Community Based Tourism (Gemeindetourismus) als Element einer zukunftsfähigen Tourismusentwicklung: Marktchancen und Risiken
Unter Community Based Tourism (CBT) oder Gemeindetourismus wird vieles verstanden. In diesem Beitrag meint CBT den Urlaub in kleinen Gemeinschaften, oft in abgelegenen und vom Massentourismus unberührten Gegenden, mit dem Ziel einer möglichst grossen Wertschöpfung für die Lokalbevölkerung bei gleichzeitig bestmöglichem Schutz der natürlichen Umwelt. In diesem Beitrag analysiert Peter Aderhold* Zahlen aus der deutsche Reiseanalyse 2011, die aufzeigen, dass es ein grosses Interesse und ein erhebliches Marktpotenzial für diese Urlaubsform gibt. Dass CBT von den Reiseveranstaltern weitgehend unbeachtet bleibt, liegt unter anderem daran, dass ihnen diese Urlaubsform zu wenig Gewinn verspricht – weil die Wertschöpfung eben lokal erfolgt. Unter welchen Bedingungen der CBT ein Instrument zur Armutsverminderung sein kann und welche Rolle dabei die Entwicklungszusammenarbeit oder die Privatwirtschaft spielen sollen, muss noch geklärt werden. Welche Rolle die Gemeinschaften bei dieser Entwicklung spielen wollen, haben Gemeinden mit eigener CBT-Erfahrung hingegen schon genau ausformuliert.
Community Based Tourism (CBT) – hier verstanden als Urlaub in kleineren, abseits und unberührt vom (Massen-)Tourismus gelegenen Gemeinschaften, mit dem Ziel, mit der einheimischen Bevölkerung in engeren Kontakt zu kommen und deren Leben, Kultur und Umwelt kennenzulernen – kann als wichtiges Element einer Strategie für eine nachhaltige Tourismusentwicklung angesehen werden, für die es ein grosses Interesse-Potenzial gibt. Es kann eine Form des Tourismus sein, die vor allem für Regionen geeignet ist, die vom Tourismus noch unberührt sind und langsam – und vorsichtig – entwickelt werden sollen.
Community Based Tourism (CBT) ist eine Möglichkeit, Urlaub in einem Land zu machen und es kennen zu lernen, die kaum oder nur einer sehr kleinen Anzahl von Menschen bekannt ist.
Aus diesem Grunde ist für den deutschen Markt, einem der grössten und am meisten entwickelten Urlaubsmärkte der Welt, in einer speziellen Untersuchung erhoben worden, wie gross das Interesse oder Marktpotenzial für diese spezielle Form des Urlaubs ist.
Im Rahmen der deutschen Reiseanalyse 2011 wurden knapp 8’000 Deutsche in persönlichen Interviews befragt, auf welche Art und Weise sie am liebsten einen Urlaub in einem Entwicklungsland verbringen würden.
Die Ergebnisse sind repräsentativ für die in Deutschland lebende Bevölkerung über 14 Jahre.
Die Vorlieben von Urlaubsreisenden in Entwicklungsländer
Anhand einer Liste von zehn Punkten, in der verschiedene Arten beschrieben wurden, wie man Urlaub in einem Entwicklungsland verbringen kann, sind die Präferenzen der deutschen Urlauber untersucht worden. Dieser hier vorliegenden Analyse sind dabei die Antworten jener Personen zugrunde gelegt worden, die
- in den letzten drei Jahren 2008–2010 mindestens einmal Urlaub in einem Entwicklungsland gemacht haben, oder
- in den nächsten drei Jahren 2011–2013 "ziemlich sicher planen", ihren Urlaub in einem Entwicklungsland zu verbringen oder für die ein solcher Urlaub "in Frage kommt" (Potenzial).
Wie aus der Abbildung 1 hervorgeht, ist die beliebteste Form, Urlaub in diesen Ländern zu verbringen, die Kombination von Rundreise, auf der man die Sehenswürdigkeiten des Landes kennen lernen kann, mit einem Strand-Urlaub (58 Prozent).
Ein Strand-Urlaub alleine wird nur von knapp 30 Prozent als beliebteste Urlaubsform angegeben, wobei die Präferenzen sich natürlich von Urlaubsland zu Urlaubsland ganz wesentlich unterscheiden können.
