Basel, 29.04.2008, akte/ Stellen Sie sich vor, Sie dürfen nach 18 Jahren gewaltsamer Repression endlich wieder an der Urne über die künftigen Geschicke Ihres Landes – über die neue Verfassung Ihres Landes – abstimmen. Sie gehen vorzeitig zum Abstimmungslokal, weil Sie am Wahltag nicht anwesend sein können, und erfahren dort, dass Sie bereits Ihre „Ja“-Stimme zur Verfassung eingelegt haben. So geschah es einer Lehrerin des Magwe Quartier in Salin, wie am 25. April 2008 ein Lokalkorrespondent der Nachrichtenredaktion Democratic Voice of Burma (DVB) berichtete. Die anwesenden Beamten versicherten ihr, sie solle sich keine Sorgen machen, man hätte bereits für ihre Wahlbeteiligung vom 10. Mai 2008 gesorgt.
Demokratie nach dem Gusto der Generäle
Im Februar 2008 überraschten die burmesischen Militärmachthaber die internationale Öffentlichkeit mit der Ankündigung, dass noch im laufenden Jahr ein Volksreferendum zum neuen Verfassungsentwurf abgehalten werden soll – dies als entscheidender Meilenstein auf der „Road Map“ zur Demokratie, welche demokratische Wahlen im 2010 vorsieht. Am 10. April liess das Staatsfernsehen in zwei knappen Sätzen verlauten, das Verfassungsreferendum sei auf den 10. Mai festgesetzt – eine dürre Ankündigung für das historische Ereignis, dass nämlich das burmesische Volk nach 18 Jahren erstmals wieder demokratisches Abstimmungsrecht wahrnehmen darf. Gleichzeitig wurde der 194-seitige Verfassungsentwurf „veröffentlicht“. Das heisst: Eine Handvoll Kopien davon wurden in Regierungsbuchhandlungen zum Kauf angeboten. Noch immer herrscht Unklarheit über Wahlorte und -prozedere. Klar machte hingegen die Junta bereits im Februar mit einem neuen Gesetz, dass alle, die in Reden oder Flugblättern gegen das Referendumsverfahren protestierten, mit mehrjährigen Haftstrafen und hohen Geldstrafen zu rechnen hätten. Und wer nicht abstimmen darf, nämlich „Mönche, Nonnen, hochrangige christliche und hinduistische Würdenträger, geistig Behinderte, Staatsangehörige im Exil, Schwerverbrecher und Ausländer“. Der islamische Klerus, so meinte ein kritischer Beobachter gegenüber Associated Press, sei nicht aufgelistet; vielleicht wäre er einfach vergessen worden, aber nun offenbar an der Urne zugelassen. Präzisiert haben die Behörden kurz darauf, dass burmesische Staatsangehörige, die mit Ausländern verheiratet sind, ebenfalls von der Abstimmung ausgeschlossen werden. Diese Massnahme visiert insbesondere die Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die mit einem Engländer verheiratet war und – seit bald 12 Jahren von den Militärs unter Hausarrest gehalten –nicht einmal zur Beerdigung ihres Gatten nach England reisen konnte.
Lieber „Vote No“ statt „No Vote“
Das Volk – sofern nicht bereits arbiträr von der Teilnahme am Referendum ausgeschlossen – soll nun zwar Demokratie üben, es hat aber eigentlich keine Wahl für die Demokratie. Denn zur Abstimmung liegt ein Verfassungsentwurf vor, der während 14 Jahren von einer von der Militärjunta handverlesenen Verfassungsbehörde erstellt worden war – ohne Beteiligung der demokratischen Kräfte, die in der letzten Volkswahl von 1990 einen haushohen Sieg davon getragen hatten, aber nie zur Regierung zugelassen wurden, und ohne angemessene Vertretung der verschiedenen ethnischen Minderheiten des Landes. Kritik am Verfassungsprozess wurde mit bis zu 20 Jahren Gefängnis bestraft. Mit der neuen Verfassung will die Militärjunta jetzt ihre Macht nicht nur erhalten, sondern legitimieren, indem sie zum Beispiel 25 Prozent der Abgeordneten in beiden Kammern des künftigen nationalen Parlaments sowie verschiedene Schlüssel-Ministerien, unter anderem das Verteidigungsministerium, direkt berufen kann. Das verunmöglicht von vorneherein, Reformen durchzusetzen, die den Militärs nicht genehm wären. Dennoch bietet das Referendum eine Gelegenheit – so die Parole der Mehrheit der Oppositionsbewegungen und Vertretungen der ethnischen Minderheiten im Lande und im Exil – zumindest den Generälen auf demokratischem Weg eine Abfuhr zu erteilen. Deshalb rufen sie nicht zum Boykott der Wahlen auf, sondern zu einem massiven „Nein“ zur neuen Verfassung an der Urne.
