Brasilien: die «Winner-Destination» der Saison?
Zum Sparpreis in den armen Nordosten Brasiliens
Zwei neue Charterflüge wöchentlich ab Zürich und Basel nach Fortaleza und Natal, eine Woche im Hotel inklusive Flug für weniger als 700 Franken – und schon jubelt die Fachpresse Brasilien zur „Winner Destination“ der Saison hoch. Brasilien sei, so begründet die Branche die neue Billigoffensive, krisenfrei, vor SARS verschont und vor allem günstiger als die Dominikanische Republik. Die Karibikinsel steht zwar auch nicht gerade im Ruf einer überteuerten Luxusdestination, versucht aber in jüngster Zeit, ihr „Schmuddelimage“ als Billig-Ferienziel abzustreifen. Da zieht die Reisekaravane eben weiter ins nächste „Neuland zu Schockpreisen“, als Image hält fürs Erste das „unentdeckte Ferienparadies“ her, Hauptsache der Veranstalter kann wieder steigende Umsätze und Marktanteile vermelden. Ganz schnell mussten offenbar auch Programmgestaltung und Ausschreibung erfolgen: So preist etwa Direkt Reisen das Hotel Oasis Praia das Fontes als das „beste Haus der ganzen Region“, ein Angebot, das auch die Billigmarke Helvetic Tours von Kuoni im Katalog führt. Das Hotel ist bei Menschenrechts- und Umweltorganisationen der Region als notorisches Spekulationsobjekt bekannt, das noch nie aus den roten Zahlen gekommen sei. Erbaut wurde die Anlage direkt über dem Strand in den Dünen und auf den Kalksteinklippen, die dadurch stark von Erosion gefährdet sind. Das Angebot ist „all-inclusive“, da kein Ort in unmittelbarer Nähe sei, steht in der Ausschreibung von Direkt Reisen. Vermutlich hat der Einkäufer einfach nicht über die hohe, mit spitzen Glasscherben gespickte Mauer geschaut, die das Resort abschirmt. Dahinter drängen sich nämlich die Häuser des Fischerdörfchens Praia das Fontes, armselig, verslumt und ohne Raum und Perspektiven für eine weitere Entwicklung. Die einheimischen und portugiesischen Erbauer und Betreiber der Anlage kamen billig zum Land mitten im Dorf, da sie mit Geschenken – dem 100 Backsteine, dem ein Badezimmer – die Bevölkerung zu spalten wussten und so jedem Protest vorbeugten. Die EinwohnerInnen wurden überrumpelt, nun hat die Gemeinde nichts als Abfall, Erosion und das Nachsehen. Nur gerade zwei Dorfbewohner waren im vergangenen Sommer im Hotel beschäftigt. Das wird sich auch kaum ändern mit den neuen Gästen, denn die Leute aus dem Dorf sind nicht ausgebildet für die Arbeit im Resort und der Aufbau einer spezifischen Qualifizierung für die Dorfbewohner war nie Bestandteil des Hotelprojektes.
Achtung: Bis zu 10 Jahren Gefängnis für Sex mit Kindern!
Vergeblich sucht man diesen Hinweis in den Ausschreibungen der Schweizer Veranstalter für die neu aufgelegten Billigcharterflüge nach Fortaleza und Natal. Vor dem alarmierenden Ausmass der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen, gerade auch in den touristischen Zentren Brasiliens, haben Kinderschutzorganisationen gemeinsam mit Behörden und der Tourismusbranche längst in verschiedenen Teilen des Landes konkrete Massnahmen eingeleitet. Brasilien beteiligt sich zudem aktiv an internationalen Programmen zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus, das Tourismusministerium ist Mitglied in der Arbeitsgruppe der Welttourismusorganisation „Task Force to Protect Children from Sexual Exploitation in Tourism“, die staatliche Tourismusorganisation Embratur wirkt im Steering Committee des spezifischen internationalen Verhaltenskodizes und hat verschiedene Info-Materialien in allen Sprachen erarbeitet, die den Touristen im Klartext sagen, dass sie für Sex mit Kindern mit mehreren Jahren Haft zu rechnen haben. In Fortaleza haben im August 2003 der Gouverneur des Bundesstaates Ceará, die Stadtpräfektur, der Regierungspräsident und die Staatsanwaltschaft mit allen Verbänden der Tourismusindustrie und mit den in einem Forum zusammengeschlossenen 60 Kinderschutzorganisationen eine verbindliche Vereinbarung zur Bekämpfung des Sextourismus und zum Schutz der Minderjährigen vor sexueller Ausbeutung getroffen. Die Tourismusbehörde von Ceará fasste den Auftrag, innerhalb von 60 Tagen eine Kommission aus VertreterInnen der Behörden, Tourismuswirtschaft und Zivilgesellschaft aufzustellen und ein Programm zur Erarbeitung eines Verhaltenskodizes vorzulegen. Die Auflage der neuen Billigflüge aus der Schweiz kommt nun aber zu früh, als dass der neue Verhaltenskodex zum Tragen kommen könnte. Zumal die Schweizer Reiseveranstalter – mit Ausnahme jetzt von Hotelplan (siehe akte- Kurznachrichten 3/2003) – keine Programme zum Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung im Tourismus führen oder ihre Kundschaft entsprechend informieren, versucht nun das „Fórum Cearense de Enfrentamento da Violência Sexual contra Crianças e Adolescentes“ von Fortaleza zusammen mit der Entwicklungsorganisation Terramar und mit der Unterstützung der Kommission für Menschenrechte Informationsmaterialien in verschiedenen Sprachen zu beschaffen, um diese zumindest auf dem Flughafen den ankommenden TouristInnen in die Hand zu drücken./ plus
Quellen: Ausschreibungen von Direkt Reisen, Helvetic Tours, Netto Reisen, Brasil Tours, Avione; SonntagsZeitung 19.10.2003/21.9.2003; Travel Inside 3.10., 29.8., 8.8.2003; Schweizer Touristik 17/13/2003; Termo de Compromisso, Estado Ceará, 15.8.2003; Materialien des Fórum Cearense de Enfrentamento da Violência Sexual contra Crianças e Adolescentes; Informationen von CEDECA, ecpat Brazil auf www.ecpat.net und www.violenciasecual.org.br; Task Force to Protect Children from Sexual Exploitation in Tourism, www.world-tourism.org; Code of Conduct for the Protection of Chi8ldren from Sexual Exploitation in Travel and Tourism, www.thecode.org; eigene Recherchen