Brasilien: Müssen Fischerfamilien europäischen „ÖkotouristInnen“ weichen?
„Im Namen der Dorfbevölkerung von Tatajuba und zum Schutze des einmaligen Küstenökosystems rufen wir zur Solidarität gegen die skrupellosen Investoren auf, die mit Schlagworten wie ‚Entwicklung’ und ‚Ökotourismus’ ihren eigenen Profit zu steigern versuchen.“ Mit diesen Worten haben sich Bürgerrechtsbewegungen, Nicht-Regierungsorganisationen und WissenschaftlerInnen aus dem nordostbrasilianischen Bundesstaat Ceará Anfang Juni 2001 an die Weltöffentlichkeit gewandt. Das Küstendorf Tatajuba liegt rund 390 Kilometer nord-westlich der Stadt Fortaleza. Die hier ansässigen 150 Fischer- und Bauernfamilien leben seit Generationen inmitten der Wanderdünen, Lagunen und Mangrovenwälder. Heute gilt der Küstenstrich als touristisch interessant – insbesondere seit er 1997 von der US-amerikanischen Zeitung „Washington Post“ zu einem der zehn schönsten Strände der Welt gekürt worden ist. Im Gegensatz zum nahegelegenen Trend-Ferienort Jericoacoara ist die Landschaft rund um Tatajuba noch relativ unberührt.
Doch dies könnte sich bald ändern. Im April 2001 hat die Dorfbevölkerung erfahren, dass eine in Rio de Janeiro registrierte Immobilienfirma sich vor acht Jahren heimlich im Grundbuchregister als Eigentümerin von 5’275 Hektaren Gemeindeland hat eintragen lassen; dies obwohl das Land nach brasilianischem Recht dem Staat gehört und als „auf Dauer zu schützen“ eingestuft ist. Die Dorfbevölkerung dagegen kann sich nur auf ihr Gewohnheitsrecht berufen, denn einen eigentlichen Rechtsanspruch auf ihren Lebensraum hat sie nicht. Umso beunruhigender erscheinen die nun ans Tageslicht kommenden Bauvorhaben der Immobilienfirma „Vitória Régia Empreendimentos Imobiliários Ltda.“: Inmitten des Gemeindelands soll ein touristisches Grossprojekt namens “Condado Ecológico de Tatajuba“ entstehen, das durch europäisches (v.a. portugiesisches) Kapital finanziert wird, empören sich die im Küs-tenschutzforum Ceará vernetzten Organisationen. Dabei scheinen die Investoren auf Unterstützung der zuständigen Tourismusbehörden zählen zu können. Doch die TatajubanerInnen, die offiziell noch gar nicht über das Bauprojekt informiert sind, mögen sich auch angesichts der Einschüchterungsversuche und Zukunftsversprechungen der Immobilienfirma nicht vom Tourismusprojekt überzeugen lassen. Viele befürchten, dass sie von ihrem Land vertrieben und als billige Arbeitskräfte ausgenutzt würden. Zudem – so das Küstenschutzforum – könnte das äusserst fragile Ökosystem unter einer solchen touristischen Nutzung irreversiblen Schaden nehmen. Um die Investoren am Bau zu hindern, hat das Forum eine Kampagne lanciert, bei der sich Leute aus aller Welt per e-mail für die Rechte der ansässigen Bevölkerung bei den brasilianischen Behörden einsetzen können.
Tatajuba ist kein Einzelfall im Bundesstaat Ceará (vgl. akte-Kuna 4/2000). Die zum Teil un-geklärten Landrechtsfragen und die touristischen Grossinvestitionen haben das Gebiet zu einem attraktiven Tummelfeld für Bodenspekulanten gemacht. Der Grossteil der ehemals am Strand lebenden Fischerfamilien ist vielerorts längst hinter die Dünen gezogen und hat die Strandbaracken für ein Trinkgeld den Spekulanten überlassen. In den neunziger Jahren hat die brasilianische Regierung mit Hilfe des von der Weltbank finanzierten Projekts „PRODETUR“ allein in Ceará über 800 Millionen US Dollar in den Ausbau der touristischen Infrastruktur investiert. Realisiert wurden in erster Linie touristische Grossprojekte, von denen die breite Bevölkerung kaum profitiert und in deren Planung sie nicht einbezogen war. /frei
Unterstützen Sie die BewohnerInnen von Tatajuba: www.geocities.com/novatatajuba!
Quellen: Informationen des „Forum for Coastal Preservation in Ceará“ vom 8.6.2001 und im Internet; akte-Kuna 4/2000.