"Tiefe Furchen prägen die sandige Landstrasse, die nach Gurku führt. Auf ihr sind schon viele Menschen in ein neues Zuhause gelangt; auf Motorrädern, die geschickt um die Gräben herumschlängeln, zu Fuss am Strassenrand entlang, dort, wo bereits die Erdnussfelder beginnen, auf den Rückbänken von Autos, aneinandergedrängt, Hand in Hand, die Augen voller Erwartungen. Tiefe Furchen prägen die Gesichter der Menschen. Ein Leben von Haus- und Feldarbeit, von Freude und von Erleichterung, von grosser Sorge und Trauer hat sie gegraben." So beginnt der Projektbeschrieb des Theaterensembles Johannes für den Swiss Photo Award 2018. Im Juni 2017 teilten Jonathan Liechti und Noemi Harnickell während vier Wochen den Alltag des nigerianischen Flüchtlingsdorfs Gurku. Daraus entstand das Buch By God’s Grace – Ein nigerianisches Flüchtlingsdorf im Porträt. Hintergrund der Reise ist eine Partnerschaft des Theaterensembles Johannes in Bern – dem Jonathan Liechti, Journalist und Regionalkoordinator Mission 21 Bern, ebenfalls angehört – und der Geschwisterkirche EYN in Nigeria.
Markus Gamache ist Angestellter der Kirche für Geschwister EYN, einer der grössten evangelischen Kirchen in Nigeria. 2009, als die Gewalt der Terrorsekte Boko Haram im Norden Nigerias erstmals eskalierte, gründete er die Organisation "Lifeline Compassionate Globale Initiative", die sich für die Versöhnung zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen einsetzt. Gamache und seine Frau beherbergten zeitweise bis zu sechzig Menschen unterschiedlichen Glaubens, die sich bei ihnen vor der Gewalt in Sicherheit brachten. 2014 fand er in Gurku, gut 40 Kilometer ausserhalb der nigerianischen Hauptstadt Abuja, ein Stück Land, das er günstig erwerben konnte. Mit Hilfe des evangelischen Missionswerks Mission 21 in Basel und dem deutschen Verein Widows Care konnten die Geflüchteten in Gurku Land roden, Häuser bauen und Nahrungsmittel für den Eigenbedarf anpflanzen. Heute leben über Tausend Menschen in Gurku, davon etwa zehn Prozent Muslime und der Rest ChristInnen.

Zweiter Platz bei den Swiss Photo Awards 2018

Im Norden Nigerias wird die Bevölkerung seit 2004 Jahren von der Sekte Boko Haram mit Attentaten, Überfällen und Massakern terrorisiert. Deren Gründer Mohammed Yusuf kritisierte den "unislamischen" Lebensstil, den der britische Kolonialismus und die Gründung des Nationalstaats Nigeria den Menschen aufgezwungen hätten, und setzte sich für die Wiedereinführung der Scharia in ganz Nigeria und das Verbot westlicher Bildung ein. Anfangs griffen die Boko Haram-Milizen vor allem Polizeistationen an. Doch Boko Haram wurde nach der Tötung von Yusuf immer professioneller und immer gewalttätiger. Im Westen bekannt wurde die Boko Haram insbesondere durch die Entführung der 276 Schülerinnen 2014, von denen bislang erst 113 befreit wurden.
An der Preisverleihung für die besten Schweizer Pressefotos 2018 vom 25. April gewann Jonathan Liechti für die wunderbaren Aufnahmen der DorfbewohnerInnen in Gurku den zweiten Platz in der Kategorie Porträts. Die Charakterbilder werden mit den lebendigen Schilderungen von Noemi Harnickell animiert. In ihrem Feature zu Gurku wechseln sich die Beschreibung von Dorfszenen, die alle Sinne anspricht, mit Hintergrundinformationen über die Boko Haram und die Entwicklung Gurkus ab. Dadurch werden die LeserInnen – wenn auch unter der Anleitung von Aussenstehenden – mitten ins Dorf geführt. Sie erhalten mit "By God’s Grace" einen vielperspektivischen Eindruck, wie sich Flucht und Neuaufbau, Angst, Wut und Versöhnung für die Betroffenen anfühlen mag, und was der couragierte Einsatz eines Kirchenmitarbeiters bewirken kann.
Noemie Harnickell (Text), Jonathan Liechti (Bild):  "By God’s Grace" – Ein nigerianisches Flüchtlingsdorf im Portrait. Theaterensemble Johannes, Bern 2017, 106 Seiten, CHF 25.00. Bezug über Theaterensemble Bern, Wylerstrasse 5, 3014 Bern, theaterensemble.ch