So wird der Anteil derjenigen, die einen reinen Strandurlaub machen wollen, in der Karibik wesentlich grösser sein als zum Beispiel in Indonesien. Neben diesen Basisformen des Urlaubmachens (Strandurlaub, Rundreise und Kombination von beidem) gibt es eine Reihe von speziellen Interessen wie zum Beispiel das Interesse an den kulturellen Attraktionen (40 Prozent) oder eher abenteuerliche Ferien mit "ungewöhnlichen, abenteuerlichen Erfahrungen abseits der ausgetretenen Pfade" (27 Prozent).
Darüber hinaus haben 38 Prozent der potenziellen Urlauber in Entwicklungsländer 2011-2013 ein spezielles Interesse, auf ihrem Urlaub "mehr über die Lebensbedingungen der Einheimischen zu erfahren" und 19 Prozent geben an, dass sie "gerne in so engen Kontakt wie möglich mit der einheimischen Bevölkerung kommen möchten". Bei diesen geäusserten Vorlieben handelt es sich um "Mehrfachnennungen", das heisst, die Befragten konnten jeweils mehr als eine Möglichkeit angeben.
Ein interessantes Marktpotenzial für CBT
Auf der Basis dieser Ergebnisse wurde das Marktpotenzial für CBT folgendermassen definiert:
Alle Personen,
- die in den nächsten drei Jahren einen Urlaub in einem Entwicklungsland verbringen wollen
- und am liebsten in einem kleinen, einfachen Hotel mit landestypischer Atmosphäre wohnen statt in einem internationalen Hotel
- und gleichzeitig "möglichst viel über die Lebensbedinungen der Einheimischen erfahren wollen" oder "in so engem Kontakt wie möglich mit der einheimischen Bevölkerung leben wollen".
Alle Personen, die diese drei Bedingungen erfüllen, werden hier als potenzielle CBT-Urlauber angesehen.
Insgesamt erfüllen 19 Prozent aller 15,2 Millionen potenziellen Entwicklungsland-Touristen aus Deutschland diese Bedingungen, was einem Interessepotenzial an CBT in der Grössenordnung von etwa drei Millionen Urlaubern für die nächsten drei Jahre entspricht.
Unterschiedliche Interessengewichtung bei "alten" und "neuen" Destinationen
Untersucht man das Interesse-Potenzial für CBT für eine Reihe ausgewählter Länder Asiens, zeigt sich, dass der Anteil der CBT-Interessierten bei den verschiedenen Länder-Potenzialen sich zum Teil erheblich unterscheidet. So beträgt das CBT-Interesse bei den potenziellen Urlaubern für Indien und Vietnam fast 30 Prozent, während es unter den potenziellen Thailand-Urlaubern "nur" 17 Prozent ausmacht. Berücksichtigt man allerdings auch die Grösse der Potenziale für diese Länder, zeigt sich, dass 1,8 Millionen der interessierten Thailand-Urlauber aus Deutschland ein Interesse an einem CBT-Urlaub bekundet haben. Von diesen werden natürlich nicht alle ihren Wunsch, Thailand in den nächsten drei Jahren zu besuchen, erfüllen und selbstverständlich nicht alle ihren Wunsch wahrmachen, einen CBT-Urlaub zu machen – aber das Interesse ist da, und es ist gross!
Die unterschiedlichen Anteile des CBT-Interesses in den verschiedenen Ländern erklären sich vor allem daraus, dass Ländern mit einer grossen, entwickelten Tourismus-Nachfrage wie zum Beispiel Thailand einen grossen Anteil von Badeurlaubern haben, die oft eine nur geringe Reiseerfahrung haben, während relativ "neue" Urlaubsländer wie etwa Vietnam eine grosse Anzahl von neugierigen, sehr reiseerfahrenen Urlaubern anziehen, unter denen sich mehr CBT-Interessierte befinden als unter den "traditionellen" Urlaubern, die vor allem am Ausspannen, Baden und Sightseeing ihr Haupt-Interesse haben.
Profil der CBT-Urlauber
Vergleicht man die Struktur der CBT-Interessenten mit der der Bevölkerung und den potenziellen Ferienreisenden in Entwicklungsländer insgesamt, ergibt sich folgendes Bild:
In altersmässiger Hinsicht unterscheiden sich die CBT-Interessierten nicht wesentlich von den Ferienreisenden in Entwicklungsländer insgesamt. Allerdings ist der Anteil der besser Ausgebildeten mit 39 Prozent deutlich höher, das Gleiche gilt für die soziale Schicht. Damit zusammenhängend haben 93 Prozent der CBT-Interessierten Zugang zum Internet, 80 Prozent aller CBT-Interessierten benutzen das Internet für Informationen über ihr Reiseziel und über 50 Prozent buchen ihre Urlaubsreisen – oder Teile davon – im Internet, es handelt sich also um eine sehr Interneterfahrene und –affine Personengruppe.
