Christoph Henning: Wilde Wege, stille Dörfer. Wanderungen in den Abruzzen
Wer definitiv genug hat von den in allen Farben der Freizeitkleidung leuchtenden Trampelpfaden, den lädt Christoph Hennig zum Wandern in die Abruzzen ein: Im Herzen Italiens gelegen und dennoch weitab vom touristischen Rummel um Kulturdenkmäler und hippen Gastro- und Einkaufsmeilen erstreckt sich das Bergmassiv der Abruzzen von den Toren der Hauptstadt Rom nach Nordosten hinauf bis an die Adria. Lange Sandstrände gehören ebenso dazu wie sanfte Hügellandschaften, die im Frühling mit Blumenteppichen bedeckt sind, malerische Dörfer, aber auch zerklüftete Schluchten und karges Hochgebirge, das im Gran Sasso d’Italia auf fast 3’000 Meter Höhe ansteigt. Weitgehend unbekannt und bis vor kurzem schlecht erschlossen, sind die Abruzzen heute auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar, von Rom aus in weniger als zwei Stunden.
Das ist der Ausgangspunkt für Hennig, erprobter Führer von Wander- und Kulturreisen und Autor von Wanderbüchern über die Toskana sowie Cinque Terre, aber auch des tourimustheoretischen Essais„Reiselust“. Je nach Saison, verfügbarer Zeit und Leistungsanforderungen schlägt Hennig verschiedene attraktive Touren vor und beschreibt die Tagesetappen akribisch, was aufgrund fehlender genauer Karten hilfreich ist. Zuweilen mögen die in „ich-Form“ gehaltenen Erklärungen im Stil von „Ich biege bei dem grossen Stein rechts ab und halte mich an einen alten Hirtenpfad…“ etwas seltsam anmuten. Doch geben sie Aufschluss von einem, der die Routen profund erkundet hat, ebenso wie die Unterkünfte, Ristoranti und Trattorie entlang des Weges. Davon zeugen die teils mit Verve vorgebrachten Tipps für ausgesuchte Leckerbissen oder auch für „sensible Gäste“, die im Hotel xy „ein Schleiflacktrauma erleiden“ könnten.
Interessant wie in allen Wanderführern des Rotpunktverlags sind auch hier die „Ausflüge“ – die kleinen Zwischenkapitel mit Hintergrundinformationen zur Geschichte der Emigration etwa oder der Schafzucht, der Hirten und den Bären, zu Schriftstellern wie Ignazio Silone, der aus den Abruzzen stammt, oder Gabriele D’Annunzio, Conrad Escher oder Joseph Beuys, die ihre Spuren in den Abruzzen hinterlassen haben, oder zu Kämpfen für einen umweltnahen, sozialverträglichen Tourismus. Da lernt man auch, wie die Abruzzen von der unwegsamen Abgeschiedenheit heraus in kürzester Zeit den Sprung in die globalisierte Welt wagten mit neuen hochtechnologisierten Firmen und einem Netz an Zuliefern aus Klein- und Mittelbetrieben. Kein Zweifel: Christoph Hennigs neuer Wanderführer macht Lust, die Abbruzzen besser kennen zu lernen und dafür zu Fuss zu erkunden.
Christoph Hennig: Wilde Wege, stille Dörfer. Wanderungen in den Abruzzen
Rotpunktverlag Zürich 2007, 337 Seiten. SFr. 45.-, Euro 28.-, ISBN 978-3-85869-346-4