Darum verflucht Bauer Asante den Rinderwahnsinn
Dies ist die Geschichte von Bauer Asante in Ghana. Er wollte für sich und seine Nachkommen ein einigermassen sicheres Auskommen schaffen. Doch er scheiterte, weil ökologisch bewusste Menschen in Europa ihre Welt, ihr Leben verbessern wollten. Ende der 1980er Jahre: Asante geht gerade als Staatsbeamter in Pension und bemerkt, dass seine Landsleute auf den Märkten zunehmend nach Fleisch verlangen. Da kommt er auf die Idee, Geflügelzüchter zu werden.
Dank seiner Pension erhält er einen Kleinkredit zum Aufbau von drei Ställen für je 7000 Küken, umgerechnet etwa 10’000 Euro. Doch dann tritt Ghana der Welthandelsorganisation (WTO) bei und verpflichtet sich, seine Zollschranken einzureissen. Schlagartig werden die Märkte mit gefrorenem Hühnerfleisch aus Europa geradezu überschwemmt. Zu Preisen, bei denen Asante nicht mehr mithalten kann. 2006 gibt er gezwungenermassen auf. Bei seinem Tod, 2010, erben seine Kinder leere Ställe und Schulden.
Erschöpfter Planet
Das Absurde daran: Asante und seine Familie wurden Opfer des Rinderwahnsinns im fernen Europa. Dort verbot die Europäische Union 1996, unter dem Druck zu Recht aufgeschreckter Konsumentinnen und Konsumenten, das Verfüttern von Tiermehl. Das traf vor allem die europäischen Hühnerzüchter. Ihre Produktion rechnet sich nämlich allein durch den Verkauf der Brustfilets. Der ganze essbare Rest ist Abfall. Den hatte ihnen bis dahin die Futtermittelindustrie abgenommen. Damit war nun Schluss. Also überliessen ihn die Züchter nahezu kostenlos Exporteuren, die alles tiefgekühlt wegschafften, zum Beispiel nach Westafrika.
Nachzulesen ist diese Geschichte im "Fleischatlas". Er ist online und gratis erhältlich und gehört in die Reihe der "Atlanten der Globalisierung", welche die Pariser Zeitung "Le Monde diplomatique" seit 2003 produziert. Sie will damit die Erschöpfung des Planeten dokumentieren. Diese Atlanten sind ein einfach lesbares Navigationssystem für die Welt: Sie bieten hochkonzentrierte Informationen über die soziale, wirtschaftliche, ökologische, geopolitische und gesellschaftliche Lage der Menschheit.
Herausragend und längst stilbildend geworden sind dabei die Karten und Grafiken, die Philippe Rekacewicz, der Initiator der ganzen Reihe, entwickelte. Neben bisher vier Atlanten erschienen 12 Themenhefte zu einzelnen Ländern (zum Beispiel China, USA, Indien) und zu globalen Problemstellungen wie Migration, Gentechnologie, Klima und Krisenmacher.
Bedrückende Erkenntnisse
Der "Fleischatlas" vertieft, vornehmlich mit Daten und Beispielen aus Deutschland, den Verbrauch von tierischem Eiweiss und seine Voraussetzung: den gewaltig zunehmenden und weltweiten Verbrauch aller natürlichen Ressourcen. Dazu nur ein Beleg: Durchschnittseuropäer verputzten 2012 durchschnittlich 15,5 Kilo Rindfleisch. Und in jedem Kilo stecken 6,5 Kilo Getreide, 36 Kilo Rauhfutter und 15’500 Liter Wasser.
Die Globalisierung mache die Welt besser, für alle Menschen lebenswert: das prophezeite man uns vor Jahrzehnten. Die Freihandelspropagandisten behaupten das immer noch. Doch wir wissen es längst besser. Und die Atlanten von "Le Monde diplomatique" liefern uns laufend Belege für eine zusätzliche, eher bedrückende Erkenntnis: dass in dieser kapitalistischen Welt selbst noch so lokale, noch so sinnvoll scheinende Entscheidungen irgendwo anders auf der Welt, zum Beispiel in Ghana, also in tausenden Kilometern Entfernung, katastrophale Auswirkungen haben können.
Le Monde diplomatique (deutsche Redaktion), Heinrich-Böll-Stiftung, Bund für Umwelt und Naturschutz (Hg.): Fleischatlas 2013. Daten und Fakten über Tiere als Nahrungsmittel. Berlin 2013. 50 Seiten. Download: www.monde-diplomatique.de.
Le Monde diplomatique (Hg.): Atlas der Globalisierung. Die Welt von morgen. Paris, Deutsche Ausgabe: Berlin, November 2012, 176 Seiten, CHF 19.90. Die deutschsprachigen Veröffentlichungen von "Le Monde diplomatique" sind in der Schweiz auch im Shop der "Wochenzeitung" erhältlich.
Dieser Beitrag erschien am 5. April 2013 in der work-Zeitung. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.