Noch am letzten Verhandlungstag war ein zweites Desaster à la Kopenhagen nicht auszuschliessen. Dies erklärt den Jubel unter den ermatteten Delegationen im "Moon Palace", als das "Cancun Agreement" als angenommen erklärt wurde. Auch die euphorischen Kommentare, die sogar den Begriff "historisches Abkommen" bemühten, sind so zu erklären. Realistischer dürfte die nüchterne Einschätzung des Umweltministers von Grenada sein: "We can say, we have left Cancun with something workable". Dies erst recht, als  das "Cancun Agreement" rechtlich nicht bindend ist.

Gestärkter Uno-Prozess
Auch wenn mit dem "Cancun Agreement" der Klimawandel nicht aufgehalten werden kann, hat Cancun Positives hervorgebracht. Für die Entwicklungsländer besonders wichtig ist,  dass der Verhandlungsprozess deblockiert werden konnte und im Rahmen der Uno gestärkt weiter geht. Der mexikanischen Aussenministerin Patricia Espinosa ist es gelungen,  mit Offenheit, Kompetenz und Fingerspitzengefühl wieder ein Klima des gegenseitigen Vertrauens aufzubauen. Die Uno hält  nach Cancun das Klimapolitik-Heft fester in den Händen als zuvor. Cancún hat den Muliltateralismus gerettet – das ist für den Klimaschutz entscheidend. Die Stimmen dürften leiser werden, welche die Klimaverhandlungen gerne in die G-20 und damit weg von den Entwicklungsländern transferiert hätten.

2-Grad-Grenze akzeptiert
Positiv ist weiter, dass sich im verabschiedeten Papier  zur Klimakonvention erstmals alle Uno-Staaten zum Zwei-Grad-Ziel bekannten, weil nur so das Schlimmste verhindert werden kann. Das Papier verweist dabei ausdrücklich auf den jüngsten Bericht des Weltklimarates (IPCC). Gleichzeitig nimmt ein zweites Dokument, das für die Kyoto-Staaten gilt, Bezug auf die Berechnungen des IPCC, wonach die Industrieländer ihren CO2– Ausstoss bis 2020 um 25 bis 40 Prozent reduzieren sollten.  Damit ist die "Treibhausgaslücke" offen gelegt, denn mit den bisherigen  Selbstverpflichtungen der Industriestaaten wird sich die Erde um 3 bis 4 Grad erwärmen. Das „Cancún Abkommen“ hält zudem fest, dass im Zeitraum 2013 bis 2015 geprüft werden muss, ob nicht sogar eine 1.5-Grad-Beschränkung die richtige Zielgrösse wäre. Dies war vor allem eine Forderung der bedrohten Insel- und der Andenstaaten.

Finanzen – weiterhin ein Schwachpunkt
"Geld ist eines der Schlüsselthemen bei den gegenwärtigen internationalen Klimaverhandlungen", schrieb das Bundesamt für Umwelt vor Cancún in einer Medienmitteilung. In der Tat, den Entwicklungsländern fehlt das dringend benötige Geld für Anpassungsmassnahmen an den Klimawandel und für die Umstellung auf eine emissionsarme Entwicklung.

In Kopenhagen sicherten die Industriestaaten dem Süden eine Anschubfinanzierung von 30 Milliarden US-Dollar für 2010 bis 2012 zu. Zudem stellten sie ihnen ab 2020 eine Langfristfinanzierung von jährlich 100 Milliarden US-Dollar in Aussicht. Dabei handle es sich um neue und zusätzliche Gelder , so der "Copenhagen Accord". Woher diese kommen sollen, legte er  nicht fest, sondern nur, dass ein neuer Klimafonds eingerichtet werden soll. Bis heute sind neue Gelder allerdings nur spärlich geflossen, meist wurden alte Zusagen aus der Entwicklungszusammenarbeit zu Klimageldern umetikettiert.

Daran hat Cancún nichts geändert. Die Beschlüsse sind praktisch Kopien von Kopenhagen. Die Anschubfinanzierung von 30 Milliarden für 2010 bis 12 wurde zur Kenntnis genommen. Bekräftigt  wurde die Etablierung eines "Green Climate Fund" zur Finanzierung  von Anpassungsmassnahmen und dass  ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar fliessen sollen. Die Staaten haben jedoch auch in Mexiko keine Antwort darauf gegeben, woher das Geld stammen soll. Davon aber hängt ab, ob das neue Instrument je funktionieren wird. Konkrete Finanzquellen müssen rasch gefunden werden. Der Disput um eine zukünftige Steuer auf Flug- und Schiffsbenzin geht in die nächste Runde.
 
