Ursprünglich war das «Visit Myanmar Year» bereits für 1995 vorgesehen, doch angesichts der flagranten Infrastrukturmängel sah sich das burmesische Militärregime im Lauf der letzten Monate gezwungen, den touristischen Grossanlass auf 1996 zu verschieben. Derweil werden die Ziele immer ehrgeiziger: War vor einem halben Jahr noch die Rede von 500’000 BesucherInnen im Tourismusjahr, erwartet der Hotel‑ und Tourismusminister, Lieutenant General Kyaw Ba, laut einer Meldung von anfangs November nun eine Million TouristInnen für 1996. 1992 hatten insgesamt erst rund 10’000 AusländerInnen Burma bereist, 1993 sollen es bereits 62’000 gewesen sein, 1994 gar 100’000. Der 1988 an die Macht geputschte «Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung» SLORC will Auslandsinvestitionen in der Höhe von mehreren Hundert Millionen US‑Dollar anziehen, um neue Betten zu erstellen und Transportengpässe zu beseitigen. 25 neue Tourismusanlagen ‑ Hotels mit Golfplätzen und Casinos und sogar eine Wintersportstation mit Skipisten an den Hängen von Burmas höchstem Gipfel Hkakabo Rai ‑ seien laut SLORC bereits in Angriff genommen, finanziert und ausgeführt durch Unternehmen aus Thailand, Malaysia, Hong Kong und Japan. Die internationale Hotelkette Shangri‑La hat Pläne bekanntgegeben, in der Hauptstadt Rangun ein 5‑Stern‑Hotel mit 700 Zimmern und ein 4‑Stern‑Hotel mit 400 Zimmern zu bauen. Der Mitbesitzer der Shangri‑La Hotels Robert Kuok Hok Nien kontrolliert auch die Finanzgruppe, die kürzlich den Myanmar Fund zur Entwicklung von Landwirtschaft und Tourismus in Burma gestartet hat. Der Myanmar Fund wird von der in Hong Kong stationierten Keny Financial Services Ltd KFSL verwaltet, die ihrerseits zur potenten, im Steuerparadies Jersey beheimateten Keny Investment‑Gruppe gehört, welche sich zur Zeit bemüht, den Myanmar Fund an die Dubliner Börse zu bringen. Die Anbieter des Myanmar Fund werben mit überzeugenden Argumenten für das «Pionierland» Burma: Die Arbeitskosten etwa in der Bekleidungsindustrie betragen nur gerade ein Zehntel derer in Thailand und die Hälfte der Kosten in Vietnam. Zudem brauche das Regime in Rangun dringend Auslandsinvestitionen, um die Wirtschaft zu entwickeln ‑ und dabei politische Stabilität zu gewinnen. Diese Ansicht wird allerdings auch von namhaften asiatischen Experten bezweifelt, haben doch die Militärs und Hauptpartner aller Joint‑ventures bislang keine grösseren Wirtschaftsreformen eingeleitet. So haben sich die von einer Hong Kong‑Gruppe zusammen mit dem SLORC‑eigenen Hotels&Tourism Services unternommenen Renovationsarbeiten am historisch bedeutenden Strand Hotel über fast drei Jahre hingezogen und das Budget um das Doppelte überzogen, bis die Investoren die Geduld verloren. Mit Übernachtungspreisen zwischen 250 und 700 US‑Dollar pro Zimmer ohne weitere Dienstleistungen einer solchen Preiskategorie liegt die Besetzungsrate des Hotels heute sogar in der Hochsaison unter 30 Prozent. Von einer quasi automatischen Verbesserung der politischen Lage kann überhaupt keine Rede sein. Die vom SLORC angeleierten Gespräche mit der Oppositionsführerin und Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyl, die seit nunmehr bald fünf Jahren unter Hausarrest steht, müssen als reiner Fassadenkleister erachtet werden, solange die Militärjunta den Vernichtungskrieg gegen Oppositionelle und ethnische Minderheiten im Lande mit dieser unverminderten Härte weiterführt, wie die jüngste Offensive vor Weihnachten wieder gezeigt hat.
