Es legen täglich viele Riesenschiffe in Marseille an, Frachtschiffe ebenso wie Kreuzfahrtschiffe. So auch die Azur im März letzten Jahres. Das 300 Meter lange Schiff fährt seit acht Jahren auf See und gehört P & O Ferres, einer Tochterfirma des Kreuzfahrtriesen Carnival Cruises. Die Azur bietet Platz für bis zu 3’000 Passagiere.

Dieses Mal aber ist es anders: Die Azur wird von Vertretern des Ship Safety Centres überprüft, einer Abteilung der Interregionalen Direktion für das Mittelmeer. Dabei wird eine Probe des Heizöls an Bord genommen und ins Labor geschickt. Die Ergebnisse belegen: Mit 1.68 Prozent liegt der Schwefelgehalt des Kraftstoffs der Azur weit über dem gesetzlichen Grenzwert. Seit 2015 liegt dieser Grenzwert für Schiffe weit ab der Küste bei 1.5 Prozent, in Küstennähe bei 0.1 Prozent.

Noch während die Probe in den Labors untersucht wird, versucht der Kapitän mit der Azur zu entwischen. Doch die Behörden holen das Schiff bei einem Zwischenstopp in Toulon ein und verhaften den Kapitän. Er gibt zu, einen Kraftstoff verwendet zu haben, der "nicht der maximalen regulatorischen Schwefelkonzentration entspricht".

Absicht oder Verwechslung?

Bei der Anhörung vor Gericht diese Woche wird von Interesse gewesen sein, ob der schmutzige Treibstoff absichtlich eingesetzt wurde, oder ob es sich um eine Verwechslung handelt. Für die Umweltschutzorganisation France Nature Environnement/Provence-Alpes-Côte d’Azur (FNE PACA) ist die Sache klar: "Kreuzfahrtreeder kennen die Gesetzgebung perfekt, in diesem Fall haben sie dies aus reinem wirtschaftlichen Interesse getan", sagte Maroussia Berrezaie, Mitglied der FNE Paca, gegenüber der AFP. "Es ist billiger, Kraftstoff ohne oder mit geringer Verfeinerung zu erhalten." Deshalb hat die FNE PACA beschlossen, selbst Zivilklage einzureichen. Auch die Staatsanwaltschaft geht von Absicht aus und fordert 100’000 Euro Strafe von Carnival – was eine juristische Premiere wäre. Bislang musste noch nie eine Reederei eine zu hohen Schadstoffausstoss vor Gericht verantworten, obwohl Pannen relativ häufig passieren, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet. 

Der Anwalt der Firma Carnival als Besitzerin der Azur wollte gegenüber der Presse keine Aussagen machen. Er kritisierte lediglich die Vorverurteilung des Kapitäns in der Presse. Er werde auf Freispruch plädieren. Es wird in der Tat nicht ganz einfach sein, dem Kapitän die Vorsätzlichkeit zu beweisen. Jean-François Suhas, Präsident des Club de la Croisière Marseille Provence findet die Frage nach der Absicht nicht einfach zu beantworten. Die Ersparnis ist bei 1.68 Prozent gegenüber 1.5 Prozent zu klein. Üblicherweise würden sich die Liner mit Kraftstoffen von 1.35-1.4 Prozent Schwefelgehalt versorgen, damit sie im Falle einer Kontrolle einen Spielraum hätten. Der Fehler könnte seiner Meinung nach ebenso beim Kraftstofflieferanten liegen. Fragt sich bloss, warum dann der Kapitän nach der Kontrolle den schnellen Abgang versuchte.

Reeder wissen, was sie tun und müssen haften

Berrezaie erhofft sich vom Prozess ein starkes Signal gegen ein Gefühl der Straflosigkeit, das er in der Branche wahrnimmt: "Die Reeder wissen, dass es sehr schwierig ist, diese Straftaten zu identifizieren und zu verfolgen." Eine Verurteilung würde auch die Öffentlichkeit für das Gesundheitsproblem sensibilisieren, das die Fracht- und die Kreuzfahrtschiffe darstellen. Marseille will dieses Jahr zum Viertgrössten Kreuzfahrthafen werden und bis 2020 zwei Millionen Kreuzfahrtgäste abwickeln. Doch bereits formiert sich Widerstand. Der Verein Cap au Nord, der die Bewohner zweier besonders belasteter Stadtbezirke vertritt, informierte letztes Jahr den damaligen Umweltminister über die schweren gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung durch Fracht- und Kreuzfahrtschiffe, denen sie ausgesetzt sind. Jean-Pierre Eyraud, Mitglied von Cap au Nord, berichtet (siehe Video unten): "Ein Drittel meiner Kollegen ist an Krebs erkrankt. Einige konnten geheilt werden, andere sind gestorben."