Miges Baumann, Leiter Entwicklungspolitik bei Brot für alle, spricht über das Phänomen des "Water Grabbing" und dessen Dimensionen und Auswirkungen.
Brot für alle: Der aktuelle EinBlick handelt vom "Water Grabbing". Was ist darunter zu verstehen?
Am besten könnte man den Begriff vielleicht mit "Wasser abgraben" übersetzen. Zugang zu Wasser ist der treibende Faktor für das „Land Grabbing“, die langfristigen Pacht oder der Kauf von riesigen Ackerflächen in Afrika und anderswo zum Anbau von Exportprodukten. Es ist der Erwerb von Verfügungsrechten über Grundwasser oder Wasser aus Flüssen und Bächen. Diese Verfügungsrechte sind oft schon im nationalen Recht mit dem Land verbunden, das für 50 oder mehr Jahre gepachtet wird, oder sie werden in Landpacht-Verträgen namentlich aufgeführt.
Können Sie uns eine Vorstellung von den Dimensionen dieses Phänomens vermitteln?
Es ist unmöglich, einen genauen Überblick über alle Landverträge zu behalten. Aber jedes Mal, wenn wieder neue Zahlen publiziert werden, haben sie sich gegenüber den früheren fast verdoppelt. Das Global Land Projekt errechnete im August 2010, dass in 27 afrikanischen Ländern mit 177 Verträgen zwischen 51 und 63 Millionen Hektar Land verpachtet worden sind. Das ist so viel wie die gesamte Ackerfläche von Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien zusammen.
Welche Folgen sind abzusehen?
Das Ganze ist eine soziale Zeitbombe: Menschen verlieren ihr Land, Dörfer ihr Wasser … Das erzeugt Wut; es kommt zu Protesten und Konflikten. Nahrung und Treibstoffe werden industriell und für den Export produziert und die Ernährungslage von Millionen Menschen kann sich verschlechtern. Selbständige Bäuerinnen und Bauern werden im besten Fall zu Landarbeitern, im schlechteren Fall arbeitslos. Traditionelles landwirtschaftliches Wissen geht verloren. Böden erodieren, Wasserressourcen werden knapp, Agrochemikalien belasten die Umwelt. Industrielle Monokulturen sind nicht nachhaltig und bedrohen die Artenvielfalt.
Was hat Sie bei Ihrer Arbeit und Ihren Recherchen zum Thema "Water Grabbing" besonders beeindruckt?
Ich habe gestaunt, wie wenig Informationen zu diesem brisanten Wasserthema existieren. Es ist unverständlich, dass Organisationen, die zum Beispiel in der Trinkwasserversorgung tätig sind, noch nicht erkannt haben, dass mit dem Abgraben von Wasser auch ihre Projekte untergraben werden und gefährdet sind. Was nützen neue Leitungen, Brunnen, Pumpen und Wasserhähne, wenn kein Wasser daraus fliesst? Beängstigend ist auch, dass die Wasserprobleme ein riesiges Konfliktpotential bergen. In Sierra Leone zum Beispiel mussten wir feststellen, dass die ersten Probleme mit dem Verpachten von Land beim Trinkwasser auftreten. Quellen werden zerstört oder Wasser wird abgeleitet. Und das macht die Menschen wütend. Es widerspricht auch den Menschenrechten und nationalen Gesetzen, die den Zugang zu Wasser gewährleisten.
Können landwirtschaftliche Grossprojekte in Entwicklungsländern den Investoren und der Bevölkerung des Ziellandes Vorteile bringen? Was müsste getan werden, damit agroindustrielle Projekte in Entwicklungsländern sozial- und umweltverträglich und nachhaltig sind?
Ich glaube nicht, dass man Landraub sozialverträglich gestalten kann. Investitionen in die Landwirtschaft hingegen sind dringend nötig. Es braucht aber Massnahmen, die auch der Bevölkerung zu Gute kommen, zum Beispiel die Unterstützung der Nahrungsmittelproduktion für den lokalen Markt. Zukunftsweisend ist die Förderung des ökologischen Landbaus. Hingegen verschlimmern agroindustrielle Grossprojekte für den Export meist die Not der einheimischen Bevölkerung. Private Investoren sind jedoch leider vor allem an hohen Gewinnen interessiert. Wie profitabel Anlagen in Wasser für Landwirtschaftsprojekte sind, macht Susan Payne, Managerin des African Agricultural Land Fund deutlich: "Wasser wird ein fantastisch knappes Anlagegut sein." Für wasserbezogene Finanzprodukte in Afrika stellt sie jährliche Renditen von 25 Prozent in Aussicht.