Das Atlantis der Klimaverhandlungen
Wovon viele Athleten und Athletinnen an der Olympiade träumen, ist bei den globalen Emissionen an der Tagesordnung: jährlich neue Rekorde. 2011 stieg der Ausstoss von Treibhausgasen auf ein neues Allzeithoch von 31,6 Gigatonnen (Gt). Laut der Internationalen Energieagentur IEA muss bei 32,6 Gigatonnen spätestens 2017 Schluss sein. Allerdings überschreitet die Welt wahrscheinlich bereits dieses Jahr diese Schwelle.
Die Masslosigkeit im Ausstoss von Klimagasen hat katastrophale Folgen für die Weltbevölkerung. Der Klimawandel führt zu dauerhaften Schäden und Verlusten, von denen noch niemand genau weiss, wie sie aussehen werden und wie darauf zu reagieren ist. Es ist deshalb höchste Zeit, dass sich nun auch die Uno-Klimapolitik mit diesen unwiderruflichen Zerstörungen und ihren Folgen beschäftigt. Denn mit Anpassungs- oder Vorbeugungsmassnahmen allein ist ihnen nicht beizukommen.
Wirtschaftliche und kulturelle Verluste
Zu den typischen Auswirkungen des Klimawandels gehören Wetterextreme. Überflutungen in Kolumbien und Venezuela forderten 2010 Hunderte von Todesopfern und zerstörten die Häuser von Millionen von Menschen. Allein in Kolumbien schätzte die Regierung die wirtschaftlichen Verluste auf sechs Billionen US-Dollar. 70 Prozent des Landes waren von Fluten und Erdrutschen betroffen. 2,2 Millionen Menschen – fast fünf Prozent der Gesamtbevölkerung – verloren ihr Obdach.
In Mexiko war 2011 das Jahr mit dem grössten Wassermangel der letzten sieben Jahrzehnte. Allein im Gliedstaat Chihuahua verhungerten oder verdursteten 750’000 Rinder wegen der lang anhaltenden Dürre. Die Maisproduktion in diesem Bundesstaat sank von normalerweise 500’000 Tonnen pro Jahr auf 100’000 Tonnen.
Wenn es sich bei derartigen Extremereignissen nicht nur um vorübergehende Katastrophen, sondern um permanente Veränderungen des lokalen Klimas handelt, werden Tausende von Bauern und Bäuerinnen ihr Land dauerhaft nicht mehr nutzen können und ihren Lebensunterhalt verlieren. Für dieses Jahr hatte der im Januar noch amtierende mexikanische Präsident Felipe Calderón rund 2,4 Milliarden Franken versprochen, um die betroffenen Regionen mit Wasser, Lebensmitteln und Infrastrukturmassnahmen zu unterstützen. Angesichts der langfristigen Verluste ist dies ein Tropfen auf den heissen Stein.
Millionen auf Heimatsuche
Während viele Länder des Südens regional von dauerhaften wirtschaftlichen Schäden und Verlusten betroffen sind, steht bei anderen die Existenzgrundlage der gesamten Bevölkerung auf dem Spiel. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass der Meeresspiegel in den kommenden 75 Jahren um etwa einen Meter steigen wird. Aufgrund des kollektiven Versagens beim Klimaschutz rechnen WissenschaftlerInnen durchaus auch mit zwei bis drei Metern Anstieg. Viele der fast vierzig kleinen Inselstaaten liegen nur wenige Meter über dem Meeresspiegel und werden unbewohnbar. Eine ungelöste Frage ist, wie die 350 Millionen Menschen dieser Inseln auf andere Staaten verteilt werden könnten, wenn ihnen buchstäblich der Boden unter den Füssen wegschwimmt. Eine andere, ob und wie ihre kulturellen Verluste minimiert werden können.