Kyoto-Protokoll in der Schwebe
Ausgerechnet Japan, das Heimatland des Kyoto-Protokolls, stemmte sich vehement gegen eine zweite Verpflichtungsperiode des Protokolls, das im Jahre 2012 ausläuft. Wie es mit den Reduktionsverpflichtungen der Industriestaaten danach weitergeht, wurde nicht entschieden, der Streit darüber verschoben. Japan sowie Kanada und Russland, die sich ebenfalls gegen eine Verlängerung wehrten, konnten so im Verhandlungsboot behalten werden.

Selbst wenn es nächstes Jahr zu einer Lösung kommen sollte, dürfte nun  zwischen dem Ablauf  der ersten Periode und dem Inkrafttreten eines allfälligen Folge-Abkommens eine rechtliche Lücke entstehen. Das könnte nicht zuletzt für die Entwicklungsländer fatale finanzielle Folgen haben. Denn wenn das Kyoto-Protokoll ausläuft, verlieren auch seine marktwirtschaftlichen Instrumente (Emissionshandel und die Mechanismen für saubere Entwicklung CDM) ihre rechtliche Grundlage. Der Adaptionsfonds für Entwicklungsländer wird u.a. aus dem Verkauf von solchen Emissionszertifikaten gespiesen.

Nicht entschieden wurde auch die Frage, wie die Verpflichtungen für die Länder aussehen sollen, die dem Kyoto-Protokoll nicht angehören. Hier geht es vor allem um die grossen CO2-Ausstosser USA und China, die weiterhin auf Freiwilligkeit setzen können.

Hausaufgaben – auch für die Schweiz
Bundespräsidentin Doris Leuthard hat in ihrer Rede in Cancún alle Staaten aufgefordert, ihre nationalen Klimaschutzanstrengungen zu verstärken. Nichtstun komme teurer zu stehen als jetzt handeln, so die neue Umweltministerin. Das verabschiedete Kyoto-Papier fordert die Industrieländer auf, ihre präsentierten Klimaschutzziele nachzubessern. Für die Schweiz kann dies nur heissen: das bisherige, magere Reduktionsziel von 20 Prozent bis 2020 muss auf 30 Prozent erhöht werden. Das wäre nicht einmal besonders ambitioniert, damit würde nur die für die Industriestaaten gemachten Vorgaben von 25-40 Prozent einigermassen erfüllt. Wir fordern Bundesrat und Parlament auf, in der laufenden Revision des CO2-Gesetzes diese Hausaufgabe zu lösen. Die Schweiz kann so den umliegenden EU-Ländern einen Schritt voraus gehen, statt immer hinterher zu laufen. Nur wenn  Europa wieder eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnimmt, hat ein verbindliches Klimaschutzabkommen nächstes Jahr eine Chance.

Bis Südafrika braucht es harte Arbeit
Cancún ist zum Erfolg geworden, weil es vieles offen gelassen hat. Die mexikanische Aussenministerin Patricia Espinosa hat die Zustimmung der Staaten erreicht, weil sie Klimafonds, Waldschutz und Zwei-Grad-Ziel benannt, aber nicht konkret ausgestaltet hat. Und weil sie das wichtigste Instrument, die konkreten CO2-Einsparziele, aus dem Schlussdokument gestrichen hat. Diese Aufgabe muss bis zur nächsten Konferenz vordringlich gelöst werden.

"Ihr redet schon mein ganzes Leben lang" stand in Cancun auf den T-Shirts einer Jugend-NGO, "sagt nicht, dass ihr mehr Zeit braucht". Tatsächlich, seit 18 Jahren verhandelt die Staatengemeinschaft über einen globalen Klimaschutz: Rio – Kyoto – Bali – Kopenhagen – Cancun. In dieser Zeit hat sich der Klimawandel beschleunigt Die Folgen treffen immer mehr Menschen immer häufiger und heftiger.

Jetzt wandern die Hoffnungen von der Karibik an den Indischen Ozean. Im südafrikanischen Durban soll nächstes Jahr endlich das völkerrechtlich verbindliche Abkommen verabschiedet werden, das die Welt so dringend braucht. Ein Klimaschutzvertrag, der den Jugendlichen in Nord und Süd ihre Zukunft rettet. Wer rechtzeitig ankommen will in Durban, muss sich unverzüglich an die Arbeit und auf den Weg machen. Es gibt viele Hindernisse zu überwinden und der Gegenwind ist nicht zu unterschätzen. Schon gibt es nämlich Blockierer, die  auf 2012 blicken,  zur Uno-Konferenz  „Rio + 20“.  Es sei dann immer noch früh genug für ein neues Klimaabkommen, sagen sie. Die Karawane kann weiter ziehen …
Dieser Beitrag wurde auf www.alliancesud.ch am 14.12.2010 publiziert. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung