
Costa Ricas Gesetzentwurf für die Gemeinschaften der Küstengebiete in der Warteschleife
Doch das in- und ausländische Grosskapital beteiligte sich zunehmend am Tourismus und erweiterte seine strategische Macht über den Sektor und über bestimmte Gebiete. So entstanden immer mehr touristische Grossprojekte. Dieser Prozess führte zu Interessenkonflikten zwischen dem Grosskapital und der lokalen Bevölkerung in Bezug auf Land, Wasser, Wälder etc. sowie zunehmend auch zu Konflikten mit den unternehmerischen Initiativen kleiner und mittelständischer Unternehmen und Gemeinschaften. An der Küste treffen die unterschiedlichen Modelle besonders hart aufeinander.
Den Interessen der Investoren an touristisch genutzten Immobilien gab die Regierung mit ihrer Politik ganz klaren Vorrang und unterstützte sie. Das hatte zur Folge, dass sich die lokale Bevölkerung in den Küstengebieten bedroht fühlte. An der Küste leben Menschen aus armen Verhältnissen, die auf den Fischfang, auf die kontrollierte Entnahme von Schildkröteneiern und in einigen Fällen auch in geringem Umfang auf verschiedene Formen des Tourismus angewiesen sind. Den Grossinvestoren waren die Dörfer der armen Bevölkerung und der unteren Mittelschicht ein Dorn im Auge.
Das seit 1977 gültige Küstenzonenschutzgesetz war ursprünglich besonders fortschrittlich und sollte die öffentlichen Gebiete schützen. Dadurch wurden die ersten 200 Meter ab der Tidegrenze landeinwärts geschützt. Die Tourismuslobby fand jedoch Möglichkeiten, die lokale Bevölkerung nach und nach von der Küste zu vertreiben, ins Landesinnere umzusiedeln und so den Weg für Grossinvestitionen frei zu machen. Zwischen 2000 und 2007 wurde in den Küstengemeinden eine Vielzahl von Flächennutzungsplänen ausgearbeitet, um diese Gebiete neu zu strukturieren.
Bürgerbeteiligung als Deckmantel
Am Anfang waren es Privatunternehmen mit Interessen in diesen Gebieten, die die Pläne finanzierten – bis die zuständigen Behörden es auf Anzeige aus der Bürgerbewegung hin verboten. Aber danach wurden solche Pläne über die internationale Zusammenarbeit trotzdem weiter finanziert.
Das Problem mit den Flächennutzungsplänen bestand darin, dass Anspruch an die Küstenbevölkerung, sich einzubringen, Vorschläge auszuarbeiten, an Versammlungen teilzunehmen, etc. unzumutbar hoch war. Für eine weitgehend mittellose Bevölkerungsschicht bedeutete diese Anforderung einen riesigen Aufwand. Hinzu kam, dass die eingereichten Vorschläge, wenn sie denn überhaupt im Flächennutzungsplan aufgegriffen wurden, nicht unbedingt verpflichtend gemacht wurden. Statt ein demokratischeres Vorgehen zu befördern, war die Bürgerbeteiligung in diesem Fall ein Deckmantel, durch den die Grossinvestoren ihren Interessen Legitimation verschafften.
In diesem Zusammenhang begannen im Jahr 2008 einige Küstengemeinden, sich zu organisieren. Damit war die "Nationale Front der durch Ausschlusspolitik bedrohten Gemeinden" (Frente Nacional de Comunidades Amenazadas por las Políticas de Exclusión) oder die "Front der Küstengemeinden" (Frente de Comunidades Costeras) geboren. Rund 60 Gemeinden mit etwa 50’000 Einwohnern waren daran beteiligt. Dabei handelte es sich vorwiegend um Gemeinden an der Pazifikküste, aber es schlossen sich auch Gemeinden aus dem Landesinneren an.
Eine der wichtigsten Initiativen des Zusammenschlusses war die Ausarbeitung eines Vorschlags für ein Gesetz für die gemeinschaftlichen Küstengebiete (Ley de Territorios Costeros Comunitarios – Ley TECOCOS). Durch dieses Gesetz erhoffte man sich grössere Sicherheit und Schutz für die lokale Bevölkerung in diesen Gebieten. In dem Vorschlag geht es um die Rechte der seit vielen Jahren in den Gebieten lebenden Menschen, weiter dort wohnen zu bleiben (ohne das Land in Beschlag zu nehmen); darum, dass sie keine extra Steuern bezahlen müssen, nur weil sie in der Küstenrandzone leben; dass sie Genehmigungen für bewohnte Landstriche bekommen sollen und dass sie ihr Land an ihre Nachkommen vererben dürfen – wenngleich das Recht auf freien Verkauf eingeschränkt ist. Die Vorschläge zielten darauf ab, dass die verarmte Bevölkerung in diesen Gemeinden nicht auf Grund der neuen Dynamik vertrieben wird.
Nach einem langen Verhandlungsprozess mit verschiedenen politischen Gruppen und Gremien wurde der Gesetzesvorschlag 2011 der gesetzgebenden Versammlung (Asamblea Legislativa) vorgelegt und im Oktober 2011 erstellte eine Umweltkommission dazu ein Gutachten, in dem der Entwurf einhellig befürwortet wurde. Seitdem harrt das Gesetz seiner endgültigen Abstimmung und Verabschiedung.
Hin und wieder schien es so, als würde es bald verabschiedet werden, aber bis heute hat es keinen weiteren Fortschritt gegeben. Das Problem ist, dass die Initiative mit mächtigen wirtschaftlichen Interessen kollidiert und der Weg bis zu einer Verabschiedung des Gesetzes alles andere als einfach ist. Erstens besteht die Gefahr, dass die Gemeinden den Druck nicht aufrechterhalten können und das Gesetz in Vergessenheit gerät und niemals verabschiedet wird. Zweitens kann es passieren, dass es durch die Diskussion im Parlament so verändert wird, dass es seinen ursprünglichen Sinn verliert.
Eine Initiative mit Modellcharakter
Für die Küstengemeinden in Costa Rica wäre die Verabschiedung des "Ley TECOCOS" ein wichtiger Schritt um zu verhindern, dass sie durch touristische Grossprojekte von ihrem Land vertrieben werden oder die Zugänge zum Meer privatisiert werden.
Dass dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird und dabei der ursprüngliche Geist beibehalten wird, mit dem die Küstengemeinden es formuliert haben, wäre nicht nur für Costa Rica von Bedeutung. Diese Initiative ist ein Beispiel für viele andere Gemeinschaften, die in ihren Gebieten von zunehmenden Grossinvestitionen in Zweitwohnsitze und andere touristisch genutzte Immobilien betroffen sind.
Das Ley TECOCOS könnte die Grundlage dafür sein, dass der Widerstand der Küstengemeinden einen riesigen Schritt vorankommt, und es könnte gleichzeitig neue Dynamiken fördern, um den Widerstand aufrecht zu erhalten. Die internationale Gemeinschaft sollte die Entwicklung dieser Gesetzesinitiative aufmerksam verfolgen und sie als Beispiel dafür nehmen, wie sich neue Formen von gemeinschaftlichem Widerstand eröffnen können.
Ernest Cañada ist Koordinator der katalanischen Organisation "Alba Sud – Investigation and Communication for Development" und Mitglied der "Group to Research Sustainability and Territory (GIST)" an der Universität der Balearen.