Verfassungsreferendum unter massiver Einschüchterung und Zensur
Ob das Resultat des Volksreferendums vom 10. Mai jemals die „Nein“-Stimmen zur Verfassung und damit zur Politik der Generäle wiederspiegeln wird, steht auf einem anderen Blatt. Die Militärmachthaber haben kategorisch jegliche internationale Wahlbeobachtung abgelehnt und die internationale Gemeinschaft – UNO, USA, EU, welche die Wahlbeobachtung angeboten haben – hat einmal mehr kleinlaut beigegeben. Derweil berichten lokale Korrespondenten täglich von massiver Einschüchterung und Repression im Vorfeld der Wahlen: Staatsbeamte und Fabrikarbeiter werden im ganzen Lande unter Druck gesetzt, dem Referendum zuzustimmen oder ihren Job zu verlieren. Mitte April wurden 60 Menschen in Sittwe verhaftet, bloss weil sie während den Neujahrsfeierlichkeiten T-Shirts mit dem Aufdruck „No“ trugen; 20 von ihnen sind noch immer in Haft. Sogar aus dem entlegenen Bundesstaat Arakan sind Meldungen durchgedrungen, wonach Kampagnenhelfer inhaftiert und gefoltert worden sind. Die Oppositionspartei National League for Democracy (NLD) hat in den letzten Wochen mehrmals an die machthabenden Militärs appelliert, die jugendlichen Wahlhelfer der „Nein“-Kampagne zum Referendum sofort wieder freizulassen. Reporter ohne Grenzen und der Burmesische Medienverband protestierten ihrerseits harsch gegen das Vorgehen der Militärs, im Vorfeld von demokratischen Wahlen keine freie Meinungsäusserung und Berichterstattung von Medienschaffenden zuzulassen, das Internet zu zensurieren und Journalisten unter prekärsten Bedingungen im berüchtigten Insein-Gefängnis nahe von Rangoon festzuhalten. Offenbar reicht es schon, auf der Strasse einen Witz über das Referendum zu machen, um in Haft gesetzt zu werden – dies widerfuhr Anfang März drei Geschäftsleuten, die sich in Rangoon auf der Strasse getroffen hatten. Mitte April hat die Militärregierung auch ausländische Botschaften in Burma ausdrücklich davor gewarnt, sich öffentlich in die inneren Angelegenheiten von Myanmar, wie sie Burma nennen, einzumischen. Die Situation in Burma hat sich nochmals deutlich zugespitzt.
Die Verzweiflung wächst
Vorsichtigen Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zufolge werden in Burma derzeit etwa 1’850 Gefangene aus politischen Gründen unter menschenrechtswidrigsten Bedingungen in Haft gehalten, darunter mindestens 700 Menschen, die im Zusammenhang mit den Protestkundgebungen vom letzten Herbst verhaftet worden sind. Vor dem Verfassungsreferendum kommen jetzt täglich neue hinzu. Entgegen allen völkerrechtlichen Abkommen, die Burma unterzeichnet hat, werden sie gefoltert, und ihre medizinische Versorgung ist keineswegs gewährleistet. Der Oppositionsführer Min Ko Naing, der im August 2007 verhaftet wurde, droht aufgrund mangelnder Behandlung einer Augeninfektion jetzt im Insein-Gefängnis zu erblinden.
Am 17. April ist Kyaw Zin Naing gestorben – an seinen Verbrennungen, die er sich am 21. März zugefügt hat, als er sich in einer Protestaktion vor den Augen von Tausenden von Pilgern vor der Shwedagon Pagoda in Rangoon in Flammen gesteckt hat. An dem Ort, wo im vergangenen September im Zug der gewaltsamen Niederschlagung der „Safran-Revolution“ mindestens 31 Menschen getötet und Tausende friedlich Protestierende verhaftet worden waren.
Quellen: Democratic Voice of Burma (DVB) 25.04.2008; AFP 24.04.2008; The Irrawaddy 23.04.2008; AFP 23.04.2008; AP 15.04.2008; AFP 09.04.2008; Reuters 05.04.2008; Euro-Burma Briefing Paper 17.03.2008; The Irrawaddy 03.03.2008; AP 26.02.2008; Reporters sans frontières 12.02.2008; AFP 09.02.2008; http://dvb.no; www.euro-burma.eu; www.irrawaddy.org