Sie ist so menschenleer, wie seit Jahrzehnten nicht mehr – die Serengeti, dieses "endlose Land", wie die Massai die weiten Ebenen nannten – lange noch bevor sie 1951 aus dem frisch gegründeten Nationalpark hinausgeworfen wurden.

An Weihnachten 2019 noch donnerten täglich zahlreiche Lastwagen, Busse und Geländewagen auf ihrer Hauptstrasse nach Seronera, dem über die Jahre zu einer Ortschaft angewachsenen Hauptquartier der Serengeti mit Lodges, Wohnhäusern, Verwaltungs- und Lagergebäuden, Werkstätten, einem Institut, einer Garage und einem Flugplatz.

Overtourism – das war einmal

Abertausende von Touristinnen und Touristen waren 2019 angereist, um wenigstens einmal das "wahre Afrika" mit seiner faszinierenden Tierwelt und den weiten Landschaften zu erleben.

Man sprach von Overtourism, vom Dichtestress. Die Wildnis und ihre Reize seien tot, hiess es gar. Die zahlreichen Autos voll mit erlebnishungrigen Europäern, Amerikanerinnen und Asiaten, welche um Seronera einen erspähten Leoparden umzingelten, schienen bereits der niederschmetternde Beweis für Bernhard Grzimeks These in den 1950er-Jahren, dass auf Dauer "Kein Platz für wilde Tiere" (Buchtitel) mehr übrig bleiben werde, weil sich der Homo sapiens unaufhaltbar vermehre.

Doch jetzt ist sie wieder zurück, unerwartet und radikal – die Menschenleere. Keine Wagenkolonnen, keine Touristen, kein Lärm, keine Abgase und keine Abfälle mehr. Leergefegt durch ein unsichtbares Wesen namens Sars-CoV-2. Abrupt hat es ab März den internationalen Tourismus zusammenbrechen lassen. Für Ostafrika wird sein Einbruch auf  97 Prozent geschätzt, gefolgt vom Sektor Logistik mit 75 Prozent. Weggefallen sind auch die internationalen Flüge, welche Tansania ab dem 11. April sperren liess.

Hotels wie Lodges, Camps wie Safari-Unternehmen schlossen – und plötzlich hatten die Wildtiere in den Nationalparks Ruhe vor den schaulustigen Zweibeinern. Beobachtet wurden sie bestenfalls noch von jenen paar wenigen Ausländern, die das Land nicht mit den letzten Linienjets fluchtartig verlassen hatten und als "Expats" die neue Ruhe geniessen wollten.

"Es ist sehr besorgniserregend"

Kein Tourismus heisst plötzlich auch keine Einnahmen mehr. Einnahmen, die dringend für das Land, aber auch für die Bewachung und den Unterhalt der fast zwei Dutzend Nationalparks benötigt werden. Einnahmen, die schon bislang nicht reichten, um alle Schutzgebiete wirklich effizient zu schützen.

"Es ist sehr besorgniserregend", schreibt uns Lorna Labuschagne aus Seronera. Sie und ihr Mann Rian halten im Ranger-Hauptquartier die Stellung als Serengeti-Projektmanager der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF). Als Paar gehören sie zu den erfahrensten Artenschützern Afrikas. Aber diese Situation haben beide noch nie erlebt.

Besorgniserregend sei, dass kein Geld mehr hereinkomme, mit der staatliche Schutzstellen wie etwa die tansanische Nationalparkbehörde Tanapa ihren Aufgaben nachkommen könne.

Wer zahlt die Löhne der Ranger?

Schwere Zeiten sieht auch Alex Rechsteiner auf den Artenschutz zukommen. Der Afrikadelegierte der Nichtregierungsorganisation "Freunde der Serengeti Schweiz" (FSS) lebt seit Jahrzehnten in Tansania. Die Seuche mit ihren Folgen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Wildschutz werde dem zurzeit auch politisch labilen Land mit einer neuen Armut und Arbeitslosigkeit noch schwer zu schaffen machen, ist Rechsteiner überzeugt. Grosse Sorgen bereitet ihm insbesondere die Vorstellung von kaum mehr verteidigten Nationalparks, weil die Finanzen fehlen.