Fazit
Wie die Ergebnisse der Marktanalyse des deutschen Marktes zeigen, gibt es also
- ein erhebliches Markt- oder Interessepotenzial für CBT, das wesentlich grösser sein dürfte als die verfügbaren CBT-Angebote
- bei den potenziellen CBT-Interessierten handelt es sich um sehr reiseerfahrene Urlauber mit überdurchschnittlicher Bildung und einen grossen Anteil von Personen aus den mittleren und oberen sozialen Schichten
- diese Personen sind sehr internetaffin und nutzen das Internet für Information und Buchung in grösserem Umfang als die „Normal“-Touristen.
Diese Ergebnisse gelten nicht nur für den deutschen Markt, sondern können, wie andere Untersuchungen gezeigt haben, auch auf die meisten europäischen Länder übertragen werden, wie zum Beispiel Österreich, die Schweiz, Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen.
Der Flaschenhals für die Entwicklung und den weiteren Ausbau des CBT ist also nicht die Nachfrage, sondern liegt
- in der Bekanntheit der Existenz des CBT
- und der marktmässigen Erreichbarkeit der potenziellen Interessenten.
Es handelt sich also vor allem um ein Marketing-Problem, das sich auch dadurch erklärt, dass die einzelnen CBT-Projekte in der Regel auf sich allein gestellt sind und nicht über eine (übergeordnete) Organisation verfügen, die ihnen bei dieser Aufgabe behilflich ist.
Es gibt allerdings auch durchaus erfolgreiche Beispiele von CBT-Projekten, die diese Probleme mehr oder weniger gut gelöst haben wie zum Beispiel
- die Aktivitäten und Projekte des "Thailand Community Based Tourism Institute" an der Universität von Chiang Mai
- oder eine Reihe anderer erfolgreicher Projekte des "sozialverantwortlichen Tourismus", wie sie im Rahmen des ToDo-Wettbewerbs auf der Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB) seit 1995 regelmässig vorgestellt werden.
Die Versuche, diese Art des Tourismus über die traditionellen Verteilungskanäle zu "vermarkten", z.B. über die Kataloge von Reiseveranstaltern, sind in der Regel allerdings wenig erfolgreich, weil die Reiseveranstalter an diesen Angeboten nur relativ wenig Geld verdienen (was durchaus "im Sinne des Erfinders" ist, denn das Geld soll ja in die Gemeinschaften fliessen und nicht in die Taschen der internationalen Tourismusbranche) und diese Angebote, wenn überhaupt, vor allem aus Imagegründen mit in ihr Programm nehmen. Darüber hinaus sind die typischen Interessierten des CBT sehr reiseefahren und gehören eher nicht zu den traditionellen Kunden der Reiseveranstalter (es sei denn, es handelt sich um ganz ausgewählte Veranstalter, die sich auf nachhaltige Tourismusangebote spezialisiert haben). Die typischen CBT-Interessierten meiden also eher die traditionelle Tourismusindustrie und ziehen es vor, individuell, "auf eigene Faust" zu reisen: Zwischen 40 und 60 Prozent ziehen es vor, ganz auf "eigene Faust zu verreisen" und alles selbst zu organisieren. Darüber hinaus sind diese Personen, wie gezeigt wurde, sehr Interneterfahren und nutzen vor allem dieses neue Medium zur Information und Buchung von Urlaubsreisen.
Eine der wesentlichen, marktmässigen Herausforderung besteht also darin, eine Internetplattform zu entwickeln, auf der die CBT-Angebote regional, länderbezogen oder sogar weltweit bekannt und buchbar gemacht werden.