Zwangsarbeit für Tourismusprojekte
Der burmesische «Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung» SLORC rekrutiert Jahr für Jahr Zehntausende von Männern, Frauen und Kindern zur Zwangsarbeit im Rahmen ihres Konzeptes von «self reliance» (Selbstversorung). Unter dem nicht minder zynischen Vorwand, Einkommen in ländlichen Gegenden zu schaffen, wird vor allem in abgelegenen Regionen die Bevölkerung zu äusserst mühseligen Trägerdiensten für militärische Operationen abkommandiert ‑ laut Menschenrechtsorganisationen ein probates Mittel, um politischen Widerstand von ethnischen Minderheiten zu brechen. Zur Verbesserung der Transportwege ‑ auch im Hinblick auf das Tourismusjahr ‑ wurden im vergangenen Frühling zwischen 120’000 und 150’000 ZwangsarbeiterInnen beim Eisenbahnbau im Süden des Landes eingesetzt. Ebenso wird die neue Strasse zwischen Rangun und Pegu, beides Städte, die von TouristInnen besucht werden dürfen, zur Zeit praktisch von Hand gebaut. Zur Touristenattraktion für das «Visit Myanmar Year» herausgeputzt wird auch das historische Zentrum von Mandalay. 20’000 BewohnerInnen der Stadt und des Umlandes wurden von den Militärs zwangsrekrutiert, um von Hand den Burggraben um den Mandalay Palace zu säubern. Ausgenommen von der Fron waren Militärangehörige und begüterte Familien, die sich freikaufen konnten. Erstmals seit dem Militärputsch von 1988 stiess jedoch ein Vorhaben des SLORC auf öffentlichen Protest seitens der Betroffenen, die sich trotz der Risiken zunehmend weigerten, ohne Gegenleistung stundenlang in der feuchten Hitze den stinkenden Schlamm auszubuddeln ‑ eine Arbeit, die leichtens und viel effizienter, aber nicht gratis mit Maschinen verrichtet werden könnte. Im vergangenen August wurden dann 2000 Gefangene für die Renovations‑ und Säuberungsarbeiten eingesetzt, darunter politische Gefangene wie Mönche und viele Minderjährige. Augenzeugen berichteten, dass sie auch während der Arbeit aneinandergekettet blieben und die Ketten an Hand‑ und Fussgelenken tiefe Wunden hinterliessen. Burmareisende werden künftig wohl nicht mehr um die Frage herumkommen, wie sie ihren Urlaub geniessen können angesichts der Opfer, welche die Bereitstellung touristischer Infrastrukturen und Sehenswürdigkeiten in der Bevölkerung gekostet hat.
Burmas Oppositionelle rufen zu einer internationalen Kampagne auf
Angesichts der Vorbereitungen zum Tourismusjahr rufen ins Ausland geflüchtete burmesische Oppositionelle sowie Solidaritätsgruppen aus Thailand und Japan die internationale Gemeinschaft auf, mehr Druck auf die illegale Junta in Rangun auszuüben und von einer Zusammenarbeit mit den Militärs abzusehen, da sich das «konstruktive Engagement» als Illusion erwiesen habe. Reisende, die einen Aufenthalt in Burma ins Auge fassen, werden aufgefordert, nicht einfach den bunten Prospekten der SLORC‑Tourismuswerbung Magic Production Company zu folgen, sondern sich über die Realitäten im Land zu informieren und zu bedenken, dass jede und jeder Burmareisende den machthabenden Militärs Einnahmen verschafft, ihre Position stärkt und ihr angeschlagenes Image aufpolieren hilft.
NZZ 28.12./ 23.12.94; Südasien 4/94; Burma Issues November/October 94; Contours November 94; Weltwoche 10.11.94; The Nation Bangkok 4.11./2.11./20.9./19.8.94; Bangkok Post 2.11./1.9.94; Dawn Newsbulletin Autumn 94; New York Times 17.11.94; DPA‑Meldung 25.5.94/cp