Am 25./26. Mal wurde das Fischerdorf Prainha do Canto Verde im nordostbrasilianischen Staat Cearä von cirka 20 bewaffneten Männern überfallen. Die Häuser zweier Fischerfamilien gingen in Flammen auf und Baumaterialien wurden zerstört. Bei diesem brutalen Vandalenakt handelt es sich um einen neuen Versuch, die EinwohnerInnen einzuschüchtern, die sich gegen Immobilienspekulationen wehren: Laut Augenzeugenberichten waren am Überfall Männer aus dem Umfeld des Unternehmers Henrique Jorge beteiligt, der auf dem Gelände des Fischerdorfes trotz fehlenden Genehmigungen illegal Villen und Ferienhäuser errichten will. «Grilagem» heisst das illegale Verfahren im Volksmund und geht immer ähnlich vor sich: Ein Strohmann der Immobilienfirma kauft unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zwei oder drei kleine Grundstücke in einiger Entfernung vom Strand (im Falle von Prainha do Canto Verde rund 3 Kilometer) und lässt dann mittels Bestechungsgeldern auf dem Grundbuchamt ein viel grösseres bis ans Meer grenzendes Gebiet registrieren. Dies auch, wenn Familien seit Gene­rationen auf eben diesem Land leben. Schliesslich verkauft der Strohmann das gesamte Gelände der Immobilienfirma, die nun «legal» Ferienwohnungen und Hotels bauen kann. Die Praxis verschiedener skrupelloser Unternehmen, Strandgebiete auf diese Weise zu erwerben, ist nicht auf Prainha do Canto Verde beschränkt, sondern geschieht seit vielen Jahren ungestraft mit Wissen der Behörden und unter Beihilfe korrupter Beamter an der 600 Kilometer lan­gen Küste des Staates Cearà und ganz Brasiliens. In den meisten Fällen ist die lokale Bevölkerung nicht organisiert und schlecht über ihre Rechte informiert, so dass sie sich selten oder erst zu spät zur Wehr setzt. Wenn es aber zu Widerstand kommt, versucht die Immobilienfirma mit­tels Versprechungen, Schmiergeldern, Drohungen und Gewalt die Dorfbevöl­kerung zu spalten. Im Falle von Prainha do Canto Verde ist das nicht so ein­fach, weil sich die Menschen hier zusammengeschlossen haben und vom Zen­trum für die Verteidigung der Menschenrechte «Kardinal Lorscheider» sowie vom Selbsthilfeprojekt «Amigos de Prainha do Canto Verde» unterstützt wer­den. Nach einem ersten Überfall im November 1993 ‑ dabei wurde ein sich im Bau befindender Kindergarten zerstört ‑ lebt das Dorf mit ständigen Drohun­gen und den verschiedensten Formen von Gewalt. So plünderten und vernichteten bewaffnete Taucher die Langustenbestände vor der Küste und zerstörten dadurch eine wichtige Einkommensquelle der Fischerfamilien. Dem zuständigen Gouverneur, dem Grossgrundbesitzer, Unternehmer und langjährigen Chef der sozialdemokratischen Partei von Staatschef Cardoso, Tasso Jereissati, wird vorgeworfen, bewusst nichts gegen Bodenspekulation, zunehmende Kinderprostitution und Umweltzerstörung in der Region zu unternehmen. Die gespannte Situation und die Zunahme der Konflikte zwischen Immobilien­spekulanten und ansässiger Bevölkerung stehen in Zusammenhang mit der er­klärten Absicht des brasilianischen Staates, den armen Nordosten des Landes in grossem Stil touristisch aufzurüsten. Neben dem Kredit der Interamerikani­schen Entwicklungsbank IDB über rund 900 Millionen US‑Dollar für Infrastruktur (vgl. akT+E KUNA 2/95) hat auch die Nationale Bank für Wirtschaft­liche und Soziale Entwicklung ein Projekt über 3 Milliarden US‑Dollar für Ho­telbauten und Tourismusförderung ausgesetzt. Dafür ist jede Art von Werbung gut: 700’000 US‑Dollar hat ein ehemaliger Gouverneur des Staates Cearà locker gemacht, damit eine der berühmten brasilianischen Tele‑Novelas an den Stränden der Region gedreht wird. Auf dass das Loblied auf den Nordosten auch am Carneval in Rio erklinge, wurden Sambaschulen mit 200’000 US‑Dol­lar «gesponsert». Doch damit nicht genug: eine spezielle «Sonnenversicherung» garantiert den TouristInnen in dieser Region bei Regenwetter gar kostenlose Ferientage! Der Nordosten verzeichnete im vergangenen Jahr mit rund einer Million aus­ländischer BesucherInnen eine Verzehnfachung der Ankünfte von 1990 und trägt damit zum allgemeinen Aufwärtstrend des brasilianischen Tourismus bei. Nach stark rückläufigen BesucherInnenzahlen Ende der 80er Jahre legt die Tourismusindustrie nun wieder kräftig zu: 1994 wurde mit 2 Millionen ausländi­schen Gästen zu einem Rekordjahr. Die Auslastung der Hotelbetten erreichte wieder 83 Prozent, nachdem sie 1991 bis unter die 50‑Prozentmarke gefallen war. Bereits befinden sich 104 neue Projekte im Bau, was die Anzahl der bereit­stehenden Hotelzimmer um 22’000 auf insgesamt 322’000 erhöhen wird.
Informationen des Vereins Amigos de Prainha do Canto Verde 15.6.95; NZZ 27.5.95; The Economist 8.4.957kg