Probleme bei der Entwicklung von CBT nicht unterschätzen
Allerdings handelt es sich bei der Entwicklung und Implementierung des CBT nicht nur um ein Marketingproblem, sondern selbstverständlich ist die Grundlage zunächst die vorsichtige, sensible Entwicklung und Implementierung der einzelnen CBT-Projekte in den oft wenig entwickelten Regionen und Gemeinschaften. Auch wenn es sich bei den meisten CBT-Projekten um ein "technisch" relativ einfaches Angebot handelt, soweit es die Übernachtungsmöglichkeiten angeht (einfache Unterkünfte im landestypischen Stil), so sind es doch komplizierte und komplexe Probleme, die bei der Entwicklung von CBT-Projekten gelöst werden müssen, die von Fall zu Fall höchst unterschiedlich sind und jeweils individuelle Lösungen erfordern. Dabei spielt die Ausbildung eine ganz zentrale Rolle.
Gerade weil CBT-Projekte im Sinne eines „sozialverantwortlichen Tourismus“ den Anspruch haben (sollen), dass
- die wirtschaftlichen Effekte der ganzen Gemeinschaft zugute kommen (und nicht nur einzelnen lokalen Einflussgrössen), also partizipativen Charakter haben sollen
- die sozialen, kulturellen und umweltmässigen Belastungen, die durch den Tourismus in den unberührten Gemeischaften entstehen, in akzeptablen Grenzen zu halten oder sogar ganz zu vermeiden
- die Erwartungen der CBT-Gäste an ein authentisches Erleben des Lebens in der Gemeinschaft der Einheimischen durchaus sehr hoch sind und erfüllt werden müssen, wenn diese Form des Tourismus auf längere Sicht Erfolg haben soll
bedarf es grosser Einsicht und Erfahrung, um solche Projekte zu entwickeln und zu implementieren. Auch hier gibt es durchaus gute Beispiele, wie dies erfolgreich organisiert werden kann (siehe unter "Weitere Informationen" die schon genannten Beispiele aus Thailand und die im Rahmen des ToDo-Wettbewerbs beschriebenen Projekte), aber es gibt leider auch eine Vielzahl von CBT-Projekten, wo das Gegenteil dessen erreicht wurde, was ursprünglich angestrebt worden ist, wo durch die CBT-Projekte also mehr Schaden in wirtschaftlicher, sozialer, kultureller oder umweltmässiger Hinsicht entstanden ist als wenn man auf diesen Versuch der sensiblen Tourismus-Entwicklung durch CBT verzichtet hätte.
Die Chancen einer erfolgreichen Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus durch CBT sind also durchaus vorhanden, aber die Gefahren keineswegs zu unterschätzen!
Es bedarf also grosser Kompetenz und vieler Erfahrung in der Planung von CBT, um diese Form des Tourismus erfolgreich zu entwickeln und zu implementieren, um die positiven Möglichkeiten des CBT für die Entwicklung des Tourismus in unerschlossenen Regionen sicherzustellen.
Es wäre zu überlegen, ob man im Rahmen eines internationalen Workshops oder Seminars interessierte und erfahrene Partner zusammenbringt, um eine Form der Organisation zu entwickeln, die
- sowohl bei der Planung, Entwicklung und Umsetzung Hilfe leisten kann und wo die guten Erfahrungen aus erfolgreich implementierten CBT-Projekten systematisch genutzt werden können
- als auch die Entwicklung einer Internetplaftform zur Vermarktung der einzelnen CBT-Angebote übernimmt oder Hilfestellung hierfür leistet.
Ziel könnte es sein, ein internationales Netzwerk zu etablieren, das Gemeinschaften, Regionen und Organisationen, aber auch einzelne Personen, die an der Entwicklung des CBT interessiert sind, zusammenbringt und aktiv unterstützt.
Dabei ist es durchaus denkbar, das von Seiten der Entwicklungshilfe oder anderer ähnlicher Organisationen finanzielle oder organisatorische Hilfe geleistet wird, da es sich bei der CBT-Entwicklung durchaus um eine sehr konkrete Form der nachhaltigen Tourismusentwicklung handelt, das den gängigen Kriterien der Entwicklungshilfe nicht nur genügt, sondern sie mehr als nur erfüllt.
Dr. Peter Aderhold war bis 1. Juli 2010 Geschäftsführer der FUR-Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V., die als neutrale Interessensgemeinschaft der in- und ausländischen Nutzer von Tourismusforschung in Deutschland Trägerin der jährlich durchgeführten Reiseanalyse ist. Die deutsche Reiseanalyse ist eine bevölkerungsrepräsentative Befragung zur Erfassung und Beschreibung des Urlaubs- und Reiseverhaltens der Deutschen und ihrer Urlaubsmotive und -interessen.