Christine Keitz: Reisen als Leitbild
Mit diesem Buch über die Anfänge des modernen Massentourismus schliesst die Historikerin Christine Keitz eine wichtige Lücke in der Erforschung der Sozialgeschichte des Tourismus in Deutschland. Reisen zum Selbstzweck, zum Vergnügen, zur Erholung, zur persönlichen Bildung sind ein relativ junges Phänomen der westlichen Kultur. Die Weichen des modernen Massentourismus wurden in Deutschland in den zwanziger Jahren gestellt; die Zeit der Weimarer Republik bildet denn auch den Schwerpunkt der vorliegenden Sozialgeschichte. Mit der Einführung bezahlter Ferien und dem Ausbau der Transporte und Fremdenverkehrsinfrastrukturen wandelte sich die Reise allmählich vom Luxusgut privilegierter Schichten der Bevölkerung zum Massenkonsumgut, mehrheitlich erst für Angestellte und Beamte, dann auch für ArbeiterInnen. Diese Entwicklung zeichnet die Autorin vom Aufbruch in der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegsjahre bis etwa 1960 nach, als das Reisen für die Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands zum festen Bestandteil der alltäglichen Lebensführung – "zum Leitbild des modernen Lebensstils" – wurde. Tourismusgeschichte als Geschichte des sozialen Wandels beschrieben, das macht das vorliegende Buch spannend. Die gut dokumentierten Analysen über die Entwicklung der Reiseformen, -orte und -branche werden immer wieder aufgelockert mit authentischen Reiseberichten, die auch die feinen Unterschiede zwischen Arbeiterurlaub, einer "Kraft-durch-Freude"-Reise im "Dritten Reich" und den Badeferien des Berliner Bäckermeister-Ehepaars im sonnigen Süden der sechziger Jahre illustriert.
dtv 1997, 368 Seiten, Fr. 24.50, DM 29.80, ISBN 3-423-30626-2