Das Bamboo Village in Kerala, Südindien ist mehr als ein Tourismusprojekt
Warum und wie haben Sie das Gemeindetourismusprojekt gegründet und welche Vision hatten Sie?
Bamboo Village ist die gemeinsame Idee zweier Nichtregierungsorganisationen: Uravu fördert das Bambus-Handwerk im Dorf und Kabani beschäftigt sich mit Tourismus. Bamboo Village ist mehr als ein Tourismusprojekt; diese Initiative zielt auf eine langfristige Entwicklung des gesamten Dorfes. Als Tourismusforscher und Aktivisten gegen nicht nachhaltigen Tourismus erkannten wir die Notwendigkeit, eine Alternative zum Mainstream-Tourismus zu finden, von der die Bevölkerung profitiert. Wir möchten die beteiligten Gemeinschaften ermutigen, sich kreativ, selbständig und verantwortlich für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit einzusetzen, indem sie sich aktiv in die Entwicklungsaktivitäten einbringen. Zu den Aktivitäten des Bamboo Village gehören ökologischer Landbau, die Verarbeitung von Lebensmitteln, Bambus-Kunsthandwerk, Aufenthalte bei Gastfamilien und weitere Tourismusangebote.
Biologischer Landbau und Kunsthandwerk sorgen für nachhaltige Einkommen, während der Tourismus eine zusätzliche Einkommensquelle bietet. Die Investitionen der Bauernfamilien in den Tourismus wurden auf ein Minimum beschränkt, denn wir möchten ja nicht die Landwirtschaft als Haupteinkommensquelle verdrängen. Ausserdem sind der Schutz und Erhalt der Umwelt und der natürlichen Ressourcen integraler Bestandteil der Initiative.
Wie haben die beteiligten Familien vom Projekt profitiert und welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Gästen?
Die Bauernfamilien des Dorfes ziehen in vielerlei Hinsicht Nutzen aus der Tourismuskomponente des Projekts. Einige bieten Homestays an. Dafür brauchen sie keine grossen Investitionen zu tätigen; sie nutzen einfach ihre freien Zimmer für die Unterbringung von Gästen. Die Touristen bewegen sich mit lokalen Taxis und Fahrzeugen fort. Einige Einheimische sind zu DolmetscherInnen ausgebildet worden. Zudem bieten wir Reisenden die Möglichkeit, bei verschiedenen Familien im Dorf traditionelle Speisen zu probieren. So bleibt fast alles von den Reisenden ausgegebene Geld im Dorf und schafft verschiedene Einkommensmöglichkeiten für die EinwohnerInnen.
Der Tourismus wurde gefördert, um Zusatzeinkommen für die lokale Bevölkerung zu schaffen und einen Gemeinschaftsfonds zu eröffnen, mit dem Schulungen für die Dorfbevölkerung finanziert werden können, beispielsweise für die Verarbeitung von Nahrungsmitteln oder die Gründung eines Kleinunternehmens. Wir haben ein System für die Aufteilung der Einkünfte aus dem Tourismus unter den DorfbewohnerInnen geschaffen: 50 Prozent des Übernachtungspreises gehen an die Anbieter der Homestays, während 30 Prozent in den Gemeinschaftsfonds fliessen. Andere Leistungsträger wie die Taxibesitzer zahlen einen kleinen Teil ihres Umsatzes in den Gemeinschaftsfonds.
Bisher waren die Reaktionen unserer Gäste positiv. Wer das Dorf besucht, wird in der Gemeinschaft aufgenommen. Die meisten Gäste mögen das Essen, die Art, wie sie behandelt werden, und die Möglichkeiten, die Kultur und den Lebensstil der Dorfgemeinschaft kennenzulernen. Die Gäste, die sich länger hier aufhalten, verlassen uns stets mit Tränen in den Augen. Sie haben das Konzept des Projekts wirklich verstanden und respektieren und unterstützen es. Die meisten unserer Gäste haben uns ihren Freunden und Verwandten empfohlen und wollen wiederkommen.
Welche Herausforderungen stellen sich euch als Organisation?
