Basel, 06.03.2012, akte/ Baut Iran eine Atombombe? Oder wird vielmehr Israel den Iran angreifen, um die atomare Bewaffung dieses strategisch wichtigen Landes zu verhindern? Die Rhetorik wird zunehmend kriegerisch, US-Aufklärungsdrohnen "verirren" sich über iranischem Hoheitsgebiet. Es scheint, dass von verschiedenen Seiten ein Militärschlag nicht ausgeschlossen wird. Inmitten solch banger Aussichten ist eine Neuauflage von Hafiz-Gedichten in einer neuen, gewagten, frischen Übersetzung erschienen, welche uns die Schönheit der persischen Dichtung in Erinnerung ruft.

Die Dichtung ist das Herz der reichen persischen Kultur, und Shams-ud-din Hafiz (ca. 1320–1389) ist wohl das Herz unter den vielen persischen Dichtern. Einer der (verschiedenen) Legenden nach verliebte sich Hafiz als einfacher Bäckergeselle in eine junge Aristokratin. In seinem verzweifelten Bemühen schrieb er eine ganze Serie von Gedichten über die Schönheit seiner Geliebten und seine Sehnsucht nach ihr. Schliesslich hielt er eine vierzigtägige Nachtwache, um all seine Lebenskräfte auf die Liebe hin auszurichten. In der vierzigsten Nacht erschien ihm der Engel Gabriel und offenbarte ihm die höhere Dimension der Liebe zu Gott. In den nächsten vierzig Jahren lotete er die Höhen und Tiefen der Liebe aus, bis er wiederum verzweifelte an der Sehnsucht nach der Geliebten. Ein weiteres Mal hielt er eine vierzigtägige Wache, an deren Ende er erkannte, dass die Kraft der Liebe seine ganze Persönlichkeit verzehrt hatte. Er konnte die Liebe nicht "beherrschen", sondern ihr nur ein Gefäss sein.

"Jahrhunderte lang haben Menschen damit gerungen, wie man die Lieblichkeit und Tiefe von Hafiz› Gedichten im Englischen wiedergeben kann … Meine Gedichte sind keine ‹Übersetzung› im herkömmlichen Sinne. Sie beabsichtigen weder wortgetreu noch gelehrt oder ‹genau› zu sein. Aber ich hoffe, dass sie wahr sind, d.h., dass sie dem lebendigen Geist dieses göttlichen Dichters entsprechen", schreibt Daniel Ladinsky in seiner Einleitung zu den Gedichten. Der 1948 geborene US-amerikanische Dichter Daniel Ladinsky lebte über 20 Jahre mehr oder weniger dauerhaft in einer spirituellen Gemeinde in Indien, wo er in einer Klinik für Mittellose Freiwilligenarbeit leistete und sich vom indischen Mystiker Meher Baba spirituell anleiten liess. Von Ladinskys englischen Ausgabe begeistert, hat sich die Sprachwissenschaftlerin (Germanistik, Anglistik, Indologie) Chandravali Divya Schang an die Übertragung ins Deutsche gewagt – und sie mit Bravour geschafft.

Hafiz wird als Freigeist, loser Vogel, schelmischer Vagabund oder "Hippie" bezeichnet. "Er galt als ein "Ketzer der Liebe", ein durch die Liebe Verrückter, ein bankrotter Liebender, für den kein Unterschied zwischen Schenke und Moschee, zwischen Moschee, Kirche und Feuertempel bestand", schreibt Schang. Vielleicht lassen sich deshalb auch Menschen im Westen von seiner Lyrik berühren.

Der Arbor Verlag wirbt für das Buch mit Kostproben wie der folgenden:

Das Licht deines Wesens

Einst bekannte die Sonne:

Ich bin nur ein Schatten,
Ich wünschte, ich könnte dir
Den unendlich strahlenden Glanz (Tej) offenbaren,

Dessen leuchtendes Abbild ich bin!

Bist du traurig oder einsam,
Wünschte ich, ich könnte
Dir das erstaunliche Licht
Deines eig’nen Wesens zeigen!

Die Gedichte sind eigentliche Gesänge (Ghazals), die mit klassischer persischer Musik vertont wurden. Diese sogenannte Radif-Musik wurde auf die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Es wäre den BewohnerInnen des Irans zu gönnen, wenn ihre Führung und die internationalen Mächte mehr auf diese Liebesgesänge und weniger auf das Säbelrasseln hören würden.

Daniel Ladinsky: Ich hörte Gott lachen. Gedichte inspiriert von Hafiz. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Chandravali Divya Schang. Arbor Verlag, Freiburg im Breisgau 2011, 142 Seiten, CHF 14.90 / EUR 9.90 (Richtpreis), ISBN 978-3-86781-058-6