Das Gute kommt von unten
«Die Ökonomie ist ein theoretisches System, das durch die Luft schwebt und wenig mit der wirklichen Welt zu tun hat», sagte einmal Ronald Coase, britischer Wissenschaftler und Wirtschaftsnobelpreisträger 1991. Aber es gibt Ausnahmen, wie die Überlegungen der US-amerikanischen Ökonomin Elinor Ostrom zeigen, die als erste Frau überhaupt den Wirtschaftsnobelpreis zugesprochen bekam. Denn ihre Thesen haben Bodenhaftung.
Nepal, Philippinen, Schweiz
Ostrom sei eine radikale Wahl gewesen, schrieb letzte Woche Umair Haque auf der Website harvardbusiness.org; ihre Arbeit «ist nicht megaquantitativ, sie ist megaqualitativ, vollgepackt mit klugen und unerwarteten Einsichten», weil «ihre Arbeitsmethoden ganz anders sind». Dabei ist die Herangehensweise der 1933 in Los Angeles geborenen Wissenschaftlerin recht einfach: Sie zog hinaus in die Welt und lernte von den einfachen Leuten. Sie studierte die hochkomplexen Bewässerungssysteme der nepalesischen KleinbäuerInnen, sie sprach mit KrebsfischerInnen an der US Ostküste und untersuchte deren Selbstorganisation, sie wohnte eine Weile in philippinischen Dorfgemeinschaften, recherchierte über das Allmendsystem in den Schweizer Alpen und beobachtete, wie spanische LandbewohnerInnen eigene Selbstverwaltungsformen entwickelten. Es gibt andere Optionen als Privatisierung und Wachstumsorientierung, schrieb sie zu einer Zeit, als sich im Westen zunehmend die Theorien der Marktradikalen durchsetzten. Die
Gemeinschaften könnten sich durchaus selber organisieren und Systeme entwickeln, die effizienter sind als der reine Markt.
Voraussetzung für kollektives Handeln ist neben Vertrauen, Gemeinschaftssinn und Gegenseitigkeit allerdings auch eine kluge Handhabung des Gemeineigentums, die bestimmten Regeln unterliegen muss. In ihrem Hauptwerk «Governing the Commons» («Die Verfassung der Allmende») hat sie acht Grundregeln für das Management von Gemeineigentum festgehalten. So müssen die Gruppengrenzen klar definiert sein, die Regeln über die Nutzung der Ressourcen den lokalen Gepflogenheiten entsprechen und Mechanismen zur Konfliktlösung bestehen. Weiter muss die Einhaltung der Regeln überwacht werden, und eine Anpassung der Regeln an geänderte Bedingungen durch die Kollektivmitglieder muss möglich sein. Auch ein abgestuftes Sanktionssystem sei nötig, so Ostrom. Unabdingbar für das Funktionieren ist zudem die Anerkennung der Gemeinschaftsregeln durch übergeordnete Behörden. All dies (Regel acht) gilt auch für grössere Gemeinschaften, die ihre Kontroll-, Konflktlösungs- und Sanktionsmechanismen dann eben auf mehreren Ebenen installieren müssen.
Mit anderen Worten: «Governing the Commons» enthält mithin ein genossenschaftliches Regelwerk.
Aber Ostroms Studien – und das macht ihre Bedeutung aus – gehen weiter. Lokal gemanagte Bewässerungssysteme, so hat sie beobachtet, sind leistungsfähiger, nachhaltiger und billiger als die von der Weltbank, der Asian Development Bank und durch westliche Entwicklungszusammenarbeit finanzierten Grossprojekte. Mehr noch: Die Privatisierung von Agrarland, Wäldern und anderen Ökosystemen bilde nicht nur «eine ernsthafte Gefahr für die Umwelt»; sie gefährde auch das Überleben der armen Landbevölkerung.
Ihre Kritik des Top-down-Ansatzes, der von oben vorgegebenen Entwicklungsstrategien, trifft nicht nur kapitalistische Systeme. Das Scheitern des autoritären Sozialismus, so hat jüngst Sitaram Yechury, Politbüromitglied der Kommunistischen Partei Indiens (Marxisten), erklärt, sei «in der Zentralisierung der Macht durch die Diktatur der Partei» angelegt gewesen, weil diese «die Arbeiterklasse entpolitisiert» habe. Selbsthilfe und Fantasie wurden erstickt. Dabei können, wie Ostrom belegt, oftmals nur Initiativen von unten Probleme lösen. So haben die KrebsfischerInnen von Maine den Kollaps ihrer Fischgründe in den zwanziger Jahren durch neue Gemeinschaftsregeln verhindern können; so bewahrten die lokalen Gemeinschaften in Namibia (und nicht die Regierung) die gefährdeten Elefanten vom Aussterben; so retteten japanische WaldbewohnerInnen durch innovative Strukturen ihre Forstwirtschaft.
Selbsthilfe ist besser
Der Nobelpreis für Elinor Ostrom stärkt den indischen Basisbewegungen den Rücken. Wissenschaftlerinnen wie Vandana Shiva und Sunita Narain können sich ebenso bestätigt fühlen wie die Sozialaktivistin Madha Patkar, die seit Jahrzehnten gegen die gigantischen Narmada-Staudämme kämpft. Nun wächst – zumindest kurzfristig – das öffentliche Interesse an solidarischen Konzepten und der Idee einer kollektiven Nutzung von Gemeineigentum. Der Nobelpreis könnte sogar den Widerstand gegen die Sonderwirtschaftszonen befördern, die derzeit geplant sind oder schon gebaut werden. Denn schon die Einrichtung dieser Zonen (wo es keine BürgerInnen- und Gewerkschaftsrechte gibt) widerspricht Ostroms Erkenntnissen von einer nachhaltigen Entwicklung, weil den Menschen das Land geraubt wird, das sie bebauen.
«Regierungen», schreibt Ostrom, «sollten jene Initiativen unterstützen, mit denen sich die Menschen selber helfen». Das sei allemal besser als Interventionen und Massnahmen von oben, die häufig mehr Schaden anrichten, wie Nepals BäuerInnen erfahren mussten: Ihre jahrhundertealten Bewässerungssysteme wurden zerstört, als die Regierung von Hilfsagenturen finanzierte Grossstaudämme baute.
Josef Keve arbeitet seit Jahrzehnten mit indischen Basisbewegungen. Der Beitrag "Das Gute kommt von unten" erschien in der WoZ Nr. 43 vom 22.10.2009. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Bild: newsinfo.iu.edu,12.10.2009;