Die Grenzen der Anpassung
Weitere permanente Verluste mit globalen Auswirkungen sind die Abnahme der Artenvielfalt und das Schmelzen der Gletscher und Eisberge. Diese sind ebenso wie der Verlust von Kulturgütern nicht ersetzbar und deshalb auch nicht mit den traditionellen Methoden des Risikomanagements für ökonomische Verluste zu bewältigen.
Verschiedene internationale Nichtregierungsorganisationen verlangen deshalb, dass die Uno-Vertragsstaaten die dauerhaften Schäden und Verluste durch den Klimawandel als wichtiges Thema in ihre Agenda aufnehmen. Die drohenden grossen Verluste im Süden sind nicht zuletzt eine Konsequenz der hohen Pro-Kopf-Emissionen auch hierzulande. Obschon uns in der Schweiz das Wasser nicht so schnell bis zum Hals stehen wird, stellt sich auch hier die Frage, wie die aktuelle ‹Das-Boot-ist-voll›-Politik mit durch den Klimawandel ausgelösten Migrationsbewegungen in Einklang zu bringen ist. Bisher konzentrierte sich die Schweiz in den internationalen Verhandlungen auf den Klimaschutz.
Emissionsreduktionen und Anpassungsmassnahmen sind zwar wichtig und notwendig für die Minimierung von dauerhaften Schäden und Verlusten. Angesichts des fortgeschrittenen Klimawandels sind sie aber schon heute nicht mehr hinreichend.
Eckwerte für ein neues Klimaabkommen
Ende November beginnt in Doha (Katar) die 18. Uno-Klimakonferenz. Im Mittelpunkt steht die Umsetzung der Beschlüsse vom letzten Jahr. Damals beschlossen die Vertragsstaaten in Durban, ab 2013 eine zweite Verpflichtungsperiode für das Kyoto-Protokoll einzurichten sowie einen neuen Klimavertrag zu erarbeiten, der ab 2020 alle Staaten einbezieht.
Noch ist unklar, ob neben der EU, Norwegen und der Schweiz auch Australien und Neuseeland bei der zweiten Verpflichtungsperiode mitziehen. Wichtig ist, dass die beteiligten Industrieländer Reduktionsziele akzeptieren, die zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels führen. Dazu müssten die Industrieländer ihre Emissionen gegenüber 1990 um 25 bis 40 Prozent reduzieren. Die EU und die Schweiz haben bis 2020 aber nur 20 Prozent zugesagt. Gleichzeitig müssen Schlupflöcher wie das Übertragen von ungenutzten Emissionsrechten aus der ersten Verpflichtungsperiode minimiert werden.
Auch sollte man sich in Doha darauf einigen, dass die globalen Emissionen vor 2020 zu sinken beginnen. Dies bedeutet, dass die Industrieländer ihren Ausstoss bedeutend rascher senken und die Entwicklungsländer stärker bei Klimaschutzmassnahmen unterstützen müssen, damit diese ihrerseits ihre Reduktionsziele erhöhen können.
Weiter muss die Konferenz Fahrplan und Eckwerte für die Erarbeitung des Klimaabkommens, das ab 2020 alle Länder verbindlich einbinden soll, festlegen. Bis 2015 muss insbesondere geklärt sein, nach welchen Kriterien das verbleibende globale Emissionsbudget von rund 18 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr gerecht auf die Länder verteilt wird. Für die Aushandlung einer gerechten Lastenverteilung zwischen Nord und Süd braucht es einen offenen Dialog und eine Abkehr von festgefahrenen Positionen.
Schliesslich wird sich in Doha zeigen, ob die Industrieländer zu ihren Finanzzusagen stehen, um Entwicklungsländer beim Klimaschutz zu unterstützen. In Kopenhagen (2009) hatten sie für 2010 bis 2012 jährlich 10 Milliarden Dollar zugesagt und 100 Milliarden ab 2020. Für die Übergangsphase von 2013 bis 2020 gibt es aber noch keine Zusagen.
Dieser Beitrag erschien im GLOBAL 47/2012, der Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Alliance Sud. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.