Wer zahlt auf die Dauer die Löhne der Wildhüter? Wer ihr Essen, ihre Kleidung, ihre Apotheken? Wer unterhält die Rangerposten, wer bezahlt die Kommunikationsmittel, die Zelte, die Patrouillenfahrzeuge? Und wie sollen engagierte Männer und Frauen auf ihren oft weit abgelegenen Posten ihre Motivation behalten, wenn ihnen und ihren Familien das Notwendigste fehlt? Hier müssten Organisationen wie der FSS so gut wie möglich Hilfe leisten, sagt Alex Rechsteiner.

Keine Zweifel: Die tiefgreifende Weltkrise, die nun auch Tansania im Griff hat, wirft selbst im Busch existenzielle Fragen auf. Denn Ranger, die ums Überleben kämpfen, können zu den erfolgreichsten Wilderern mutieren. Ihr Wissen, wo die letzten Nashörner, die nächste Elefantenherde oder der Leopard gerade sind, ist in der Not für einen Familienvater mehr als Gold wert.

Schutzlosere Schutzgebiete in ganz Afrika

Aber auch so haben es die Ranger und Rangerinnen schwer. Die in Afrika von Tourismus durch das neue Corona-Virus leer gefegten Schutzgebiete sehen sich bereits mit wachsender Wilderei konfrontiert – eine in allen afrikanischen Ländern drohende oder bereits eingetretene Entwicklung.

In Südafrika und Botswana, so berichten Artenschutzorganisationen, konnten Ranger eine auffällige Zunahme abgeschlachteter Nashörner selbst in sonst relativ sicheren Tourismusgegenden nicht verhindern.

Die grosse Befürchtung aller Schutzgebietsverwaltungen: Nimmt die Tourismusindustrie nicht bald wieder Fahrt auf, werden Afrikas Wildtiere noch schneller verschwinden als es sich desillusionierte Artenschützende je vorgestellt haben.

Mit Initiativen aus der Patsche

Verglichen mit der in vielen Bereichen unklaren Situationen in den Städten, haben es die Wildhüter und Wildhüterinnen in den Nationalparks zurzeit allerdings noch wesentlich besser. Die Gefahr einer Ansteckung ist jedenfalls geringer. Und es gibt Initiativen, wenigstens ihre Arbeit abzusichern.

Lorna Labuschagne aus der Serengeti: "Wir haben mit den Reiseveranstaltern "Mission Possible Serengeti" gestartet. Mit dieser Kampagne versuchen wir Geld zu beschaffen, um zusammen mit den Tanapa-Rangern und dem Personal der Safari-Unterrnehmen in die verlassenen Gebiete zurückzukehren und dort wieder Präsenz zu markieren."

Mit Flugzeugen und Motorrädern auf Patrouille

Damit wolle man nicht nur "die von uns erwartete Zunahme der Wilderei" stoppen, sondern auch jene Camp-Mitarbeitenden unterstützen, die aus den angrenzenden Serengeti-Siedlungen stammen und jetzt ohne Einkommen auskommen müssen.

Überdies finanziere die Zoologische Gesellschaft Frankfurt fünf mit Motorrädern betriebene Ranger-Patrouillen, um wenigstens stellenweise die Viehherden aus dem 14’000 Quadratkilometer grossen Nationalpark zu halten, Schlingen einzusammeln und Wilderer abzuwehren.

Mit zwei Flugzeugen wird die Lage aus der Luft kontrolliert, was auch der Sicherung der in den letzten Jahrzehnten wieder angewachsenen Serengeti-Nashornpopulationen dient.

Hoffen auf baldige Rückkehr des Tourismus

Die Nationalparks im Norden Tansanias sind gut zugänglich und wesentlich besser geschützt als die riesigen Schutzgebiete im Süden, welche mit weit weniger Personal, Finanzen und Material auskommen müssen.

Dort versucht man so gut wie möglich die Stellung zu halten – in der Hoffnung, ab Mitte Mai könnten frühestens wieder die ersten Safari-Touristen ins Land kommen und die Kassen der Schutzbehörden füllen helfen. Ob dies das neue Corona-Virus zulassen wird? Doch auch bei dieser Frage winkt vorderhand keine erlösende Antwort, die eine Entwarnung signalisieren könnte.

Allgemein sehen Afrikas Schutzgebiete und ihre letzten Wildtiere so schweren wie gefährlichen Zeiten entgegen. Ein Grund mehr für die Artenschutzorganisationen, ihre Anstrengungen auch für das Überleben der afrikanischen Fauna und Flora massiv zu verstärken.