Da gibt es vieles, das für unsere Initiative eine Herausforderung werden könnte. Alle daran teilhaben zu lassen kann etwa eine grosse Herausforderung bedeuten. Gewisse Familien können sich aufgrund fehlender Einrichtungen oder Sprachkenntnisse nicht an den touristischen Aktivitäten beteiligen und somit kein Zusatzeinkommen erwirtschaften. Das schafft eine Art von Klassenunterschied und kann Eifersucht schüren. Zudem ermöglichen gewisse Aktivitäten des Programms – vor allem die Unterbringung von Gästen – mehr Einkommen als andere. Das kann zu Konflikten führen und das Einvernehmen unter den DorfbewohnerInnen beeinträchtigen. Bisher ist nichts dergleichen passiert, aber Erfahrungen weltweit haben gezeigt, dass es in jedem Gemeindetourismusprojekt früher oder später zu irgendeiner Form von Neid kommt. Auch der Druck des Mainstream-Tourismus ist eine Herausforderung. Wir müssen die Fähigkeiten der DorfbewohnerInnen fördern und sie in die Lage versetzen, den Ansprüchen des Programms gerecht zu werden. Das braucht immer noch viele Ressourcen und Zeit.
Ist der Tourismus das Haupteinkommen für die beteiligten Familien? Wie geht ihr mit dem Rückgang der Besucherzahlen ausserhalb der Saison um, etwa während der Monsunzeit oder im Sommer?
Im Wissen um die Unwägbarkeiten und die Anfälligkeit des Tourismussektors sehen wir den Tourismus nicht als Haupteinkommensquelle der Gemeinschaft. Die Einkünfte aus dem Tourismus sollen nur eine Ergänzung sein und Einkommenseinbussen in der Phase der Umstellung von der herkömmlichen zur biologischen Landwirtschaft wettmachen. Die meisten der am Tourismusprogramm Beteiligten sind auch an anderen einkommensfördernden Aktivitäten beteiligt, weshalb der Gästerückgang ausserhalb der Saison für die DorfbewohnerInnen nicht allzu einschneidend ist.
Was sind Ihrer Meinung nach negative Effekte eines gemeindebasierten Tourismusprojekts wie dem Bamboo Village?
Tourismus ist eine Aktivität, die das Leben einer lokalen Gemeinschaft in vielerlei Hinsicht berührt. Er beansprucht ihre Kultur, ihren Lebensstil und die natürlichen Ressourcen. So sind vom Tourismus vielfältige Auswirkungen zu erwarten. Bamboo Village ist ein sehr kleines Projekt und es ist noch zu früh, seine negativen Folgen einzuschätzen. Wir nehmen in Fallstudien festgestellte negative Auswirkungen des Gemeindetourismus sehr ernst und flechten sie in unsere Informations- und Weiterbildungsprogramme ein, die wir für die lokale Gemeinschaft anbieten. Wir geben unsere breite Erfahrung als Forschungs- und Kampagnenorganisation zum Tourismus in Kerala und anderswo weiter und glauben an einen Ansatz, bei dem die Betroffenen eine zentrale Rolle bei Entscheidungen sowie der Einschätzung und Überwachung der Entwicklungen innehaben und ihre eigenen Prioritäten setzen.
Welche Massnahmen haben Sie ergriffen oder geplant, um mit diesen Auswirkungen umzugehen?
Unser Gemeindefonds ermöglicht verschiedene einkommensgenerierende Projekte und andere Aktivitäten. Er vermittelt auch denen, die nicht direkt an der Initiative beteiligt sind oder davon profitieren, das Gefühl der Teilhabe und Mitbestimmung.
Haben Sie seit Beginn der Initiative irgendwelche positive oder negative Veränderungen im Bamboo Village festgestellt?
Die Gastgeberinnen der Homestays haben einige sehr berührende Erfahrungen gemacht. Viele von ihnen berichten, die Initiative habe ihr Selbstvertrauen gestärkt und ihnen die Möglichkeit gegeben, mit allen möglichen Leuten aus aller Welt in Kontakt zu treten. Inzwischen können sie sich recht gut auf Englisch verständigen und versuchen, die Kultur der Heimatländer ihrer Gäste zu verstehen. Dieser Austausch veranlasst die Frauen, sich mit ihrer eigenen Rolle im Dorf und in der Gesellschaft im Allgemeinen auseinanderzusetzen. Dieser interkulturelle Austausch kommt auch den Jugendlichen und Kindern zugute. Ich kann auch sagen, dass sich die Lebensqualität der beteiligten Familien verbessert hat. Sie suchen jetzt Alternativen in vielen Bereichen ihres Lebens, beispielsweise bei der Abfallbewirtschaftung, der Hygiene und dem Respekt gegenüber der Umwelt.
Welche Zukunftspläne haben Sie für Bamboo Village?
Wir möchten mit der Zeit auch in anderen Landesteilen solche Projekte ins Leben rufen. Nach und nach möchten wir ein Netzwerk verantwortlicher Tourismusinitiativen aufbauen und auf politischer Ebene dafür eintreten, dass der Tourismus mehr gemeindeorientiert ausgestaltet wird, ohne dabei die Gemeinschaften übermässig von ihm abhängig zum machen.