgezeichnet. Nun erhält die Fischergemeinde endlich Anerkennung und Unterstützung von höchster Ebene in Brasilien: Am Weltumwelttag vom 5. Juni 2009 erliessen Staatspräsident Lula da Silva und Umweltminister Carlos Minc die Verordnung für die Errichtung einer "RESEX" (Reserva Extrativista) in Prainha do Canto Verde. Damit werden 660 Hektaren Land in der Küstenzone und 29’000 Hektaren Meer zum Schutzgebiet erklärt, das – ähnlich wie in einem Biosphären-Reservat – von der Bevölkerung in traditionneller Weise bewirtschaftet werden kann.
Hinter dem Zauberwort "RESEX" steht ein Konzept zum Schutz der Umwelt im Einklang mit der Bevölkerung, das auf Chico Mendes zurückgeht, den 1988 ermordeten Pionier der Umweltbewegung im Amazonas. Die RESEX-Schutzgebiete werden auf Anfrage von indigenen Gemeinschaften eingerichtet und geben ihnen, im Gegensatz zu herkömmlichen Naturschutzpärken, das Recht, ihre Lebensgrundlagen nachhaltig zu schützen, ihre Kultur und Traditionen zu pflegen und dabei ihre traditionellen Fertigkeiten und angestammten Erwerbszweige auszuüben. Solche Schutzgebiete wurden bislang vornehmlich im brasilianischen Inland eingerichtet. An der Küste von Ceará wurde zwar 2003 in der Fischergemeinde Batoque ein RESEX-Schutzgebiet erlassen, dies allerdings nur im Küstenstreifen an Land. Zum Schutz des Meeres und der Fanggründe der traditionellen Fischer, die ohne Motor zum Fischen ausfahren, gibt es in Brasilien erst 15 Meeresschutzgebiete. Sie decken eine Fläche ab, die noch weit unter den Erfordernissen der UN-Biodiversitätskonvention oder auch des UN-Aktionsprogrammes für Nachhaltige Entwicklung von Johannesburg liegt.
Bereits 2005 hat die Fischergemeinde Prainha do Canto Verde einen Antrag zur Errichtung einer RESEX eingereicht: einerseits zu Land, um die Küste vor den aggressiven Grundstückspekulanten für Tourismuserschliessungen, aber auch anderen umweltbelastenden Unternehmungen zu schützen; andererseits zu Wasser, um die Fanggründe der Artesanal-Fischer, die mit ihren traditionellen Segel-Jangadas nur eine beschränkte Reichweite haben, vor ausbeuterischen und illegalen Fischfangpraktiken wirksamer zu schützen.
Seit vielen Jahren setzt sich Prainha do Canto Verde gegen Grundstückspekulanten zur Wehr, die mit ihren Forderungen immer wieder Gemeindemitglieder massiv unter Druck setzen und auch nicht vor brutalen Handgreiflichkeiten oder dem Abbrennen von Häusern zurückschrecken. Erst 2006, nach einem dreissigjährigen erbitterten Kampf, errang die Bevölkerung von Prainha do Canto Verde in einem memorablen Präzedenzfall gegen Immobilienspekulanten vor dem brasilianischen Bundesgericht die Anerkennung ihrer Landrechte. Die traditionelle Fischerei ist indessen zunehmend bedroht. Die Fänge gehen kontinuierlich zurück und die Artesanal-Fischer sind immer öfter Scharmützeln und gar gefährlichen Überfällen von illegalen Fischern ausgesetzt. Doch das Fischerdorf hat sich organisiert: Heute sind die rund 1’000 BewohnerInnen von Prainha do Canto Verde nicht mehr von der traditionellen Fischerei allein abhängig, sondern setzen auf Bio-Landwirtschaft und Produktion für den Fairen Handel, aber auch auf den Tourismus, der von der Gemeinschaft betrieben wird. Die Gäste stammen mehrheitlich aus der nahen Bundeshauptstadt Fortaleza und anderen Städten Brasiliens, einige reisen aber auch aus anderen Ländern Lateinamerikas und aus Übersee an. Mit seinem Modell für einen konsequent in der Gemeinde verwurzelten Tourismus hat Prainha do Canto Verde nicht nur für seine DorfbewohnerInnen einen neuen Weg eröffnet, sondern für zahllose Dörfer in Brasilien, in ganz Lateinamerika und auf anderen Kontinenten vorgespurt, wie sie gerecht an einem umwelt- und sozialverantwortlichen Tourismus teilhaben können.
Mit der RESEX ist die Gemeinde von Prainha do Canto Verde erneut gefordert: Sie steht jetzt vor der grossen Aufgabe, mit dem Instituto Chico Mendes para Conservação da Biodiversidade des Umweltministeriums einen nachhaltigen Nutzungsplan für das neue Schutzgebiet zu erarbeiten, der die Schutzbestimmungen mit den verschiedenen Interessen der Gemeinschaft unter einen Hut bringen soll.
Am Weltumwelttag verglich Umweltminister Carlos Minc die RESEX mit einer Landreform, der den Gemeinschaften die Erhaltung ihrer Umwelt und Lebensgrundlagen sichern hilft. "Wenn die Regierung nicht entschieden dafür wirkt, werden die Reichen die Küste in Beschlag nehmen, Resorts und Golfplätze bauen und die Fischer in die Slums der Städte vertreiben", hielt er in seiner Rede zur Schaffung der neuen RESEX fest. Gleichzeitig mit dem Schutzgebiet in Prainha do Canto Verde wurden auch ein Meeresschutzgebiet in Cassurubá im Staat Bahia sowie zwei weitere RESEX im Landesinnern erlassen.
Quelle: Press release Instituto Terramar, Fortaleza/Brasil, June 5th, 2009; Informationen von René Schärer